Arztstrafrecht in der Praxis. Klaus Ulsenheimer
BGH Urt. v. 18.7.1978 – 1 StR 209/78.
OLG Frankfurt a.M. MedR 2003, 222; ebenso OLG Frankfurt a.M. GesR 2013, 415 (Besondere Sicherungs- und Überwachungspflichten bei psychisch kranken Personen nur in Fällen akuter Selbstgefährdung).
BGH NJW 2000, 2754, 2756; näher m.w.N. NK/Gaede § 13 Rn. 43 ff.; zu Recht bzgl. des eigenverantwortlichen Suizides insbesondere hinsichtlich der Bedeutung des Berufsrechts einschr. BGH medstra 2019, 363, 366 f.
BGH NJW 2003, 2309, 2311.
BGH NJW 2003, 2309, 2311 m. krit. Anm. Laufs NJW 2003, 2288. Siehe auch Ulsenheimer in: Protokoll der 50. Sitzung des ADAC-Ärzte-Collegiums, 2007, S. 51 ff.
Siehe dazu OLG Frankfurt a.M. MedR 2003, 222; BGH NJW 2000, 3425; NJW 1994, 794 und in diesem Sinne Ulsenheimer, Vorauflage, Rn. 141.
BGH NJW 2000, 2754, 2756.
BGH NJW 2000, 2754, 2755; Eufinger MedR 2019, 547, 549 f.
BGH NJW 1993, 2628; siehe einordnend auch NK/Gaede § 13 Rn. 38 ff.
RGSt 64, 276; 73, 55; BGHSt 3, 66; BGH JR 1956, 347; BGH JZ 1983, 151; NK/Gaede § 13 Rn. 31 und 40.
BGH NJW 2000, 2754, 2755.
BGH JZ 1983, 151 = NJW 83, 351 m. krit. Anm. Kreuzer JR 1984, 294.
BGHSt 47, 224, 230.
Dazu näher NK/Gaede § 13 Rn. 37a und 47, auch zur Bedeutung der Zumutbarkeit Rn. 17 f.
Hierzu streng tendierend OLG Oldenburg medstra 2019, 101 und Dann medstra 2019, 1 f.; krit. und einschränkend Eufinger MedR 2019, 547, 549 f. mit Verweis auf BGHSt 52, 159.
BGH MDR 1994, 38 f.
Kapitel 1 Das materielle Arztstrafrecht Vorbemerkung › Teil 1 Fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) und fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB) › III. Begriff und Erscheinungsformen des Behandlungsfehlers
1. Begriff
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Unter dem Behandlungsfehler versteht man einen Verstoß gegen den fachärztlichen Standard, d.h. jede ärztliche Maßnahme, die nach dem jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft unsachgemäß ist. Ein Behandlungsfehler setzt voraus, dass der Arzt in der konkreten Behandlungssituation „nicht das Verhalten zeigte, welches nach dem anerkannten und gesicherten Stand der medizinischen Wissenschaft vom ihm erwartet werden musste“, ist also zu bejahen, wenn sich die vorgenommene Behandlung angesichts des Wissenstandes in Praxis, Forschung und Lehre als „nicht mehr vertretbar“ erweist.[1] „Allein das Vorhandensein neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse“ führt jedoch „noch nicht zwangsläufig“ zu einem solchen Verdikt für eine bestimmte Behandlungsmethode.[2] Gleichgültig ist, ob es sich um ein Tun oder Unterlassen, um die Vornahme einer medizinisch nicht sachgerechten oder um die Nichtvornahme einer medizinisch gebotenen Maßnahme handelt oder ob der Arzt vor, bei oder nach der Behandlung in diagnostischer oder therapeutischer Hinsicht fehlerhafte Entscheidungen getroffen hat.[3]
Anders formuliert:
„Ob dem Arzt ein Behandlungsfehler anzulasten ist, der zu einer Gesundheitsschädigung des Patienten geführt hat, beantwortet sich ausschließlich danach, ob der Arzt unter Einsatz der von ihm zu fordernden medizinischen Kenntnisse und Erfahrungen im konkreten Fall vertretbare Entscheidungen über die diagnostischen sowie therapeutischen Maßnahmen getroffen und diese sorgfältig durchgeführt hat“.[4] „Eine Unterschreitung des zu fordernden Qualitätsstandards ist erst dann gegeben, wenn die Vorzugswürdigkeit einer (neuen) Methode im Wesentlichen unumstritten ist“.[5]
2. Der „Kunstfehler“-Begriff
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Sowohl in der medizinischen Wissenschaft als auch in Rechtsprechung und Lehre hatte sich insoweit der Begriff des „Kunstfehlers“[6] eingebürgert, hinsichtlich dessen Inhalt jedoch keineswegs Einigkeit, sondern eine geradezu verwirrende Vielfalt höchst unterschiedlicher Auffassungen besteht. So sah beispielsweise der berühmte Mediziner Virchow einen Kunstfehler nur bei Verstoß gegen die allgemein anerkannten Regeln der medizinischen Wissenschaft als gegeben an[7] und in diesem Sinne verstand ihn auch die ältere Judikatur.[8] Mezger[9] bezeichnete mit diesem Begriff dagegen jedes Verhalten des Arztes, das „rein objektiv gesehen den Regeln ärztlicher Kunst nicht entspricht, unter Einschluss bloßen Versehens oder bloßen Missgeschicks“. Andere gebrauchten das Wort Kunstfehler synonym mit „Fahrlässigkeit“[10], verbanden also „das Unwerturteil über den Arzt als handelnde Person wegen seiner subjektiven Sorgfaltspflichtverletzung mit dem objektiven Sachverhalt“[11] oder bezeichneten damit nur den „schwerwiegenden“ Verstoß gegen die gebotene ärztliche Sorgfalt.
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In der höchstrichterlichen Rechtsprechung wird ausdrücklich hervorgehoben, dass sich „Kunstfehler und Verschulden nicht immer decken“:[12]
„Mag auch der Arzt […] regelmäßig nur dann schuldhaft handeln, wenn er von anerkannten Regeln der Wissenschaft abweicht, so kann doch im Einzelfall ein fahrlässiges Verschulden im Sinne von § 276 BGB auch dann gegeben sein, wenn kein ärztlicher Kunstfehler vorliegt. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Ansichten der Fachkreise auseinander gehen und die Regeln, gegen die verstoßen worden ist, noch keine allgemeine Anerkennung in der Wissenschaft gefunden haben. In derartigen Fällen, […] dürfen […] die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Arztes nicht überspannt werden“.
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Obwohl