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Prävention führe zu nichts. Im Gegenteil ist Präventionsarbeit ein tägliches Tun der Polizei, wie sich in den Beiträgen von Birgit Thinnes (Gewaltprävention in Schulen), Peter Schlanstein (Gefahrenabwehr im Verkehr) und Wolfgang Wendelmann (Intensivtäterprogramme) zeigt. Es ließen sich noch zahlreiche andere Beispiele finden, doch diese Beiträge veranschaulichen schon einmal deutlich, wie sich der Anspruch der polizeilichen Prävention in der Praxis bewährt. Das gilt auch für den innerpolizeilichen Umgang miteinander – der darauf angewiesen ist, dass die Führung „vor die Lage kommt“, wie Thomas Baadte deutlich macht.
Einen Blick über den nationalen Tellerrand ermöglicht der Text von Christian Kaunert, Mike Edwards und Ori Wertman, der sich den jeweiligen Ansätzen der Terrorismusprävention in Israel und im Vereinigten Königreich widmet. Da beide Länder über umfangreiche Erfahrung mit teilweise groß angelegten Terroranschlägen verfügen, ist hier eine veralltäglichte Prävention weiter verbreitet als in vielen anderen westlichen Ländern.
Bei aller Erfahrung mit der präventiven Abwehr von Gefahren bleiben Fragen offen. Dieses gilt insbesondere für das recht neue Themenfeld des „Predicitive Policing“, an das einige präventive Hoffnungen geknüpft sind. Während Simon Egbert untersucht, welche Konzepte von Gefahr und Gefahrenabwehr hier technisch umgesetzt werden, geht Niels Jansen der Frage nach, welche Vorstellungen von Zukunft bei „Predicitive Policing“ zum Anschlag kommen. Nils Zurawski fragt sich in seinem Beitrag, ob es der Polizei eigentlich daran gelegen sein kann, so vor die Lage zu kommen, dass niemand mehr Ruhe und Ordnung wiederherstellen muss.
Malte Schophaus beleuchtet den Bereich der polizeilichen Ausbildung, wobei er den Blick in die Vergangenheit mit dem Blick in die Zukunft verbindet: das recht neue Lehrformat „Berufsrollenreflexion“, das an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW angeboten wird, soll dazu dienen, aus Erfahrungen zu lernen und sich auf vergleichbare Situationen in der Zukunft einzurichten.
Eine Behörde, die par excellence in der Zukunft agiert, ist der Verfassungsschutz. Sein Aufgabenbereich findet sich „Vorfeld des strafrechtlichen Staatsschutzes“ – ist also noch präventiver als der der Polizei. Gordian Meyer-Plath beschreibt in seinem Beitrag diese in vielerlei Hinsicht einzigartige Behörde, wobei er insbesondere auf die Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz eingeht. Alexander Kuche interessiert sich auch für Zusammenarbeit und zwar zwischen Behörden und Institutionen, die zusammenfinden, weil sie gemeinsam präventive Maßnahmen beraten und vorbereiten. Es ist bemerkenswert, dass in diesem Artikel das wiederzufinden ist, was die mantische Vorausschau schon immer kannte: die Ahnung, den eher gefühlten Kontakt zu den Beteiligten.
Vielleicht deutet sich hier an, dass Prävention noch immer letztlich ein gewisses wortloses Gespür für das braucht, was eintreten könnte. Wie sich das mit den Rationalitätserfordernissen der Moderne überein bringen lässt, müsste sich wohl noch klären.
Literatur:
Ewald / Gollier / Sandeleer (2001): Le Principe de Précaution
Hölscher (1999): Die Entdeckung der Zukunft
Hogrebe (Hrsg.) (2005): Mantik
* Jonas Grutzpalk ist Professor für
Sozialwissenschaften am Studienort Bielefeld der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW.
Der präventive Horizont
Von Matthias Leanza*
Im Juli 2015 hat der Deutsche Bundestag das „Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention“ verabschiedet. Damit gelangte ein rund zehn Jahre währender Gesetzgebungsprozess, der mehrfach aufgeschoben und unterbrochen worden war, an sein Ende. Wie bereits der erste Gesetzentwurf von 2005 darlegte, habe man „die gesundheitliche Prävention neben der Akutbehandlung, der Rehabilitation und der Pflege zu einer eigenständigen Säule im Gesundheitswesen“ auszubauen.
