Handbuch des Aktienrechts. Hans-Peter Schwintowski
und stattdessen die GmbH gewählt hatten. Die kleine AG sollte die AG für mittelständische Unternehmen im Generationswechsel nutzbar machen, wobei insbesondere die klare „Gewaltenteilung“ von Geschäftsführung und Anteilseignern als vorteilhaft gegenüber der personalistisch ausgerichteten GmbH gesehen wurde. Ferner sollte die kleine AG eine Zwischenphase auf dem Weg zur Publikumsgesellschaft bieten und dadurch die deutschen Unternehmen zum Börsengang animieren. Das ist gelungen, wenn auch nicht alle Börsenblüten aufgegangen sind (2001/2002 – Scheitern des Neuen Markts). Die kleine AG war der Beginn eines Schismas innerhalb des Aktienrechts in geschlossene Aktiengesellschaft und Börsengesellschaft. Die weitaus größere Zahl der AG sind heute kleine AG (nur ca. 800 börsennotierte von ca. 19 500 AG insgesamt).
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Daneben wurde mit dem Gesetz u.a. auch der Bezugsrechtsausschluss erleichtert,[55] ein für damaliges Verständnis revolutionärer Vorgang, dem Zöllner noch ein „Das werden wir wegkommentieren“ entgegengeschleudert hatte.[56]
3.2.4 KonTrAG
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In der 13. Wahlperiode kam das Kontrolle- und Transparenzgesetz, das so genannte KonTraG, die erste große Corporate Governance Gesetzgebung, mit der die anglo-amerikanisch geprägte Diskussion für das deutsche Recht fruchtbar gemacht wurde.[57]
Ziele des KonTraG waren:
– | Es ging, wie der Name des Gesetzes schon sagt, zum einen um mehr Transparenz und bessere Information der Kapitalmärkte. Diese Transparenz sollte als Steuerungsmittel dienen, um Einfluss auf das Verhalten der Organe der AG zu nehmen.[58] |
– | Weitere Zielsetzung war die Stärkung der Rolle des Aufsichtsrats, eine effizientere Kontrolltätigkeit des Aufsichtsrats und damit auch, ohne dass dies im Gesetz ausdrücklich gesagt worden wäre, eine Stärkung der Stellung des Aufsichtsratsvorsitzenden.[59] |
– | Drittens wurde die Unabhängigkeit und Qualität der Abschlussprüfung verbessert und vor allem die Rolle des Abschlussprüfers neu definiert. Es ist mit dem KonTraG wieder ins Bewusstsein gerückt worden, dass der Abschlussprüfer ein Hilfsorgan des Aufsichtsrats ist und nicht des Vorstands. Er wurde deshalb näher an den Aufsichtsrat herangerückt. Dies mag sich auf den ersten Blick nur in kleinen Gesetzesänderungen niedergeschlagen haben, hat aber ein erhebliches Umdenken bewirkt.[60] |
– | Viertens wurde dem Grundsatz one-share-one-vote durch Abschaffung der Mehr-[61] und Höchststimmrechte weitere Geltung verschafft, womit Deutschland allerdings weiter gegangen ist als die anderen europäischen Mitgliedstaaten. |
– | Zuletzt war Ziel des KonTraG eine allgemeine Deregulierung des Aktienrechts auch im Hinblick auf wichtige Finanzierungsinstrumente, die auf den internationalen Kapitalmärkten üblich sind. Dadurch kamen auch der Eigenerwerb von Aktien und die Stock-Options-Programme in die Reformdiskussion. Bei den Stock-Options-Programmen sehen wir wieder einen starken Zusammenhang zum Corporate Governance-Thema, denn Aktienoptionsprogramme mit zielgenauer Anreizwirkung sollten durch eine Parallelisierung von Vorstands- und Aktionärsinteressen als Steuerungsinstrument zur Verhaltensbeeinflussung des Managements dienen. |
1. Kapitel Geschichte und Zukunft des Aktienrechts › III. Bisherige Entwicklung des Aktienrechts in Deutschland › 4. Die Regierungskommission Corporate Governance
4.1 Corporate Governance – ein Thema mit Tradition
