Arztstrafrecht in der Praxis. Klaus Ulsenheimer
Tod nicht mehr hätte verhindern können.
Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch das Schöffengericht hatten fälschlicherweise keinerlei Abgrenzung zwischen den Zuständigkeitsbereichen des HNO-Arztes und des Anästhesisten vorgenommen, sondern gingen ohne nähere Auseinandersetzung mit dieser Frage einfach davon aus, dass der Anästhesist – trotz Fehlens einer konkreten Absprache oder Anordnung – für die Überwachung des Kindes auf der HNO-Station verantwortlich sei. Das Landgericht Gießen hat erfreulicherweise in der Berufungsinstanz die Unhaltbarkeit dieser Auffassung erkannt und den Anästhesisten freigesprochen, da das Kind sich nach dem Eingriff auf der Station im Aufgaben- und Verantwortungsbereich des – nicht einmal angeklagten(!) – HNO-Arztes befand und dieser daher für die postoperative Überwachung des Kindes Sorge zu tragen hatte.
Derartige Fälle mit zu Unrecht beschuldigten Anästhesisten sind keine Seltenheit. Wenn jedoch der Zustand des Patienten eine lückenlose Überwachung erforderlich macht, wegen des fehlenden Aufwachraums der Patient aber sofort auf die (z.B. chirurgische) Station kommt, gelangt er in die Obhut und damit Verantwortung der zuständigen Ärzte und Pflegekräfte der bettenführenden Abteilung. Insoweit fehlt dem Anästhesisten die Anordnungskompetenz auf der Station, es sei denn, dass entsprechende Absprachen zwischen den Abteilungen getroffen worden sind.[110]
In diesen Zusammenhang gehört auch eine Entscheidung des LG Aurich[111]. Nach einer Ohrmuschel-Korrekturoperation kam es bei einem 3 Jahre alten Kind postoperativ in einem Krankenhaus ohne Aufwachraum zu einem tödlichen Zwischenfall, bei dem sich eine schleichende Ateminsuffizienz entwickelte, die von dem mit der Überwachung beauftragten Pflegepersonal nicht erkannt wurde. Das LG verneinte im Gegensatz zum Amtsgericht ein Überwachungs- und Organisationsverschulden des Anästhesisten.
„Dies folgt nicht etwa daraus, dass Komplikationen, die sich aus der Operation selbst ergeben, in die Verantwortung des HNO-Arztes fallen, denn die Störung bei dem Patienten war narkosebedingt. Die Zuständigkeitsverteilung in der postoperativen Phase ergibt sich im […] Hospital aus den räumlichen Umständen und den Absprachen zwischen Anästhesisten und Operateuren. Da kein Aufwachraum vorhanden war, dessen organisatorische Leitung in die Hände des Anästhesisten fiel, wurden die Patienten auf die jeweiligen Stationen verbracht. Der Leiter der Anästhesieabteilung hat bekundet, dass die Abgrenzung der Zuständigkeiten so geregelt gewesen sei, dass mit Übernahme der Patienten auf die Station die postoperative Überwachung von dort aus durchgeführt werde. Damit habe die Verantwortlichkeit des Anästhesisten geendet, schon deshalb, weil der Anästhesist auf der Station keinerlei Kompetenzen und Weisungsbefugnisse gehabt habe“.
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(f) Nach denselben Grundsätzen bejahte der BGH[112] die Verantwortung des Operateurs, der einen vom Anästhesisten zur Narkose gelegten zentralvenösen Zugang in Gestalt einer Verweilkanüle nach der Operation zur Infundierung von Medikamenten weiterverwandte, dabei aber nicht genügend fixierte bzw. überwachte, so dass die Patientin – ein 4 Monate altes Mädchen – an einem Entblutungsschock starb. Wörtlich heißt es:
„Zwar ist die Kanüle in der Operation von dem Anästhesisten gelegt worden, um die Narkose der Patientin zu ermöglichen; die Entscheidung zu dieser Maßnahme, ihre Durchführung und eine gefahrenvorbeugende Kontrolle in der operativen und in der postnarkotischen Phase bis zur Wiedererlangung der Schutzreflexe der Patientin und bis zu ihrer Verlegung in die Krankenstation waren dessen Sache, nicht die Aufgabe des Urologen. Hier hat sich der Zwischenfall aber zu einem Zeitpunkt ereignet, zu dem die Patientin schon 2 Tage auf der Kinderchirurgischen Station lag, die Narkose und ihre Nachwirkungen längst nicht mehr in Frage standen und es nunmehr nur noch um die therapeutische Nachbehandlung des operativen Eingriffs ging […] Dieser Behandlungsabschnitt gehört grundsätzlich nicht mehr zum Verantwortungsbereich der Anästhesie, sondern zur fachlichen Zuständigkeit des hier die Nachbehandlung weiterführenden Operateurs. Die Entscheidung über das Belassen der Kanüle zur Applikation von Medikamenten ebenso wie die Anwendung von Maßnahmen zur Sicherung vor Komplikationen, die mit der Weiterverwendung der Kanüle verbunden sein könnten, waren – soweit diese Entscheidungen von einem Arzt zu treffen waren – in dieser Phase“ dem Urologen zugewachsen. [113]
Ein weiteres instruktives Beispiel für die postoperative Kompetenzverteilung bietet eine Entscheidung des LG Karlsruhe[114]:
Nach Entfernung eines gutartigen Tumors an der Bauchspeicheldrüse in Allgemeinnarkose, kombiniert mit einer Katheterperiduralanästhesie (sog. Epiduralanästhesie), wurde der Patient auf die Chirurgische Station (zurück-)verlegt. Dort entwickelte sich im Bereich der Kathetereinstichstelle über Tage ein Abszess und eine Querschnittslähmung, die trotz der Klagen des Patienten über anhaltende Rückenschmerzen nicht rechtzeitig erkannt wurden. Erst am 10. postoperativen Tag stellte man die Diagnose „Querschnittslähmung“, die jedoch auch durch eine neurochirurgische Operation nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte, so dass der Patient heute an den Rollstuhl gefesselt ist.
