Examens-Repetitorium Handels- und Gesellschaftsrecht. Walter Bayer
Der Vorschrift des § 6 HGB kommt nur eine klarstellende Funktion zu. Sie bestimmt, dass Handelsgesellschaften kraft ihrer Rechtsform Kaufleute sind – daher auch die Bezeichnung Formkaufmann.[6] Abs. 1 bestimmt, dass die Kaufmannsvorschriften auch auf Handelsgesellschaften Anwendung finden. Dies ist eine Selbstverständlichkeit, denn die Rechtsform der Personenhandelsgesellschaft (OHG, KG und EWIV) hat zur Voraussetzung, dass entweder ein Handelsgewerbe iSv § 1 HGB betrieben wird (§ 105 I HGB) oder die Eintragung im Handelsregister gem. § 2 HGB erfolgt ist (§ 105 II HGB).[7] Die Kapitalgesellschaften (GmbH, AG, KGaA und SE) sind bereits nach ihren eigenen spezialgesetzlichen Regelungen stets Kaufleute.[8] Dies gilt auch dann – und das wird von Abs. 2 nochmals ausdrücklich hervorgehoben –, wenn ihr Unternehmensgegenstand nicht der Betrieb eines (Handels-)Gewerbes ist (§§ 3 I, 278 III AktG, § 13 III GmbHG). So ist insbesondere auch auf Unternehmen der öffentlichen Hand, die in der Rechtsform der Kapitalgesellschaft organisiert sind, aber kein (Handels-)Gewerbe betreiben, Kaufmannsrecht anwendbar; zweifelhaft ist allein die Anwendung handelsrechtlicher Vorschriften auf öffentliche Unternehmen mit anderer Rechtsform (dazu unten Rn. 28 ff., 393).
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Hinweis für die Klausur:
Handelt also ein Unternehmen in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft, so ergibt sich die Kaufmannseigenschaft unmittelbar aus § 6 II HGB; die Voraussetzungen der §§ 1–3 HGB sind nicht zu prüfen. Dies gilt allerdings nur, wenn bereits die Eintragung im Handelsregister erfolgt ist; auf sog. Vorgesellschaften (zum Begriff unten Rn. 507) findet § 6 II HGB dagegen keine Anwendung.[9] Handelsgesellschaft ist die Vorgesellschaft nur (aber auch stets), wenn sie ein Handelsgewerbe iSv § 1 HGB betreibt.[10]
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Problematisch ist, ob auch auf die Gesellschafter einer Handelsgesellschaft die Vorschriften über Kaufleute Anwendung finden:
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Fall 1:[11]
Der persönlich haftende Gesellschafter G der X-OHG sowie der Alleingesellschafter-Geschäftsführer A der Y-GmbH haben sich gegenüber dem Lieferanten L für eine Schuld des Unternehmers U per Telefax verbürgt.
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Die Übersendung einer Bürgschaftsurkunde durch Telefax wahrt nicht die gem. § 766 BGB geforderte Schriftform (vgl. § 126 BGB).[12] Die Bürgschaft wäre somit nach allgemeinen Regeln aufgrund des Formmangels gem. § 125 S. 1 BGB nichtig.[13] Formlos sind Bürgschaften nach § 350 HGB nur wirksam, wenn sie für G und A Handelsgeschäfte sind. Dies setzt voraus, dass G und A Kaufleute sind (§§ 343, 344 HGB).[14] Kaufmann ist jedoch stets nur der Unternehmensträger selbst, also die Kapitalgesellschaft als juristische Person, aber auch die Personenhandelsgesellschaft (Trennungsprinzip). Daher sind bei streng dogmatischer Betrachtung die Gesellschafter generell nicht Kaufleute. Dies ist für Anlagegesellschafter (Aktionäre oder Kommanditisten[15]) auch allgemein anerkannt. Die Kaufmannseigenschaft wird vom BGH jedoch auch für den Alleingesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH verneint;[16] für den persönlich haftenden Gesellschafter einer OHG oder KG in Übereinstimmung mit der ganz hL[17] dagegen bejaht.[18]
