Verteidigung in Mord- und Totschlagsverfahren. Steffen Stern
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Vgl. hierzu BGH Beschl. v. 30.07.1999 – 3 StR 272/99, NStZ 1999, 578 = StV 1999, 579.
BGH Urt. v. 25.06.2010 – 2 StR 454/09, NStZ 2010, 630 = NJW 2010, 2963; hierzu Gaede, NJW 2010, 2925.
Verschärfung des Jugendstrafrechts?, Pro und Contra, ZRP 2008, 71.
http://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Bundesregierung/Koalitionsvertrag.
BR-Dr 26/12.
BT-Dr 655/07; hierzu Scherzberg/Thiee, ZRP 2008, 80.
Teil 1 Einführung › C. Spezifische Erkenntnisprobleme bei Tötungsdelikten
C. Spezifische Erkenntnisprobleme bei Tötungsdelikten
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Die Verurteilung wegen eines vollendeten Tötungsdelikts setzt die Feststellung voraus, dass das Opfer zum Tatzeitpunkt schon oder noch gelebt hat. Dies zu klären, kann im Einzelfall schwierig genug sein. Verbleiben Zweifel, kommt allenfalls Versuchsstrafbarkeit in Betracht, wie etwa im Fall eines Gynäkologen, der im Einvernehmen mit der Patientin während einer Kaiserschnittentbindung darauf hinwirkte, dass das von ihm im Mutterleib für lebend gehaltene missgebildete Kind durch das Fehlen ausreichender Sauerstoffversorgung absterben würde[1]. Ebenso problematisch kann im Einzelfall die Kausalitätsfrage sein[2].
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Die rechtliche Einordnung von Straftaten stellt den Rechtsanwender im Bereich des allgemeinen Strafrechts nur selten vor schwierige Abgrenzungsfragen. Im Bereich der Kapitaldelinquenz ist dies grundlegend anders. Aggressionshandlungen mit tödlichem Ausgang begegnen uns in unendlich vielgestaltiger Form; entsprechend breit ist die Palette der Straftatbestände, die im Einzelfall ernsthaft in Betracht zu ziehen sind. So gut wie nie ist auf Anhieb erkennbar, ob von Mord, Totschlag, Körperverletzung mit Todesfolge, fahrlässiger Tötung oder sogar nur von einer Rauschtat gem. § 323a StGB auszugehen ist. Wird das Opfer lediglich verletzt oder übersteht es den Angriff unversehrt, könnte sich der Tatverdächtige mangels Tötungsvorsatzes oder infolge Rücktritts vielleicht nur wegen einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Körperverletzung strafbar gemacht haben, womöglich auch allein wegen Bedrohung, Nötigung, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder unerlaubten Schusswaffengebrauchs[3].
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Mord und Totschlag können auch durch Unterlassen versucht oder verwirklicht werden. Am Ende kommt es vielleicht „nur“ zur Verurteilung wegen Aussetzung (§ 221 StGB) oder unterlassener Hilfeleistung (§ 323c StGB)[4] oder, wenn ungewiss bleibt, ob selbst schnellste Hilfe dem Opfer Rettung oder zumindest Linderung seiner Qualen bringen konnte[5], zu einem Freispruch. Umgekehrt kann ein Verhalten, das vielleicht zunächst lange Zeit wie ein Fahrlässigkeitsdelikt aussieht und auch so angeklagt wird, erstmals in der Hauptverhandlung dem Strafrichter als Vorsatztat erscheinen und Veranlassung geben, die Hauptverhandlung auszusetzen und gem. § 270 StPO Verweisung des Falles vom AG ans SchwurG zu beschließen[6]. Auch die Anklage wegen Nichtanzeige einer geplanten Straftat kann u.U. in den Vorwurf münden, an dem zugrunde liegenden Tötungsdelikt beteiligt gewesen zu sein[7]. Ist die Sache bei der allgemeinen Strafkammer rügelos „anverhandelt“ worden, ist eine Verweisung ans SchwurG jedoch unzulässig[8].