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Eine Diskussion um die Optimierung des Regelwerks zu Führung, Kontrolle und Einfluss bei börsennotierten Unternehmen gibt es in Deutschland schon so lange wie die AG existiert. Unter dem Schlagwort Corporate Governance wurde die Diskussion seit Beginn der 1990er Jahre öffentlich geführt und mündete in den Erlass des KonTraG und in der Folgezeit eine Vielzahl von Reformgesetzen. Auslöser waren ursprünglich und immer wieder Unternehmenskrisen, die heute schon zur Wirtschaftsgeschichte des Landes gehören.[62]
4.2 Philipp Holzmann und die Wiederkehr der Corporate Governance Diskussion
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Im Jahr 2000 kam – nach der jahrelangen Diskussion um das KonTraG eigentlich überraschend – eine erneute Corporate Governance-Diskussion über Deutschland. Auslöser war auch diesmal wieder eine Unternehmenskrise, es handelte sich vor allem um Philipp Holzmann – und dieser Fall warf bei näherer Betrachtung auch tatsächlich ganz erhebliche Fragezeichen zur Corporate Governance auf (ein Bauunternehmen, das auf eigene Rechnung milliardenschwere Großprojekte beginnt, die sich offenbar von Anfang an nicht rechnen, verheimlichte Mietgarantien, Defizite im Controlling und in der Rechnungslegung). Man konnte politisch zwar sagen, das KonTraG sei durch diese Krise nicht widerlegt, sondern habe nur noch nicht die Zeit gehabt, zu greifen.[63] Aber die politische Diskussion war wieder da. Die politische Corporate Governance Diskussion und Gesetzgebung ist stets skandalgetrieben.
4.3 Die Regierungskommission Corporate Governance
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Auf Initiative des Kanzleramts wurde im Mai 2000 die Regierungskommission Corporate Governance eingesetzt.[64] Sie hatte mit Theodor Baums einen herausragenden Wissenschaftler als Vorsitzenden. Sie war zudem überwiegend mit hochrangigen Praktikern aus Industrie, Versicherungs- und Kreditwirtschaft, neuen Medien, Gewerkschaften und Börse besetzt. Sie legte ihren zahlreiche Aspekte des Aktienrechts und der internationalen Entwicklung abdeckenden Bericht im Juli 2001 vor.[65]
4.3.1 Brain Storming
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Die Regierungskommission Corporate Governance beschränkte sich thematisch nicht auf den Kern der bisherigen Corporate Governance-Diskussion, wie etwa Rechte, Pflichten und Verantwortlichkeiten von Vorstand und Aufsichtsrat. Die Kommission wählte vielmehr einen sehr breiten Ansatz und machte in einer Art Brain Storming eine Umfrage bei allen maßgeblichen Verbänden und vielen in- und ausländischen Experten.[66]
4.3.2 Vielzahl punktueller Änderungsvorschläge
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Die Kommission empfahl keine Gesamtreform des deutschen Aktienrechts, sondern nur eine Revision in zahlreichen Einzelpunkten; insgesamt waren es ca. 150 Vorschläge. Interessanterweise hat die High Level Group der EU-Kommission (sog. Wintergruppe) in der Folgezeit denselben Ansatz gewählt. Es war (und ist) nicht die Zeit der großen Kodifikationen.
Unter dem Eindruck der Empfehlungen der Kommission folgten nach dem Gesetz für kleine Aktiengesellschaften, dem KonTraG, dem StückAG und dem NaStraG Schlag auf Schlag weitere Novellen. Woran liegt es, dass unser Aktienrecht in so vielen Punkten reformbedürftig war und ist? Gibt es einen Plan, der hinter der Corporate-Governance-Gesetzgebung seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts steht? Diesen Fragen soll im nächsten Abschnitt (5) nachgegangen werden.
1. Kapitel Geschichte und Zukunft des Aktienrechts › III. Bisherige Entwicklung des Aktienrechts in Deutschland › 5. Leitlinien