Handbuch des Strafrechts. Bernd Heinrich
der Worte „zu Beweiszwecken“ überhaupt eine Einschränkung zum Ausdruck bringen wollte. In der Gesetzesbegründung wird hierauf nämlich gar nicht eingegangen. Das legt ein redaktionelles Versehen nahe. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber schon in der Entwurfsbegründung[1207] ausdrücklich klargestellt hat, dass der Arzt vor unmittelbaren[1208] straf- und ordnungswidrigkeitsrechtlichen Nachteilen bewahrt werden soll. Wenn die Erfüllung der Informationspflicht aus § 630c Abs. 2 S. 2 BGB aber (mittelbar) ursächlich für eine Verurteilung werden kann, dann stellt diese Verurteilung einen unmittelbaren Nachteil für den Arzt dar. Die Urteilsfolgen sind nicht weniger beeinträchtigend, wenn die vorgeschriebene Informationserteilung sie nur mittelbar möglich gemacht hat. Auch der Vergleich mit der Regelung des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO und ihrer Interpretation ist keineswegs zwingend. Jene Vorschrift wurde im Gesetzentwurf nämlich noch gar nicht in Bezug genommen. Dies geschah erst in der Stellungnahme[1209] des Bundesrates. Dies sollte aber nicht die grundsätzliche Reichweite der Vorschrift konkretisieren, sondern lediglich die Einbeziehung der Angehörigen im Sinne des § 52 Abs. 1 StPO in ihren Anwendungsbereich begründen.
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Gegen dieses Ergebnis kann allerdings angeführt werden, dass ein gut beratener Arzt durch eine möglichst frühzeitige und umfassende Offenbarung sich praktisch seiner Bestrafung entziehen kann.[1210] Diese goldene Brücke sollte ihm aber – jedenfalls grundsätzlich (s. Rn. 202) – im Interesse des Patientenwohles[1211] eröffnet werden. Das Strafrecht kennt auch in anderem Zusammenhang Konstellationen, in denen nachträgliches Verhalten den Weg aus der Strafbarkeit selbst dann ermöglicht, wenn der Erfolg schon eingetreten ist. Zu denken ist bspw. an die strafbefreiende Selbstanzeige im Steuerrecht oder die Möglichkeiten zur tätigen Reue im Strafgesetzbuch.[1212]
4. Berücksichtigung hypothetischer Ermittlungsverläufe
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Allerdings ist es auch in vorliegender Konstellation zulässig, hypothetische Ermittlungsverläufe zu berücksichtigen. Zwar bleibt die erteilte ärztliche Auskunft als unmittelbares Beweismittel unverwertbar. Auch dürfte angesichts des von § 630c Abs. 2 S. 3 BGB verfolgten Schutzzwecks (Stärkung des Patientenwohls) eine Fernwirkung dieses Beweisverwertungsverbotes anzunehmen sein, da andernfalls der Arzt durch seine Pflicht zur Auskunft zu seiner eigenen Überführung beigetragen hätte. Hätte dieses Beweismittel (bspw. die Patientenakte[1213]) aber auf einem – hypothetisch bleibenden – Ermittlungsweg zulässig erlangt werden können, so spricht doch vieles dafür, dass der Arzt durch seine Auskunft nicht eine Beweiskette blockieren kann, die unabhängig von seiner Auskunft von den Ermittlungsbehörden erfolgreich hätte geknüpft werden können.[1214] Um aber die Fernwirkung des Beweisverbots nicht zum bloßen Lippenbekenntnis werden zu lassen, sind mit Beulke[1215] für die Wahrscheinlichkeit dieses hypothetischen Ermittlungsverlaufs diejenigen Anforderungen zu verlangen, die an die Gewissheit des Richters für eine Verurteilung zu stellen sind: Eine Verwertung darf also nur dann erfolgen, wenn der Richter zu der Überzeugung gelangt, dass das fragliche Beweismittel nach menschlichem Ermessen sowieso erlangt worden wäre (bspw. im Falle eines schweren Behandlungsfehlers mit bereits zu Tage getretenen Gesundheitsbeeinträchtigungen, für die nicht nur aus Patientensicht keine andere Erklärung als ein ärztlicher Behandlungsfehler in Betracht kam).
