Examens-Repetitorium Strafrecht Allgemeiner Teil, eBook. Christian Jäger
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Der Täter braucht im Tatzeitpunkt nicht über die einzelnen Tatumstände aktuell nachzudenken. Es genügt, dass er die Tatumstände „mitweiß“.[9]
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Beispiel: Der Polizeibeamte P entwendet im Supermarkt eine Banane, wobei er die Dienstwaffe bei sich führt, aber nicht konkret daran denkt. Strafbarkeit des P, wenn gegen ihn kein Strafantrag gestellt wurde?
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Lösung: § 242 I StGB ist tatbestandlich, rechtswidrig und schuldhaft erfüllt. Der Qualifikationstatbestand des § 244 I Nr. 1a StGB setzt objektiv voraus, dass der Täter eine Waffe bei sich führt. Umstritten ist diesbezüglich, ob Berufswaffenträger aus dem Qualifikationsbereich auszunehmen sind. Dagegen spricht jedoch, dass die von § 244 StGB vorausgesetzte erhöhte Gefährlichkeit des Waffenträgers gerade bei einem Diebstahl durch einen Polizisten erfüllt ist, da dieser im Falle der Ergreifung mit dienstrechtlichen Konsequenzen (einschließlich einer Entlassung) zu rechnen hat und daher ggf. eher zur Waffe greifen wird. Eine tatbestandliche Reduktion kommt daher nicht in Frage. Auch scheidet eine in der Lit. diskutierte entsprechende Anwendung des § 243 II StGB auf § 244 StGB aus, da die systematische Stellung des § 243 II StGB gegen eine derartige Analogie spricht. Für den Vorsatz hinsichtlich des Beisichführens der Waffe genügt es, dass der P den Besitz der Waffe „mitwusste“. Nicht erforderlich ist, dass P aktuell an das Beisichführen der Waffe gedacht hat. P ist strafbar wegen Diebstahls mit Waffen nach §§ 242 I, 244 I Nr. 1a StGB. Der fehlende Strafantrag hindert eine Strafverfolgung nicht, denn § 248a StGB bezieht sich nach seinem Wortlaut ausdrücklich nur auf Fälle der §§ 242 bzw. 246 StGB und findet daher auf qualifizierte Diebstähle nach § 244 StGB keine Anwendung.[10] Der gleichzeitig verwirklichte § 246 StGB tritt dahinter im Wege der formellen[11] Subsidiarität zurück (vgl. § 246 I a. E. StGB).
Hinweis: Das OLG Hamm[12] hat allerdings darauf hingewiesen, dass das Bewusstsein des Beisichführens nur im Regelfall allein aus dem objektiven Umstand des Tragens einer Waffe im technischen Sinne geschlossen werden kann. Zweifel an einem aktuellen Bewusstsein, eine Waffe zu tragen, können sich nach Ansicht des OLG Hamm gerade aus dem berufsmäßigen Tragen ergeben und seien insbesondere dann anzunehmen, wenn der Beamte etwa für das „Vergessen von Gegenständen“ bekannt ist oder wenn der Diebstahlsentschluss spontan gefasst wird (im konkreten Fall nach einer unmittelbar vorausgehenden telefonischen Auseinandersetzung mit der Ehefrau). Das OLG Hamm ging sogar noch einen Schritt weiter und forderte für das Vorliegen eines Bewusstseins des Beisichführens sogar eine Konstellation, in der eine entsprechende Vorstellung des Angeklagten gleichsam „auf der Hand liegt“.[13]
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Bemerkenswert ist, dass der BGH das sachgedankliche Mitbewusstsein auch auf Opferseite im Rahmen des Betrugs ins Spiel gebracht hat. So hat der BGH im Schiedsrichterskandal-Fall Hoyzer einen Irrtum kraft sachgedanklichen Mitbewusstseins bejaht. Der Fall lag so, dass A den Schiedsrichter H dazu gebracht hatte, dass dieser Spiele falsch pfeift. Nachdem sich H hierzu bereit erklärt hatte, setzte A im Wettbüro auf die entsprechende „Siegermannschaft“. Der BGH hat hier eine Täuschung des A gegenüber dem Angestellten im Wettbüro (Lotto/Toto) angenommen und den Vermögensschaden des Wettanbieters auf einen „Quotenschaden“ gestützt. Den Irrtum des Angestellten im Wettbüro gründete der BGH dabei auf ein „sachgedankliches Mitbewusstsein“ des Angestellten im Hinblick darauf, dass die wesentlichen Vertragsgrundlagen (Manipulationsfreiheit der gewetteten Spiele) vorliegen. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass das Opfer bei den essentialia negotii stets davon ausgehe, „alles sei in Ordnung“. Mit den tatsächlichen Vorgängen in einem Lotto/Toto-Geschäft lässt sich dies freilich kaum vereinbaren, da wohl nicht davon auszugehen ist, dass sich ein dortiger Angestellter überhaupt Vorstellungen über die Frage der Manipulationsfreiheit macht. Der BGH fingiert hier daher wohl eher eine Fehlvorstellung bzgl. der wesentlichen Vertragsgrundlagen und lässt für eine ignorantia facti, die anerkanntermaßen keinen Irrtum auslöst, wohl nur dort Raum, wo es an einem geschäftlichen Kontakt überhaupt fehlt (näher zum konkreten Fall ausführl. Jäger, BT, Rn. 466 f. sowie zum Irrtum Jäger, BT, Rn. 478).