„Prävention ist keine Erfindung der jüngeren Vergangenheit. Der Präventionsgedanke lässt sich bis in die Zeit der Aufklärung zurückverfolgen.“
Das Präventionsgesetz ist jedoch nicht das erste Gesetz in Deutschland, das dem gesundheitlichen Schutz der Bevölkerung dienen soll. Man denke nur an das Reichsimpfgesetz von 1874, mit dem die Pockenschutzimpfung obligatorisch wurde, oder an das Reichsseuchengesetz von 1900. Die nach dem Zweiten Weltkrieg gegründete Weltgesundheitsorganisation konnte mit den Internationalen Sanitäts- und Gesundheitsvorschriften von 1951, 1969 und dann – nochmals vollständig überarbeitet – 2005 sogar globale Standards und Rechtsnormen auf diesem Gebiet etablieren.
Diese wenigen Beispiele weisen bereits darauf hin, dass Prävention keine Erfindung der jüngeren Vergangenheit ist. Vielmehr reicht ihre Geschichte bis mindestens ins 19. Jahrhundert zurück - und wie ich zeigen möchte, lässt sich der Präventionsgedanke noch einmal hundert Jahre weiter bis in die Zeit der Aufklärung zurückverfolgen.
Überdies ist Prävention nicht auf den medizinischen oder gesundheitlichen Bereich beschränkt. Neben der Gesundheitsvorsorge bilden auch Unfall-, Katastrophen- und Umweltschutz sowie Gewalt- und Kriminalitätsprävention weitere Kernbereiche von Vorsorge in der Gegenwart. Es stellt sich daher die Frage, was die verschiedenen Präventionsfelder und -maßnahmen gemeinsam haben, so dass es gerechtfertigt ist, sie unter einen Begriff zu subsumieren.
Prävention kann allgemein als der Versuch betrachtet werden, zukünftige Schäden durch Maßnahmen im Hier und Jetzt zu verhindern. Prävention bezieht sich stets auf etwas, das noch nicht geschehen ist und auch nicht geschehen soll, aber geschehen könnte. Es ist – mit anderen Worten – ein Potenzial, das Sorgen bereitet. Potenzielle Ereignisse haben die Eigenschaft, dass sie weder aktuell sind, noch als bloße Fiktion abgetan werden können. Potenzielle Ereignisse sind zwar noch nicht geschehen und werden vielleicht auch niemals in der Gegenwart eintreffen – und dennoch können sie nur schlecht ignoriert werden.
„Auf die Frage, welcher Schaden wie von wem und wo verhindert werden soll, lassen sich innerhalb des präventiven Horizonts verschiedene Antworten geben.“
Als solche ist Prävention daher vor allem zeitlich bestimmt, wohingegen sie in sachlicher, technischer, sozialer und räumlicher Hinsicht offen ist. Auf die Frage, welcher Schaden wie von wem und wo verhindert werden soll, lassen sich innerhalb des präventiven Horizonts verschiedene Antworten geben. Hierbei muss aber stets vorausgesetzt werden, dass der zu verhindernde Schaden kontingent ist, also nicht notwendigerweise auftreten muss, andernfalls ließe er sich ja nicht verhindern. Um an eine existenzielle Tatsache zu erinnern: Der Tod als solcher ist kein möglicher Gegenstand von Prävention; vielmehr bildet er deren absolute Grenze. Der Zeitpunkt und die Umstände des Todes hingegen hängen von Faktoren ab, die wir durch unser Tun und Lassen beeinflussen, wenn auch nicht vollständig steuern können.
Auch wenn Menschen wahrscheinlich immer schon, zumindest in einem gewissen Maße, für den morgigen Tag vorgesorgt haben, um ihr Überleben zu sichern, kommt es seit der Aufklärung zu einer Ausweitung und Verstetigung sowie einer Verwissenschaftlichung und Professionalisierung präventiver Anstrengungen. Dies hängt mit einem Wandel von Gesellschafts- und Zeitstrukturen im Übergang zur Moderne zusammen. Dem Historiker Reinhart Koselleck zufolge haben sich in der sogenannten Sattelzeit, also grob in den Dekaden um 1800, „Erfahrungsraum“ und „Erwartungshorizont“ voneinander entfernt und zunehmend entkoppelt. Man begann die Zukunft als grundsätzlich offen zu erleben. Die Erfahrungen, die man gemacht hat, geben immer weniger Hinweis darauf, was einen zukünftig erwartet – so die neue zeitliche Orientierung. Geschichte wurde nicht länger als eine Wiederholung des Gleichen begriffen, sie galt nunmehr als ein offener Entwicklungsprozess, in dem Fortschritt stattfinden konnte.
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