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Dieser Auffassung ist nur im Ergebnis zu folgen. Dogmatisch stimmig wird die hM allein durch eine Veränderung der Blickrichtung: Es kommt nicht darauf an, ob der Gesellschafter einer Handelsgesellschaft Kaufmann ist – dies ist generell zu verneinen –, sondern ob die betreffende Norm (hier: § 350 HGB) nach ihrem Zweck auch auf bestimmte Nichtkaufleute entsprechend anwendbar ist.[19] Diese Frage kann – unabhängig vom Recht zur Geschäftsführung[20] – im Hinblick auf einen persönlich haftenden Gesellschafter (wie hier G) in Übereinstimmung mit der hM bejaht werden.[21] Dagegen erscheint es nicht angebracht, den Schutz des § 766 BGB dem geschäftsführenden (Allein-)Gesellschafter einer GmbH – hier A – zu verweigern.[22]
4. Fiktivkaufmann
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Die Regelung in § 5 HGB resultiert aus dem öffentlichen Glauben an die Richtigkeit des Handelsregisters (unten Rn. 51). Daher ist gegenüber demjenigen, der sich auf die Firmeneintragung beruft, der Einwand ausgeschlossen, das betriebene Gewerbe sei kein Handelsgewerbe. Da diese Rechtsfolge auch zugunsten eines bösgläubigen Dritten und sogar gegenüber dem Unternehmer selbst gilt,[23] handelt es sich nicht um eine Rechtsscheinvorschrift.[24]
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Problematisch ist seit der Handelsrechtsreform von 1998 die Abgrenzung gegenüber einer Eintragung gem. § 2 HGB. Es stellt sich nämlich die Frage, ob dem § 5 HGB überhaupt noch ein relevanter Anwendungsbereich verbleibt, da mit der (heute zulässigen) Eintragung des kleingewerblichen Unternehmers dieser zum Kaufmann wird (oben Rn. 13) und somit für eine gesetzliche Fiktion – im Gegensatz zur früheren Rechtslage – prima vista kein Bedürfnis mehr existiert. Dieser Befund hat einen sehr heftigen akademischen Streit ausgelöst,[25] der jedoch kaum praktische Bedeutung hat und auch in der Klausurbearbeitung regelmäßig dahinstehen kann.
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Paradigmatisch ist das Herabsinken des Istkaufmanns zum Kleingewerbetreibenden. Stellt man allein auf das objektive Kriterium der Eintragung ab, ist in Anwendung des § 2 S. 1 HGB die Kaufmannseigenschaft trotz Einschränkung des Geschäftsumfangs zu bejahen.[26] Verlangt man mit der Gegenposition eine positive Ausübung des in § 2 S. 2 HGB niedergelegten Optionsrechts, scheidet die Anwendung des § 2 S. 1 HGB aus und § 5 HGB schützt die berechtigten Interessen des Rechts- und Handelsverkehrs.[27]
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Wichtig:
Es muss ein Gewerbe betrieben werden (zum Begriff unten Rn. 25). Allein die Eintragung eines nichtgewerblichen Unternehmens vermag nach herrschender und zutreffender Auffassung[28] den fiktiven Kaufmannsstatus nicht zu begründen.[29] Denn § 5 HGB fingiert nach seinem klaren Wortlaut – wie § 2 S. 1 HGB (oben Rn. 22) – lediglich, dass das betriebene Gewerbe ein Handelsgewerbe ist. Bei Eintragung eines Unternehmens ohne Gewerbebetrieb kommt zugunsten des gutgläubigen Rechtsverkehrs allerdings § 15 III HGB zur Anwendung (unten Rn. 110).[30]
§ 2 Kaufmannseigenschaft › II. Der Grundtatbestand des § 1 HGB
II. Der Grundtatbestand des § 1 HGB
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Kaufmann ist, wer ein Handelsgewerbe betreibt; Handelsgewerbe ist jeder Gewerbebetrieb, es sei denn, dass das Unternehmen nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erfordert.
1. Betrieb eines Gewerbes
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a) Was ein „Gewerbebetrieb“ ist, definiert das Gesetz nicht. Nach allgemeiner Meinung müssen jedoch folgende Merkmale erfüllt sein:[31]
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