4. Keine Notwendigkeit einer objekts- und handlungsbezogenen Konkretisierung des Vorsatzes
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Geht es dem Täter nicht um die Schädigung eines bestimmten Objekts, sondern nur um die Schädigung irgendeines Objekts bzw. einer unbestimmten Vielzahl von Objekten oder weiß der Täter, dass eine von mehreren Handlungen den Erfolg herbeiführt, so ist dies als dolus generalis für die kognitive Seite des Vorsatzes ausreichend.
Beispiel: A schießt auf der Autobahn auf Autofahrer in der Hoffnung, dass es zu einem unüberschaubaren Massenunfall kommen könnte. Tatsächlich sterben 24 Personen. A hat §§ 212, 211 StGB in Bezug auf alle Personen verwirklicht.
Vom dolus generalis zu unterscheiden ist der sog. dolus alternativus. Mit dieser Bezeichnung sind Fälle gemeint, in denen der Täter nach seiner Vorstellung von zwei in Betracht kommenden Straftatbeständen bzw. Erfolgen nur den einen oder den anderen verwirklichen kann, wobei er wenigstens damit rechnet, dass sich die eine oder aber auch die andere Erfolgsverwirklichung einstellt. Bedeutsam ist in Fällen eines alternativen Vorsatzes, zunächst stets festzustellen, dass keine aberratio ictus vorliegt. Denn Letztere zeichnet sich dadurch aus, dass der Täter auf ein bestimmtes Objekt zielt und unvorsätzlich ein anderes Objekt trifft. Dagegen verhält es sich beim dolus alternativus so, dass der Täter bedingt vorsätzlich die Verletzung des einen sowie alternativ ebenfalls bedingt vorsätzlich die Verletzung des anderen Rechtsgutsobjekts in Kauf nimmt.
Beispiel 1: A schießt auf B. Er rechnet damit, dass er entweder den B oder das daneben stehende Pferd des B trifft. Tatsächlich trifft er das Pferd. Hier liegt keine aberratio ictus vor, da sich der Vorsatz des A sowohl auf die mögliche Tötung des B als auch auf die mögliche Tötung des Pferdes bezogen hat.
Beispiel 2: A findet am Flussufer eine in ein Handtuch eingewickelte Geldbörse. A nimmt das Portemonnaie mit, wobei er sich denkt, dass dieses möglicherweise lediglich von einem Schwimmer dort abgelegt wurde oder das Handtuch samt Börse dort vergessen wurden.
Beispiel 3:[14] Als A nachts erwacht, sieht er, wie seine Ehefrau E und sein bester Freund F halbnackt auf dem Sofa im Wohnzimmer liegen. In der Überzeugung, dass diese einvernehmlichen Geschlechtsverkehr ausüben, holt er ein Beil, mit dem er in einem spontanen Wutausbruch in Richtung des Kopfes des auf der E liegenden F schlägt. Dabei ist er sich bewusst, dass er statt des F die unter diesem liegende E am Kopf treffen und dass ein wuchtiger Schlag mit dem Beil lebensgefährliche Verletzungen verursachen kann. Tatsächlich verfehlt der Schlag den F und trifft die E, die in Verkennung der Schwere der Verletzungen keinen Arzt aufsucht und daher am nächsten Morgen in Folge der Verletzung verstirbt. F kann dagegen unverletzt fliehen. Auch hier ist eine aberratio ictus zu verneinen, weil dolus eventualis sowohl bezüglich E als auch bezüglich F gegeben war. A sah alternativ die Möglichkeit, E oder F zu treffen.
In diesen Beispielsfällen ist daher eine aberratio ictus zu verneinen und ein dolus alternativus zu bejahen. Die Lösung dieser dolus alternativus-Fälle ist hoch umstritten:
Eine erste Auffassung bestraft nur wegen eines Delikts und stellt diesbezüglich auf die schwerste Tat ab. Im Beispielfall 1 ist A danach gem. §§ 212, 22, 23 I StGB wegen Tötungsversuchs an B strafbar, nicht aber wegen der Sachbeschädigung am Pferd. Gegen diese Auffassung spricht freilich, dass sie das Vollendungsunrecht überhaupt nicht erfasst. Im zweiten Bsp. wäre A selbst dann wegen versuchten Diebstahls strafbar (die Strafandrohung des Versuchs ist höher als die der vollendeten Unterschlagung), wenn er tatsächlich eine Unterschlagung begeht, bezüglich derer er ebenfalls Vorsatz hatte. Auch dies erscheint seltsam.
Eine zweite Auffassung geht davon aus, dass alle Delikte erfasst werden müssen. Danach wäre A im ersten Bsp. wegen versuchten Totschlags und wegen vollendeter Sachbeschädigung