Handbuch des Strafrechts. Группа авторов
ehemaligen Präsidenten Fujimori als mittelbaren Täter der von seinen Einsatzkommandos verübten Verbrechen bestraft und sich dabei in allen Einzelheiten auf meine Lehre von der Organisationsherrschaft gestützt hat.[125] Das Revisionsurteil der peruanischen Primera Sala Transitoria vom 30. Dezember 2009 hat das erstinstanzliche Urteil in ausführlichen Darlegungen unter Bekundung seiner „tiefen Überzeugung“ („profunda convicción“) von der Richtigkeit der Organisationsherrschaftslehre bestätigt.
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Auch der Internationale Strafgerichtshof hat sich die Lehre von der Organisationsherrschaft verschiedentlich zu eigen gemacht.[126] So heißt es z.B. in der sog. Katanga-Entscheidung der Vorverfahrenskammer I aus dem Jahr 2008 mit zustimmenden Ausführungen: „In der Rechtslehre ist ein Konzept entwickelt worden, das die Möglichkeit anerkennt, eine Person strafrechtlich verantwortlich zu machen, die durch einen anderen handelt, und zwar unabhängig davon, ob der Ausführende (der unmittelbar Handelnde) ebenfalls strafrechtlich verantwortlich ist. Diese Lehre gründet sich auf die frühen Arbeiten von Claus Roxin.“
II. Zum Meinungsstreit über die Organisationsherrschaft
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In der Literatur wird die Organisationsherrschaft als eigenständige Form mittelbarer Täterschaft überwiegend anerkannt,[127] auch wenn die Begründungen nicht in allen Punkten einheitlich sind. Auch die vorliegenden Dissertationen zum Thema[128] vertreten – bei manchen Modifikationen im Einzelnen[129] – die Lehre von der Organisationsherrschaft. „Nur wenige Stimmen stehen der Konstruktion ablehnend gegenüber“, sagt Joecks,[130] und Heine resümiert:[131] „Im Einzelnen dürfte, soweit es um organisatorische Machtapparate geht, die sich als ganze von den Normen des Rechts gelöst haben, mittelbare Täterschaft wohl als weithin gesichert gelten.“
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Ungeachtet dessen gibt es auch heute namhafte Autoren, die eine mittelbare Täterschaft ablehnen und andere Konstruktionen bevorzugen. Es ist nicht möglich, darauf hier in allen Einzelheiten einzugehen. Ich habe mich mit den Kritikern in zahlreichen Stellungnahmen auseinandergesetzt, auf die ich hier verweise.[132] Nachfolgend sollen alle wichtigen Einwände und Alternativlösungen in exemplarischer Form behandelt werden.
1. Der aus dem Verantwortungsprinzip abgeleitete Einwand
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Das häufigste Argument gegen die Anerkennung einer mittelbaren Täterschaft wird aus dem Verantwortungsprinzip abgeleitet. Es ist in neuerer Zeit, wenn auch in etwas unterschiedlicher Weise, wieder von Jakobs und Herzberg geltend gemacht worden.
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Jakobs[133] erkennt die faktische Herrschaft der Hintermänner im Rahmen deliktischer Organisationen durchaus an:[134] „Das Vorliegen von Herrschaft lässt sich in solchen Fällen nicht bezweifeln.“ Die „faktische Hemmungslosigkeit des Ausführenden“ werde „zum funktionalen Äquivalent für den Zurechnungsdefekt eines Werkzeuges“.
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Jedoch stelle die „rechtliche Tatmacht … auf die Verantwortung für die Machtlage ab … Die in einem organisatorischen Machtapparat Handelnden sind, weil sie ihrerseits vollverantwortlich handeln, eben keine Werkzeuge, und demgemäß ist der Anordnende kein mittelbarer Täter, weil er wegen der Verantwortlichkeit des Ausführenden nicht rechtlich ‚durchgreifen‘ (d.h. über die Verwirklichung des Tatbestandes als letzter verantwortlich entscheiden) kann.“
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Es ist aber nicht ersichtlich, warum die „Verantwortung für die Machtlage“ nur den treffen soll, der zeitlich „als letzter“ handelt, während doch der Hintermann die weit größere Verantwortung trägt. Denn von seiner Anordnung und Durchsetzungsmöglichkeit hängt die Begehung des Deliktes ab, während der Ausführende zwar auch als Täter verantwortlich ist, wegen der Ersetzbarkeit des einzelnen Schergen die Tat (z.B. die Ermordung eines KZ-Insassen) aber nicht verhindern kann, so dass in einem weiteren Sinn die „letzte Entscheidung“ immer in der Mordanordnung des Hintermannes liegt.
