Unternehmenskaufvertrag. Christoph Louven
für den Verkäufer deshalb werden, weil im Hinblick auf aufklärungsbedürftige Umstände dem Verkäufer rechtsformunabhängig
– nicht nur die Kenntnis der gesetzlichen Vertreter (nach der Rechtsprechung § 166 BGB, nach anderer Ansicht § 31 BGB analog) und der rechtsgeschäftlichen Vertreter (nach § 166 BGB) des Verkäufers zugerechnet wird, sondern auch
– die Kenntnis der sog. Wissensvertreter (analog § 166 BGB) des Verkäufers,
– das üblicherweise aktenmäßig oder in elektronischen Dateien604 festgehaltene Wissen des Verkäufers (analog § 166 BGB) und
– unter Umständen sogar auf Wissen der Zielgesellschaft zugerechnet605 wird.
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Zudem geht die herrschende Lehre606
– von einer horizontalen Wissenszusammenrechnung aus, sodass Teilwissen von verschiedenen Wissensträgern und in verschiedenen Unternehmensabteilungen, das isoliert noch keine rechtliche Relevanz hat, „gleichsam mosaikartig“607 zusammengezogen und der Verkäufergesellschaft als Gesamtwissen zugerechnet wird.608
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Schließlich nimmt der BGH609 an,
– dass bei einer Verkäufergesellschaft, der nach den Grundsätzen der Zurechnung üblicherweise aktenmäßig oder in elektronischen Dateien610 festgehaltenen Wissens bestimmte Informationen zugerechnet werden, bei der gebotenen wertenden Betrachtung auch die übrigen Voraussetzungen einer Haftung für vorsätzliches Verhalten oder Arglist vorliegen, dass also in diesen Fällen der Verkäufer zugleich weiß oder doch mit der Möglichkeit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass der Vertragsgegner den Fehler nicht kennt und bei Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt abgeschlossen hätte,
– sodass sämtliche im Unternehmenskaufvertrag vereinbarten Haftungsausschlüsse und -begrenzungen wegen des Vorsatzes bzw. der Arglist des Verkäufers unbeachtlich sind.
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Zusätzlich haftet der Verkäufer nach § 31 BGB (analog) für Verschulden seiner Organe und Repräsentanten und nach § 278 BGB für das Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen.
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Die Verbindung von (beim Unternehmenskauf gesteigerten) Aufklärungspflichten mit den Grundsätzen der Wissenszurechnung und Wissenszusammenrechnung wird deshalb zu Recht als „toxische[r] Haftungscocktail“ für den Verkäufer bezeichnet.611 Dieser toxische Haftungscocktail mag künftig noch gefährlicher dadurch werden, dass der BGH – an aus M&A-Sicht entlegener Stelle612 – zugunsten des Klägers, der das Wissen des Beklagten nicht nachweisen kann, dem Beklagten eine sekundäre Darlegungs- und Beweislast dafür auferlegt. Danach muss der Beklagte, nachdem der Kläger bestmöglich ein mögliches Wissen des Beklagten dargelegt hat, im Rahmen einer sekundären Darlegungs- und Beweislast konkrete Anhaltspunkte für ein Nichtwissen des Beklagten darlegen und beweisen, auch auf Grundlage eigener Ermittlungen und Untersuchungen.613 Unwohl ist dem vertragsgestaltenden und verhandelnden M&A-Juristen auch deshalb, weil ihm verlässliche Orientierungspunkte fehlen. Denn M&A-Streitigkeiten werden regelmäßig vor Schiedsgerichten ausgetragen. Ihre Entscheidungen werden grundsätzlich nicht veröffentlicht. Eine Klärung von Streitfragen und eine „fallinduzierte Rechtsfortbildung“,614 an denen sich der M&A-Jurist etwa im Hinblick auf eine mögliche Wissens(zusammen-)rechnung orientieren könnte, findet nicht statt.615 Nicht nur die Unsicherheit von Streitparteien ist daher groß,616 sondern auch die der vertragsgestaltenden Juristen, die ihren Parteien wirksame Regelungen zur Wissenszurechnung im Kaufvertrag anbieten wollen.
