Examens-Repetitorium Strafrecht Allgemeiner Teil, eBook. Christian Jäger

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       I. Versuchte Tötung gem. §§ 212, 22, 23 StGB

      1. Strafbarkeit des Versuchs und Nichteintritt des Todeserfolges liegen auf der Hand.

      2. Es fehlt aber jedenfalls am notwendigen Tatentschluss hinsichtlich einer Tötung, da A durch die Verwendung eines Kondoms Vorkehrungen gegen eine Ansteckung getroffen hat, sodass von einem Vermeidewillen auszugehen ist.

      II. In Betracht kommt jedoch Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung nach §§ 223, 224 I Nr. 1 und 5 StGB.

      1. Zunächst stellt die Infizierung mit dem Aids-Virus eine Körperverletzung dar, da durch sie – selbst wenn die Krankheit noch nicht ausgebrochen ist – eine negative Abweichung vom körperlichen Normalzustand bewirkt wird. Auch erfüllt das Verhalten den Qualifikationstatbestand des § 224 I Nr. 1 und 5 StGB, da Viren „andere gesundheitsschädliche Stoffe“ im Sinne der Nr. 1 darstellen und der Vollzug des Geschlechtsverkehrs von Seiten eines HIV-Infizierten auch eine lebensgefährdende Behandlung im Sinne der Nr. 5 darstellt (zu Recht lässt sich laut BGH der gefährliche Erfolg, d. h. die Ansteckung nicht von der grundsätzlich ungefährlichen Handlung, nämlich dem Geschlechtsverkehr als solchem, trennen). Auch ist festgestellt, dass A die Infizierung kausal bewirkt hat.

      2. Der subjektive Tatbestand würde allerdings voraussetzen, dass A Vorsatz hinsichtlich der Körperverletzung gehabt hat. Ausreichend ist insoweit auch bedingter Vorsatz, der hier jedoch nicht gegeben ist, da A durch die Benutzung eines Kondoms Schutzvorkehrungen gegen eine Infizierung getroffen hatte. Er hat daher Vermeideaktivitäten entfaltet, die die Annahme rechtfertigen, dass er auf ein Ausbleiben einer Ansteckung vertraute.

      Strafbarkeit wegen vollendeter gefährlicher Körperverletzung nach §§ 223, 224 StGB scheidet daher mangels Vorsatzes aus.

      III. Nach dem Gesagten scheitert auch ein Versuch einer gefährlichen Körperverletzung nach §§ 223, 224, 22, 23 StGB, da es dem A hierfür – wie gesehen – jedenfalls am notwendigen Tatentschluss fehlte. Denn zwar stellt die Infizierung mit dem Aids-Virus – wie gesehen – eine gefährliche Körperverletzung dar, jedoch hatte A angesichts der von ihm getroffenen Schutzvorkehrungen keinen Vorsatz hinsichtlich des Körperverletzungserfolges.

      Achtung Klausur: Sie sehen, dass Sie beim Versuch die objektiven Tatbestandsmerkmale einschließlich etwaiger Qualifikationsmerkmale im Rahmen des Tatentschlusses zunächst objektiv begutachten und anschließend den diesbezüglichen Tatentschluss prüfen müssen. Vergegenwärtigen Sie sich dies bitte schon hier (näher u. Rn. 405)!

      IV. In Betracht kommt daher im konkreten Fall allenfalls Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung nach § 229 StGB.

      1. Der Erfolg der Körperverletzung ist eingetreten (vgl. o.).

      2. A ist für diesen Erfolg laut Sachverhalt auch kausal geworden.

      3. Fraglich ist allerdings, ob A sich überhaupt sorgfaltspflichtwidrig verhalten hat, was nicht der Fall wäre, wenn er sich im Rahmen des erlaubten Risikos gehalten hat.[86]

      – An der Unerlaubtheit des Risikos ließe sich schon deshalb zweifeln, weil die Ansteckungsgefahr bei einmaligem heterosexuellem Kontakt lediglich 0,1–1 % beträgt[87] und dieses Risiko durch die Verwendung eines Kondoms zusätzlich reduziert wird. Insofern könnte es an der rechtlichen Relevanz des Risikos fehlen.

      Indessen ist zu berücksichtigen, dass die Ansteckung bei jedem Geschlechtskontakt allein vom Zufall abhängt. Berücksichtigt man zusätzlich, dass auch die Verwendung von Kondomen keinen absoluten Schutz gewährleistet (zumal das Virus keine Empfängniszeiten kennt), so kann man von einer Irrelevanz der Gefahrschaffung nicht mehr sprechen.

