Handbuch des Aktienrechts. Hans-Peter Schwintowski
keine Ausnahmen zulässt, ist die Zuständigkeit der Hauptversammlung zwingend.
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Ein mit Dreiviertelmehrheit gefasster Hauptversammlungsbeschluss reicht dann nicht aus, wenn die Satzungsänderung bestimmte Rechtspositionen einzelner Aktionäre betrifft. In diesen Fällen ist deren Zustimmung oder ein Sonderbeschluss von Aktionärsgruppen erforderlich. Sollen einzelnen Aktionären durch Satzungsänderung Nebenverpflichtungen auferlegt werden, bedarf ein solcher Beschluss zu seiner Wirksamkeit – wie bei der Gründung – der Zustimmung aller betroffenen Aktionäre (§ 180 Abs. 1 AktG). Die Zustimmung der betroffenen Aktionäre ist insbesondere auch dann erforderlich, wenn die ansonsten freie Übertragbarkeit von Namensaktien an die Zustimmung der Gesellschaft gebunden werden soll (§§ 180 Abs. 2, 68 Abs. 2 AktG). Regelungen, die außerhalb der Vinkulierungsklausel bestimmte Formerfordernisse an die Wirksamkeit der Übertragung von Namensaktien vorsehen, z.B. eine Beurkundung, sind wegen Verstoßes gegen das aktienrechtliche Grundprinzip der freien Übertragbarkeit des Mitgliedschaftsrechts nichtig.[8] Auch soweit eine solche Regelung nicht als Wirksamkeitserfordernis an die Aktienübertragung, sondern als eine Voraussetzung für die Eintragung des Rechtsübergangs in das Aktienregister vorgesehen ist, verstößt sie ebenso wie eine Belastung der Aktionäre mit den Kosten aus dem Formerfordernis gegen dieses Grundprinzip.[9] Bestehen Aktien verschiedener Gattungen und soll das bisherige Verhältnis mehrerer Gattungen zueinander zum Nachteil einer Gattung geändert werden, ist ein Sonderbeschluss der benachteiligten Aktionäre in einer gesonderten Versammlung oder in einer gesonderten Abstimmung erforderlich, der mit einer Kapitalmehrheit von mindestens drei Vierteln zu fassen ist (§ 179 Abs. 3 S. 3 i.V.m. Abs. 2, § 138 AktG).
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Die Befugnis zu Änderungen, die nur die Fassung betreffen, kann die Hauptversammlung auf den Aufsichtsrat übertragen, § 179 Abs. 1 S. 2 AktG.[10] Um Fassungsänderungen handelt es sich, wenn keine materiellen Änderungen vorgenommen werden, sondern sprachliche Anpassungen erfolgen oder Bestimmungen aufgehoben werden, die durch eine Gesetzesänderung überflüssig geworden sind oder sich durch Zeitablauf erledigt haben oder sich durch außerhalb der Satzung liegende Umstände geändert haben.[11] Auch die Formulierung des Textes einer Satzungsbestimmung kann die Hauptversammlung dem Aufsichtsrat überlassen, wenn sie die Satzungsänderung dem Inhalt nach beschlossen hat.[12] Ferner kann die Hauptversammlung die Ermächtigung des Aufsichtsrats zur Vornahme von Fassungsänderungen durch eine entsprechende Satzungsbestimmung beschließen.[13] Der Aufsichtsrat kann seinerseits nach § 107 Abs. 3 AktG einen Ausschuss mit der Aufgabe betrauen. Wurde die Fassungsänderung an den Aufsichtsrat delegiert, ist ein Beschluss dieses Organs erforderlich, der mit einfacher Mehrheit zu fassen ist und in der Sitzungsniederschrift enthalten sein muss.[14] Dieser Beschluss ist vom Vorstand nach § 181 Abs. 1 AktG wie jeder andere satzungsändernde Beschluss zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden.[15]
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In einigen wenigen Fällen ist der Vorstand zur Satzungsänderung berechtigt. Hat die Hauptversammlung den Vorstand ermächtigt, das Grundkapital bis zu einem bestimmten Nennbetrag (genehmigtes Kapital) zu erhöhen und macht der Vorstand hiervon Gebrauch, hat er die Angaben in der Satzung über das Grundkapital und die Anzahl der ausgegebenen Aktien anzupassen und zusammen mit dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats dem Handelsregister zur Eintragung anzumelden (§§ 203 Abs. 1, 188 AktG). Bei der vereinfachten Einziehung von Stückaktien nach § 237 Abs. 3 Nr. 3 AktG kann der Vorstand zur Anpassung der Angabe über die Anzahl der Stückaktien in der Satzung ermächtigt werden.
