Europäisches Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht. Peter Behrens

Europäisches Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht - Peter Behrens


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Recht gleichermaßen nur das Skelett – den harten Nukleus – bildet. So wird die Verbindung zum nationalen Recht deutlicher. So wird die Fähigkeit zum Umgang mit Europäischem Recht gesteigert. So entsteht ein zusammenhängendes, nicht das häufig beklagte fragmentarische Bild. Lernbücher, Diskussionsbücher, stets jedoch vor allem auch Praxisbücher – dicht genug für die nötigen Details und doch klar in den Grundlinien. Das war der Anspruch. Für Kritik und Anregungen danken Autoren und Herausgeber ([email protected]).

      Die ganze Reihe IUS COMMUNITATIS verdankt viel der Thyssen-Stiftung, die den Europäischen Zugriff und insbesondere auch die Verbindung mit der Rechtsvergleichung als so wichtig einstufte, dass sie jeden Band großzügig unterstützte.

      Als Herausgeber empfinde ich tiefe Dankbarkeit.

      Berlin, im Februar 2017

       Stefan Grundmann

      In Zeiten der Krise gilt es, sich darauf zu besinnen, dass das Projekt der inzwischen zur Europäischen Union erstarkten europäischen Integration seinen Anfang bei der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft genommen hat. Ihr ist der beispiellose wirtschaftliche Aufstieg und Wohlstand der Völker Europas zu verdanken. Mögen auch mancherlei weitergehende Ansätze zu einer politischen Union ins Stocken geraten oder gar krisenhafte Züge annehmen, so sind doch der Binnenmarkt und das System unverfälschten Wettbewerbs der nach wie vor funktionsfähige Kern der Europäischen Union. Anders als die politische Integration, die als Prozess ständig neue Kompromisse zwischen den im Rat vertretenen Regierungen verlangt, beruht die wirtschaftliche Integration vor allem auf dem Schutz individueller Rechte. Das wesentliche Strukturmerkmal von Binnenmarkt und Wettbewerbssystem ist nicht die Übertragung vormals nationaler Hoheitsrechte auf die Union, sondern der rechtsverbindliche Verzicht der Mitgliedstaaten auf die Ausübung staatlicher Hoheitsrechte gegenüber ihren Bürgern in wirtschaftlichen Angelegenheiten. Als der Europäische Gerichtshof aus den Vertragsbestimmungen die unmittelbare Anwendbarkeit der Grundfreiheiten und deren Vorrang vor dem nationalen Recht ableitete, war dies kein illegitimer Akt angemaßter Selbstermächtigung, sondern die Erhebung der Unionsbürger zu Subjekten wirtschaftlicher Freiheiten und damit zu Protagonisten der Europäischen Integration. Die wirtschaftliche Integration resultiert daher nicht aus der Zentralisierung von Machtbefugnissen bei den Unionsorganen, sondern aus der Wahrnehmung ihrer grenzüberschreitenden Wettbewerbschancen durch die Wirtschaftsteilenehmer. Die entsprechenden Handlungsfreiheiten garantiert das Unionsrecht durch die primärrechtlichen Verbote staatlicher Beschränkungen des zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehrs und der Beschränkungen des Wettbewerbs durch Unternehmen bzw. öffentliche Hände. Und es sind diese letztlich privatrechtlich konstituierten Freiheiten der Wirtschaftsteilnehmer, die von allen Behörden und Gerichten zu schützen sind. Walter Hallstein hat die Wirtschaftsgemeinschaft daher treffend als Rechtsgemeinschaft charakterisiert. Ihre vorausgesetzte Grundlage ist die Bereitschaft der mitgliedstaatlichen Exekutivgewalten, Urteile zugunsten der Bürger auch im Fall des Unterliegens zu akzeptieren und zu befolgen. Solange diese rechtsstaatliche Basis nicht erodiert, darf man hoffen, dass sich die rechtlich verfasste Wirtschaftsgemeinschaft im Kern als krisenfest erweisen wird.