Auch in diesem Falle ist nicht der Anästhesist, der durch die Periduralanästhesie den Abszess verursacht hatte, für die eingetretene Körperverletzung verantwortlich, vielmehr war der Patient bereits auf die Chirurgische Station zurückverlegt, für die die dort tätigen Chirurgen die Verantwortung tragen. Das Landgericht Karlsruhe wertete die unterbliebene Hinzuziehung der Anästhesisten durch die Chirurgen deshalb als (groben) Behandlungsfehler. Eine Haftung des zuständigen Anästhesisten käme jedoch dann in Betracht, wenn er am 2. postoperativen Tag über die Rückenschmerzen des Patienten informiert wurde, den Periduralkatheter entfernte und dabei einen auffälligen Befund (Rötung an der Einstichstelle) bemerkte, darüber aber seine chirurgischen Kollegen nicht informiert hätte.
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(g) Um die Abgrenzung der Verantwortlichkeit zwischen Gynäkologen und Anästhesisten für den Tod einer Patientin nach einer Kaiserschnittoperation ging es in der (zivilrechtlichen) Entscheidung BGH NJW 1987, 2293[115]. Dort heißt es unter Bestätigung der oben dargelegten Grundsätze:
„Für die unterlassenen diagnostischen Maßnahmen während der postoperativen Phase der Behandlung der Patientin nach der Kaiserschnittoperation ist der Zweitbeklagte nicht verantwortlich. Er ist nur als Anästhesist tätig geworden, und nur insoweit ist er an der Behandlung der Patientin beteiligt gewesen. Die Anästhesie bei der Kaiserschnittentbindung hatte nicht er geführt, so dass ihn auch deswegen keine nachwirkenden Pflichten bei der postoperativen Beobachtung und Weiterbehandlung der Patientin trafen. Es war nach allem nicht seine Aufgabe, sich an diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen zu beteiligen, die nicht mit der Vorbereitung und Durchführung der Anästhesie bei der Wundrevision zusammenhingen. Vielmehr war die Behandlung der Patientin im Übrigen nach der Arbeitsteilung zwischen dem Gynäkologen und ihm als Anästhesisten allein die Aufgabe des Gynäkologen.
Es begründet aber keine Haftung für Unterlassungen bei der Behandlung der Patientin, dass er in seinem anästhesiologischen Aufgabenbereich die Befunde nicht erhoben hat. Er war für die Therapie im Übrigen nicht zuständig und hatte in sie allenfalls einzugreifen, wenn er über zusätzliches und besseres Wissen verfügte oder wenn er offensichtliche ärztliche Versäumnisse erkannte, auf die er dann seine Kollegen hinzuweisen hatte.“
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(h) Von besonderer Haftungsrelevanz sind alle „Schnittstellen“ im Krankenhaus und deshalb unbedingt regelungsbedürftig. Subsidiär wird in der Judikatur auf die interdisziplinären Absprachen zwischen den beteiligten Fachverbänden bzw. Fachgesellschaften, z.B. über die Lagerung des Patienten auf dem OP-Tisch, die Vornahme von Bluttransfusionen oder die postoperative Schmerztherapie zurückgegriffen[116]. Wurde der Patient entsprechend den Vorgaben des Operateurs vom Operationspfleger gelagert, haben Operateur und Anästhesist eine Kontrollpflicht[117]. Während die Durchführung der Lagerung zum Verantwortungsbereich