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Dass „der Verkäufer selbst“ die offenzulegenden Informationen kennt, was ja denklogische Grundvoraussetzung einer Aufklärungspflicht ist (man kann nicht über etwas aufklären, das man selbst nicht weiß), ist im Rahmen der Aufklärungspflichten irrelevant. Denn Kenntnis ist nach der Rechtsprechung anzunehmen, wenn Wissen dem Verkäufer nach diesen Grundsätzen zuzurechnen ist.617
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Dem Verkäufer wird darüber hinaus, wie gesehen, nicht „bloß“ aus normativen Gründen Wissen zugerechnet. Der BGH fingiert vielmehr das voluntative Vorsatzelement, dass nämlich der Verkäufer auch mit der Möglichkeit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass sein Vertragspartner den „Fehler“ nicht kennt und bei Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt abgeschlossen hätte.618
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Im Rahmen deliktischer Ansprüche nach § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 263 StGB oder § 826 BGB findet eine solche Wissenszu(sammen-)rechnung richtigerweise nicht statt.619 Denn die Grundsätze der Wissenszu(sammen-)rechnung können weder den subjektiven Tatbestand des § 263 StGB noch die für § 826 BGB erforderliche Sittenwidrigkeit ersetzen.620 Regelmäßig dürften, neben einer Haftung nach den Grundsätzen des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen, allerdings auch die Voraussetzungen einer Arglistanfechtung nach § 123 Abs. 1 Var. 1 BGB vorliegen.621
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Nach der von der Rechtsprechung vertretenen „Organtheorie“622 muss sich eine juristische Person das Wissen ihrer vertretungsberechtigten Organmitglieder zurechnen lassen, auch wenn das betreffende Organmitglied an dem fraglichen Rechtsgeschäft nicht mitgewirkt hat.623 Dies gilt selbst dann, wenn es von dem Rechtsgeschäft nichts gewusst hat.624
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Sie muss sich zudem das Wissen ihrer Wissensvertreter zurechnen lassen. Wissensvertreter ist jeder, der nach der Arbeitsorganisation des Geschäftsherrn dazu berufen ist, im Rechtsverkehr als Repräsentant des Verkäufers bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen und die dabei anfallenden Informationen zur Kenntnis zu nehmen bzw. weiterzuleiten.625 Dies dürften regelmäßig die Mitglieder des Verhandlungsteams des Verkäufers sein.626 Darüber hinaus dürften regelmäßig aber auch Mitglieder des Managements auf der Ebene unterhalb der Geschäftsleitung und Mitarbeiter in zentralen Führungspositionen darunter fallen. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie (wenn auch nur punktuell627) als Informationslieferant in die Verhandlungen eingebunden sind.628 Regelmäßig nicht als Wissensvertreter dürften Sachbearbeiter oder Hilfspersonen in den entsprechenden Abteilungen angesehen werden. In Abhängigkeit davon, ob sie nach der Geschäftsorganisation eigenverantwortlich im Rechtsverkehr einen bestimmten Aufgabenbereich wahrnehmen, dürften Mitarbeiter unterhalb der Abteilungsleitung, Leiter von Unterabteilungen oder einzelnen Dezernaten regelmäßig ebenfalls als Wissensvertreter zu qualifizieren sein.629 Allerdings sind die Grenzen fließend.630 Die Beurteilung hängt stark vom Einzelfall, insbesondere der Größe und Organisationsform der Verkäufergesellschaft, ab. Unter Umständen kommt sogar eine Zurechnung externer Berater in Betracht, wenn sie bestimmte Aspekte einer Transaktion selbstständig und eigenverantwortlich betreuen.631
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Üblicherweise aktenmäßig oder in elektronischen Dateien632 festgehaltenes Wissen wird dem Verkäufer ebenfalls seit einer Folge von BGH-Entscheidungen Ende der 80er bis Mitte der 90er Jahre zugerechnet.633 Das sind solche Informationen, die aufgrund ihrer Wichtigkeit und Rechtserheblichkeit gespeichert werden mussten und noch aufzubewahren sind, soweit es der Verkäufergesellschaft und deren Vertretern unter Berücksichtigung des Anlasses und dessen Bedeutung, des verstrichenen Zeitraums sowie der Schwierigkeit der Suche zumutbar ist, sich dieser Informationen zu vergewissern.634
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Nach der Rechtsprechung erfolgt auch eine Wissenszusammenrechnung