5. Weiterreichende Wirkung
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Zweifelhaft ist auch, ob das Beweisverwendungsverbot außerhalb des Straf- und Bußgeldrechtes Wirkung entfaltet. Behandlungsfehler haben für einen Arzt auch in anderen Zusammenhängen erhebliche Bedeutung. In diesem Bereich sind die Folgen der in § 630c Abs. 2 S. 3 BGB statuierten Aufklärungspflicht noch gänzlich ungeklärt.[1216] Deshalb wird zu Recht kritisiert, dass der Gesetzgeber diese Frage nicht geklärt hat.[1217] Sie ist von erheblicher Bedeutung, weil hierin existenzbedrohende Gefahren für den Arzt liegen können.[1218] Dabei ist die zivilrechtliche Haftung noch das geringere Problem, da dieses Risiko durch die Berufshaftpflichtversicherung abgedeckt werden kann.[1219] Zu denken ist aber an berufsgerichtliche oder beamtenrechtliche Verfahren, Disziplinar- und Zulassungsentziehungsverfahren bei der Kassenärztlichen Vereinigung oder sogar ein Approbationsentziehungsverfahren durch die Approbationsbehörde.[1220] Würde das Beweisverwertungsverbot nach § 630c Abs. 2 S. 3 BGB hier keine entsprechende Anwendung finden, dann wäre der damit bezweckte Schutz der Patientenrechte weitgehend ausgehöhlt,[1221] da ein Arzt durch eine Offenbarung kaum seine berufliche Zukunft riskieren wird, nur um sich lediglich vor einer i.d.R. vergleichsweise eher überschaubaren straf- oder bußgeldrechtlichen Sanktion zu schützen.
6. § 135a Abs. 3 S. 1 SGB V
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Eine § 630c Abs. 2 S. 3 BGB entsprechende Formulierung findet sich in § 135a Abs. 3 S. 1 SGB V für Meldungen und Daten aus (insbesondere krankenhaus-)einrichtungsinternen und einrichtungsübergreifenden Risikomanagement- und Fehlermeldesystemen („dürfen im Rechtsverkehr nicht zum Nachteil des Meldenden verwendet werden“).[1222] Insoweit hat der Gesetzgeber allerdings ausdrücklich eine Verwendung dieser Informationen – etwa aus einem gemäß § 135a Abs. 2 Nr. 2 SGB V einzurichtenden patientenorientierten Beschwerdemanagement – ausnahmsweise zugelassen, soweit die Verwendung zur Verfolgung einer Straftat, die im Höchstmaß mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist und auch im Einzelfall besonders schwer wiegt, erforderlich ist und die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsorts des Beschuldigten auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. In Bezug auf fehlerhafte Heilbehandlungen kann diese Ausnahme somit in Fällen einschlägig sein, in denen eine infolge unwirksamer Patienteneinwilligung (Aufklärungsfehler) strafbare vorsätzliche Körperverletzung i.S.v. § 223 StGB vorliegt, die dann zurechenbar zum Tode des Patienten (§ 227 StGB) oder zu einer schweren Folge i.S.d. § 226 StGB geführt hat.
Ausgewählte Literatur
Weiteres, beitragsübergreifend zitiertes Schrifttum im Literaturverzeichnis des Bandes
Albrecht, Andreas | Die „hypothetische Einwilligung“ im Strafrecht, 2010. |
Arnade, Johannes | Kostendruck und Standard, 2010. |
Berg, Dietrich/Ulsenheimer, Klaus (Hrsg.) | Patientensicherheit, Arzthaftung, Praxis- und Krankenhausorganisation, 2006. |
Bockelmann, Paul | Strafrecht des Arztes, 1968. |
Burgstaller, Manfred | Das Fahrlässigkeitsdelikt im Strafrecht, 1974. |
Duttge, Gunnar | Zur Bestimmung des Handlungsunwerts von Fahrlässigkeitsdelikten, 2001. |
Duttge, Gunnar (Hrsg.) | Das moderne Krankenhaus: Ort der „desorganisierten Kriminalität“?, 2018. |
Edlbauer, Benedikt | Die hypothetische Einwilligung als arztstrafrechtliches Haftungskorrektiv, 2009. |
Ehlers, Alexander/Broglie, Maximilian | Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. 2014. |