      Die Verrechtlichung von Binnenmarkt und Wettbewerb impliziert, dass sie in ihren Grundlagen tagespolitischer Einmischungen unzugänglich sind. Die primärrechtlich garantierten Individualrechte stehen nicht zur Disposition beliebiger politischer Ermessensentscheidungen. Sie ähneln Grundrechten, deren supranationaler Charakter ihnen grundsätzlich sogar Immunität gegenüber dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten verleiht. Es ist dieser spezifische Charakter des Binnenmarktrechts und der Wettbewerbsregeln, der ihnen Verfassungscharakter verleiht. Wenn der EuGH das Recht der Union als Verfassung gekennzeichnet hat, so gilt dies in besonderem Maße für die Wirtschafts- und Wettbewerbsverfassung. Indem der EUV das Konzept der „sozialen Marktwirtschaft“ in Bezug nimmt (Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 S. 2 EUV), wird allerdings auch anerkannt, dass der tragende unionsrechtliche „Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ nicht ohne weiteres bereits aus sich heraus auch die sozialen Gerechtigkeitswerte realisiert, denen die EU ebenfalls verpflichtet ist. Soziale Marktwirtschaft bedeutet: Verknüpfung von wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und sozialem Ausgleich. Der Sozialstaat hat die Aufgabe, die soziale Differenzierung, die der wirtschaftliche Wettbewerb mit sich bringt, zu befrieden und damit auch die Akzeptanz der Marktwirtschaft zu fördern. Auch der europäische Binnenmarkt und sein Wettbewerbssystem bedürfen einer sozialen Grundlage, die sie selbst nur insofern garantieren können, als sie die materiellen Ressourcen hervorbringen, die für soziale Zwecke zur Verfügung stehen. In welchem Maße und nach welchen Kriterien aber redistributive Ziele verfolgt werden sollen, wird in der Union und ihren Mitgliedstaaten durchaus unterschiedlich beurteilt. Sozialpolitische Maßstäbe entziehen sich daher einer der Marktintegration vergleichbaren konsistenten Verrechtlichung. Die Harmonisierung der heterogenen nationalen Sozialstaatsstrukturen würde die Union überfordern. Hieraus resultiert die für die Union charakteristische Asymmetrie zwischen wirtschaftlicher, sozialer und politischer Integration. Man kann daher nur in einem vergleichsweise unscharfen Sinn in Parallele zur Wirtschafts- und Wettbewerbsverfassung von einer materiellen Sozialverfassung sprechen. Sie würde eine sehr viel weitergehende Integration durch Zentralisierung von Hoheitsrechten voraussetzen als sie die Mitgliedstaaten zu akzeptieren bereit wären und überhaupt opportun erscheint. Eine Sozialunion würde jedenfalls beträchtliche zwischenstaatliche Transferzahlungen voraussetzen, die nicht konsensfähig und deshalb im Rahmen des vorhandenen institutionellen Rahmens der EU auch nicht demokratisch legitimierbar sind.

      Es besteht also ein unvermeidliches Spannungsverhältnis zwischen Binnenmarkt- und Wettbewerbsrecht einerseits und den unionalen und mitgliedstaatlichen Politiken andererseits. Die Lösung kann jedoch nicht darin bestehen, wirtschaftliche und soziale bzw. allgemeinpolitische Zwecke miteinander zu vermengen. Unterschiedliche Ziele verlangen auch unterschiedliche Instrumente. Markt und Wettbewerb müssen daher zunächst einmal in ihrer Eigengesetzlichkeit verstanden und normiert werden. Darum geht es hier. Das schließt nicht aus, dass wichtige gesellschaftliche Ziele auch als rechtlich erhebliche Grenzen der wirtschaftlichen Integration zur Geltung gebracht werden können wie es etwa durch die Berücksichtigung „zwingender Allgemeininteressen“ im Binnenmarktrecht oder die Respektierung mitgliedstaatlich definierter „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“ im Wettbewerbsrecht geschieht. Es bedarf dafür aber stets einer sorgfältigen Verhältnismäßigkeitsprüfung, um die Funktionsfähigkeit des Binnenmarkts und des Systems unverfälschten Wettbewerbs, die ebenfalls der Allgemeinheit – nämlich erklärtermaßen der Wohlstandmehrung – dienen, nicht zu gefährden. Die Abgrenzung zwischen der Wahrnehmung wirtschaftlicher Freiheitsrechte und der Durchsetzung sozial- oder allgemeinpolitischer Ziele ist daher ein integraler Bestandteil auch des Binnenmarkt- und Wettbewerbsrechts.

      Angesichts der Fülle bereits vorhandener Handbücher, Kommentare und Lehrbücher zum Binnenmarkt- und Wettbewerbsrecht der EU mag der Leser eine Begründung dafür verlangen, dass hier eine weitere umfassende Erläuterung der entsprechenden Normenkomplexe vorgelegt wird. Welcher Bedarf soll damit gedeckt werden, dem nicht bereits hinreichend in der vorhandenen Literatur Rechnung getragen wird? Das vorliegende Werk weist einige Besonderheiten auf:

es betont die Einheit von Binnenmarkt und System unverfälschten Wettbewerbs,
es belegt die wettbewerbspolitische Einheit von Kartell-, Fusionskontroll-, Beihilfen- und Vergaberecht im Sinne des Schutzes wettbewerblicher Marktstrukturen,
es bemüht sich um Interdisziplinarität im Sinne der Wechselbeziehung zwischen Recht und Ökonomik, und
es reflektiert die komplexe Interaktion von Institutionen, Regeln und Verfahren im Mehrebenensystem der EU.

      Es kann auch im vorliegenden Rahmen nur um eine Einführung gehen. Sie basiert im Wesentlichen auf Primärquellen wie den einschlägigen Unionsverträgen, den darauf beruhenden unionalen Gesetzgebungsakten, der Entscheidungspraxis und den diversen Verlautbarungen der Kommission sowie der Rechtsprechung des Gerichtshofs


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