4. Kapitel Satzung › III. Änderung der Satzung › 2. Verfahren
2. Verfahren
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Eine von der Hauptversammlung zu beschließende Satzungsänderung ist mit dem Beschlussvorschlag der Verwaltung in der Tagesordnung sowie dem Wortlaut der vorgeschlagenen Satzungsänderung bekanntzumachen (§ 121 Abs. 3, § 124 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 AktG). Über eine in der Hauptversammlung gestellte, vom Verwaltungsvorschlag abweichende Satzungsänderung kann ohne Verstoß gegen § 124 Abs. 3 S. 1 AktG Beschluss gefasst werden, wenn er von dem bekanntgemachten Beschlussvorschlag noch gedeckt ist.[16] Börsennotierte AG haben nach § 30c WpHG beabsichtigte Satzungsänderungen unverzüglich nach der Verabschiedung der Tagesordnung, spätestens zum Zeitpunkt der Einberufung der Hauptversammlung der BaFin und den betreffenden Börsenzulassungsstellen mitzuteilen.
4. Kapitel Satzung › III. Änderung der Satzung › 3. Inhalt satzungsändernder Beschlüsse
3. Inhalt satzungsändernder Beschlüsse
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Bei der Änderung von Satzungsbestimmungen ist die Satzungsautonomie zu beachten; insbesondere Änderungen des Mindestinhalts der Satzung (§ 23 Abs. 3 und 4 AktG) müssen den gesetzlichen Vorgaben genügen. Die rechtliche Rückwirkung von Satzungsänderungen wird wegen der konstitutiven Wirkung der Handelsregistereintragung und unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes für Aktionäre und Dritte für die meisten Bestimmungen abgelehnt.[17]
4. Kapitel Satzung › III. Änderung der Satzung › 4. Einzelne Satzungsänderungen
4.1 Sitzverlegung
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Wird der statutarische Gesellschaftssitz verlegt, ist hierzu eine Änderung der entsprechenden Satzungsbestimmung erforderlich, da die Satzung ansonsten unrichtig wird. Ein Auseinanderfallen des tatsächlichen Gesellschaftssitzes, z.B. der Verwaltungssitz im Ausland, und des Satzungssitzes im Inland erfordert wegen der insoweit bestehenden Niederlassungsfreiheit keine Änderung der Satzung.[18]
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Die Sitzverlegung außerhalb des bisherigen Gerichtsbezirks ist bei dem Handelsregistergericht des bisherigen Sitzes anzumelden (§ 45 Abs. 1 AktG). Dieses leitet dem Gericht des neuen Sitzes die Registerakten nach formeller Prüfung der angemeldeten Sitzverlegung weiter. Das neue Gericht hat die Sitzverlegung sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht zu prüfen, einschließlich der Prüfung der Firma auf ihre Unterscheidbarkeit nach § 30 HGB.[19] Die Sitzverlegung wird mit der Eintragung im neuen Handelsregister wirksam. Leider kommt es in der Praxis vor, dass ein Gericht des bisherigen Sitzes den Antrag auf Eintragung der Sitzverlegung nebst den Registerakten an das Registergericht des neuen Sitzes weiterleitet, auch wenn ausdrücklich beantragt wird, die Sitzverlegung erst nach Eintragung einer gleichzeitig beschlossenen sonstigen Satzungsänderung wie etwa eine Kapitalerhöhung oder gar eines Verschmelzungsbeschlusses zu behandeln. Um eine zügige Eintragung z.B. der Kapitalerhöhung nicht zu gefährden, empfiehlt sich hinsichtlich der Sitzverlegung eine separate, zeitlich spätere Anmeldung bei Gericht einzureichen.
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Der EuGH hat in einer Reihe von Entscheidungen klargestellt, wie eine Sitzverlegung innerhalb der EU funktioniert, wobei zwischen dem sog. Wegzug und Zuzug unterschieden nach europäischem und nicht-europäischem Ausland sowie zwischen der Verlegung des Satzungssitzes und des Sitzes der Verwaltung oder Niederlassung differenziert wird.[20] Wird der statutarische Sitz der Gesellschaft in das Ausland verlegt, führt dies – anders als bei der Europäischen Aktiengesellschaft (Art. 8 SE-VO) – nach überwiegender Auffassung zur Auflösung der Gesellschaft.[21] Nach anderer Auffassung