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Jakobs sagt weiter:[135] „Die Großen sind nicht groß ohne die Kleinen – die Rede von der mittelbaren Täterschaft durch Benutzung eines organisatorischen Machtapparates verschleiert dieses objektive gegenseitige Angewiesensein bei Organisationsdelikten.“ Aber dieses „Aufeinander-Angewiesensein“ wird gerade dadurch bekräftigt, dass beide als Täter bestraft werden. Der Ausführende hat die „Handlungsherrschaft“, während der Hintermann mit Hilfe des von ihm gesteuerten Apparates, in dem der Exekutor nur ein Rädchen im Getriebe ist, die Willensherrschaft ausübt. Entscheidend ist nicht die Herrschaft über den unmittelbar Handelnden, sondern über die Tatbestandsverwirklichung.
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Herzberg betrachtet die Konstruktion der Organisationsherrschaft als „Frucht“ eines „faktizistischen Fehlansatzes“[136]. „Selbst wenn es so wäre …, dass … der Machtapparat reibungslos funktioniert und deshalb im konkreten Fall die Begehung des befohlenen Deliktes gewiss war – eine mittelbare Täterschaft ließe sich damit nicht begründen.“ Man dürfe die Tatherrschaft nicht „faktisch-naturalistisch“ verstehen, sondern müsse sie „normativ“ deuten.[137] In einem normativen Sinn hänge die Tatherrschaft davon ab, „dass beim Bewirken des tatbestandlichen Erfolges kein fremdes, nach der betreffenden Norm strafbares Handeln eingeschaltet ist“.
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Aber es ist nicht sinnvoll, eine angeblich normative Deutung der mittelbaren Täterschaft gegen die für irrelevant erklärte faktische Beherrschung des Geschehens auszuspielen. Denn wenn der Hintermann das Geschehen tatsächlich beherrscht, ist die Anerkennung mittelbarer Täterschaft kein „Faktizismus“, sondern hat einen ausschlaggebenden normativen Sinn, indem sie den Befehlshaber an den Schalthebeln der Macht als den primär Verantwortlichen kennzeichnet.[138] Dagegen ist nicht ersichtlich, welcher normative Grund den Hintermann von seiner Verantwortung als mittelbarer Täter einer Tatbestandsverwirklichung entlasten sollte, wenn er im Rahmen der von ihm dirigierten Organisation anonyme Schergen zur Begehung von Mordtaten einsetzt.
2. Zur Problematik der „Rechtsgelöstheit der deliktischen Organisation“
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Voraussetzung einer mittelbaren Täterschaft ist nach meiner Lehre, dass die Organisation sich im Bereich ihres strafbaren Handelns vom Recht gelöst hat, d.h. die allgemein gültigen strafrechtlichen Verbote als für sie nicht verbindlich betrachtet. Das gilt für die Nazi-Verbrechen bei der in millionenfachen Morden bestehenden „Endlösung“ der Judenfrage, aber auch für die Verhinderung der „Republikflucht“ in der DDR, für terroristische Anschläge (man denke an die tausendfachen Tötungen im World-Trade-Center!) sowie für Genozide und „ethische Säuberungen“.
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Dieses Kriterium wird vor allem durch den Hinweis bestritten, dass es keine selbstständige Funktion habe, weil es nur die Strafbarkeit des konkreten Verhaltens bezeichne.[139] Aber mit der Rechtsgelöstheit ist mehr als die Strafbarkeit im Einzelfall gemeint. Denn sie sichert die reibungslose Durchführung der Straftaten gerade dadurch, dass der Ausführende nicht befürchten muss, strafrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden. Jakobs[140] spricht mit Recht von einer „faktischen Hemmungslosigkeit des Ausführenden“, „wenn … eine Gegenwelt zur rechtlich verfassten Welt einigermaßen stabil etabliert worden ist, so dass es … auf die Rechtlichkeit des Angeordneten für den Ausführenden überhaupt nicht mehr ankommt“.
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