      – Darüber hinaus gehen aber auch manche Autoren im Beispielsfall von einer erlaubten Risikoschaffung aus, weil die staatlichen Aufklärungskampagnen den Geschlechtsverkehr unter Verwendung von Kondomen geradezu empfehlen („Gib Aids keine Chance“).[88]

      Dem ist jedoch mit der h. M. entschieden zu widersprechen, denn die Kampagnen bedeuten keinen Freibrief für HIV-Infizierte, sondern sollen nur klarstellen, dass Nichtinfizierte sich vor einer Ansteckung schützen sollen.[89] Von einem erlaubten Risiko kann daher bei geschütztem Geschlechtsverkehr durch den bereits Infizierten nicht gesprochen werden.

      4. Denkbar wäre daher allenfalls, dass der Zurechnungszusammenhang durch Einverständlichkeit hinsichtlich des Geschlechtsverkehrs unterbrochen wurde. Dies ist hier jedoch gerade abzulehnen, da sich der Täter den Geschlechtsverkehr erschlichen hat und dem Opfer daher die Kenntnis hinsichtlich des Umfangs der Gefahr fehlte.

      5. Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe sind im Übrigen nicht ersichtlich.

      6. Ergebnis: A ist wegen fahrlässiger Körperverletzung nach § 229 StGB strafbar.

      Hinweis: In der Praxis ist inzwischen bereits nachweisbar, ob das Opfer gerade durch den Sexualkontakt mit dem Täter infiziert worden ist. Für ca. ein halbes Jahr trägt das Virus nämlich die genetische Information des Überträgers. Erst dann verändert sich das Virus im Körper des neuen Trägers, sodass ein Nachweis nicht mehr mit der erforderlichen Sicherheit geführt werden kann. In der theoretischen Klausur muss aber der Nachweis der Ansteckung unterstellt werden, wenn der Sachverhalt dies anordnet!

      Zu beachten ist darüber hinaus, dass die Rspr. die Rechtsfigur der einverständlichen Fremdgefährdung bis heute nicht anerkennt und stattdessen immer wieder auf das Institut der rechtfertigenden Einwilligung zurückgreift. Das ist problematisch, weil dies die Einwilligung in den Erfolg voraussetzt und nicht nur in die Gefährdung. Näher dazu u. bei der Einwilligung, Rn. 202 ff.

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      Die höchstrichterliche Rspr. hatte sich zweimal mit Sachverhalten zu beschäftigen, in denen das Opfer sterben wollte und den Täter dadurch zu einem tödlichen Verhalten bewog, dass es ihn über die tödlichen Wirkungen seines Verhaltens täuschte. Das Problem zeigen folgende Beispiele:

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      Beispiel 1: Der Schwerstbehinderte B, der nur noch Mund und Zunge bewegen konnte, bat den Zivildienstleistenden A, ihn unbekleidet und in Müllsäcke verpackt in einen Abfallcontainer zu legen. Dabei log B dem A, der wegen der Gefahren Zweifel äußerte, vor, dass dies für ihn ein sexuell erregendes Erlebnis sei, das er schon öfter gehabt habe und bei dem er stets von den Müllfahrern gefunden und geborgen werde. Tatsächlich sehnte B seinen Tod herbei und hoffte, auf diese Weise sterben zu können. A folgte der Aufforderung des B, wobei er darauf vertraute, dass B von den Beschäftigten der Müllabfuhr entdeckt werde. Tatsächlich starb B durch Erstickung und Kälteeinwirkung (die Temperaturen lagen – wie A wusste – um den Gefrierpunkt). Strafbarkeit des A? (Müllcontainer-Fall nach BGH NStZ 2003, 537).

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      Lösung: Eine Strafbarkeit wegen Tötung auf Verlangen nach § 216 I StGB ist zu verneinen, da es hierfür an einem ausdrücklichen Verlangen des B zur Tötung fehlt. Auch scheitert eine Bestrafung am fehlenden bedingten Vorsatz, da A den Angaben des B vertraute. Jedoch hat sich A wegen Aussetzung mit Todesfolge nach § 221 I Nr. 1 i. V. m. III StGB strafbar gemacht. Die Zurechnung scheitert nicht am Vorliegen einer freiverantwortlichen Selbstgefährdung, da die Herrschaftsmacht hinsichtlich des Versetzens in eine hilflose Lage und der Gefahrschaffung für Leib und Leben allein bei A lag. Eine einverständliche Fremdgefährdung wird man deshalb verneinen müssen, weil § 221 StGB ein Lebensgefährdungsdelikt darstellt, hinsichtlich dessen ein tatbestandsausschließendes Einverständnis bzw. nach der Rspr. eine rechtfertigende Einwilligung ausgeschlossen sind (Rechtsgedanke des § 216 StGB, vgl. schon o. Rn. 60).[90] Auch der subjektive Tatbestand ist gegeben. A wusste, dass B sich nicht aus eigener Kraft


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