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Die Schwierigkeiten beginnen bei der stark von subjektiven Aspekten gefärbten Mordkasuistik[9]. Kopfzerbrechen bereitet in praxi auch die Beurteilung jener Fälle, in denen nicht alle Tatbeteiligten ein und dasselbe oder überhaupt ein Mordmerkmal verwirklichen. Genauso verzwickt ist mitunter die Frage nach dem Vorsatzelement, das durch die Rechtsfigur des Eventualvorsatzes[10] kaum noch feste Konturen aufweist. Auch im Kapitalstrafverfahren werden die Täter in steigender Zahl im Labor überführt. Es dominiert der Sachverständigenbeweis. Für einen Großteil der Gewalttaten gibt es ohnehin keinen unmittelbaren Augenzeugen. Zudem ist die Fähigkeit des Menschen, ein bestimmtes Ereignis in allen Facetten lückenlos wahrzunehmen, in der Erinnerung zu speichern und unverfälscht zu reproduzieren, äußerst begrenzt. Unzutreffende Zeugenaussagen sind bekanntlich an der Tagesordnung. Aber auch das Geständnis[11] des Tatverdächtigen, die „Königin aller Beweise“, bedarf grundsätzlich der Absicherung und Überprüfung. Zwar kommen die Vernehmungsspezialisten erstaunlich oft schon in den ersten Verhören des Festgenommenen zum Ziel, doch häufig folgt dem Schuldbekenntnis der Widerruf. Und keineswegs ist dies in allen Fällen der durchsichtige Versuch eines Schuldigen, das Tateingeständnis, das man mit zeitlichem Abstand bereut und als ärgerliche Torheit empfindet, nachträglich aus der Welt zu schaffen.
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Immer wieder sorgen Falschgeständnisse für Aufsehen und Verwirrung. Sie führen nicht nur zu katastrophalen Fehlurteilen, sondern versperren zugleich den Blick auf den unbehelligt gebliebenen wahren Täter und begünstigen womöglich ein folgenschweres Wiederholungsdelikt. Auch der Verteidiger lässt sich von der suggestiven Kraft des Geständnisses blenden. Im Innersten misstraut er den neuerlichen Unschuldsbeteuerungen seines Mandanten und steuert eine maßvolle Strafe an, anstatt auf rückhaltlose Aufklärung zu drängen. Die Blamage ist riesig, wenn sich im Nachhinein erweist, dass der Verteidiger einen wirklich Unschuldigen vom Widerruf abgehalten oder zur Erneuerung des widerrufenen Geständnisses ermuntert hat[12].
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Kaum verwunderlich also, dass dem Sachbeweis nicht zuletzt dank neuer oder verbesserter kriminaltechnischer Untersuchungsmöglichkeiten ständig wachsende Bedeutung zukommt. Unproblematisch ist dies jedoch nicht. Es beginnt mit höchst umstrittenen Methoden der Beweisgewinnung. Da werden mittlerweile ganze Dorfgemeinschaften einem DNA-Vergleich unterzogen. Im Mordfall einer 11-Jährigen aus Stücklingen (Kreis Cloppenburg) wurden im Frühjahr 1998 etwa 18.000 Männer zwischen 18 und 30 Jahren zur freiwilligen Speichelprobe gebeten. Etwa 15.000 haben teilgenommen; unter ihnen auch der später festgenommene mutmaßliche Mörder, der sich offensichtlich zur „freiwilligen“ Mitwirkung „genötigt“ gesehen hat, um nicht Tatverdacht auf sich zu lenken. Die Kosten allein dieses Gen-Massentests beliefen sich auf etwa 4,5 Millionen DM. Der damals 30 Jahre alte Täter, ein Familienvater mit drei Kindern, gestand weitere Missbräuche und einen zweiten Mord. Im Prozess erhielt er die Höchststrafe. Der Reihengentest und die Teilnahme auf freiwilliger Basis wird nun durch § 81h StPO ausdrücklich geregelt.
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Und häufig genug werden auch in Schwurgerichtsverfahren durch Experten interpretierte Untersuchungsbefunde zur reinen Glaubensfrage, weil die angewandten Untersuchungsmethoden aus Juristensicht wenig durchschaubar, geschweige denn in allen Details nachvollziehbar und überprüfbar sind. Die Interpretation von Spurenbildern und Befunden birgt Tücken, wenn es darum geht, Aufschlüsse über die Person des Täters