Handbuch des Aktienrechts. Hans-Peter Schwintowski
gesehen werden, die insbesondere die börsennotierten Gesellschaften trifft. Auch dies dient dem Handlungsnachweis der Politik nach der Finanzkrise und betrifft vor allem das Kapitalmarktrecht und den regulierten Bereich (Banken, Versicherungen). So sinnhaft das alles sein mag und so gute Gründe in jedem Einzelfall dafür angeführt werden mögen, sollte man sich doch nicht der Illusion hingeben, durch politische Regulierung und ein immer enger geschnürtes Corporate Governance Korsett jedes Scheitern wegorganisieren zu können, denn Scheitern ist die notwendige eine Seite des unternehmerischen Handelns, dessen andere Seite die Chance ist. Oder um an Josef Schumpeter zu erinnern: „die kreative Zerstörung ist Quelle unseres Wohlstands“.[9] Wir sind heute an einem Punkt angelangt, an dem die Börsengänge in Deutschland rückläufig sind. Die Frosta-Entscheidung des BGH von 2013[10] hat den Überlegungsprozess zum Delisting noch beschleunigt und manche haben das Zeitfenster vor der gesetzlichen Neuregelung durch das Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie[11] für ein Going-Private[12] genutzt. Das ist für unseren Finanzplatz und für die Möglichkeiten unserer Bürger, ihr Geld in einem extremen Niedrigzinsumfeld sinnvoll anzulegen und an der Prosperität unserer Unternehmen teilzuhaben, bedauerlich. Auch benötigen wir die Börse als organischen Exit für die Start-up- und Private-Equity-Investoren. Ein schwacher IPO-Markt für Wachstumsunternehmen erschwert die Venture Capital-Versorgung für die Gründer. Wir benötigen aber die jungen Unternehmen als Innovationstreiber in einer alternden Industriegesellschaft. Das IPO hat natürlich noch weitere wichtige Funktionen, u.a. zur Schaffung einer Übernahmewährung und zur Erleichterung von Mitarbeiterbeteiligungen. Wir müssen aufpassen, gutgemeinte Regulierung nicht zu überdrehen – auch wenn man hoffen darf: Das Geld ist rund und es rollt über alle Hindernisse hinweg immer dorthin, wo es sich am besten zu vermehren hofft.
Anmerkungen
Seibert/Hartmann FS Stilz, S. 585.
V. 24.4.2015 (BGBl I, 642); Kritik dazu auch bei Seibt ZIP 2015, 1193, 1194 und passim.
Hommelhoff FS Kübler, S. 291.
Beispiel: EC launches consultation on sustainable investment, 2016.
Zum mehrstöckigen Principal-Agent-Problem vergl. m.w.N. auch Langenbucher FS Hoffmann-Becking, S. 733, 734; ferner Seibert FS Hoffmann-Becking, S. 1101 ff.
Organization for Economic Co-operation and Development.
Seibert FS Hoffmann-Becking, S. 1101; Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der RL 2007/36/EG im Hinblick auf die Förderung der langfristigen Einbeziehung der Aktionäre sowie der RL 2013/34/EU in Bezug auf bestimmte Elemente der Erklärung zur Unternehmensführung v. 9.4.2014 (KOM (2014) 213 final).
Vgl. Beurskens/Noack Shareholder‚s meeting – From Personal Get-Together to Dynamic Decision-Making, http://notizen.duslaw.de/digitaler-binnenmarkt-digitale-hauptversammlung/.
So auch Wuffli Vortrag „Führung, Ethik und Unternehmertum“ auf der Handelsblatt-Private Equity Tagung 1.7.2015, HB 8.7.2015, S. 28.
BGH DStR 2013, 2526.
Gesetz v. 20.11.2015 (BGBl I, 2029).
Bungert DB 2015, 25.
2. Kapitel Grundlagen
Inhaltsverzeichnis
I. Wesen der Aktiengesellschaft
IV. Verfügungen über die Aktie
V. Die Rechtsstellung der Aktionäre
VI. Beendigung der Mitgliedschaft
2. Kapitel Grundlagen › I. Wesen der Aktiengesellschaft
I. Wesen der Aktiengesellschaft
1
Die wichtigsten Wesensmerkmale der AG werden – wie es die amtliche Überschrift zu dieser Vorschrift nahe legt – in § 1 AktG aufgezählt. Hiernach ist die AG eine Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit, für deren Verbindlichkeiten den Gläubigern nur das Gesellschaftsvermögen haftet und deren Grundkapital in Aktien zerlegt ist.
2. Kapitel Grundlagen › I. Wesen der Aktiengesellschaft › 1. Aktiengesellschaft als Gesellschaft im weiteren Sinne
1. Aktiengesellschaft als Gesellschaft im weiteren Sinne
2
Nach § 1 Abs. 1 S. 1 AktG handelt es sich bei der AG um eine Gesellschaft. Das AktG verwendet den Gesellschaftsbegriff indessen nicht im engeren Sinne, also i.S.d. §§ 705 ff. BGB.[1] Denn bei der AG ist schon nicht gewährleistet, dass wenigstens zwei Gesellschafter, die einen gemeinsamen Zweck verfolgen, vorhanden sind. Die AG ist vielmehr eine Körperschaft, also – wenn man so will –[2] eine Gesellschaft im weiteren Sinne. Es handelt sich bei der AG um einen Sonderfall des