Handbuch des Verwaltungsrechts. Группа авторов
Energiemärkte
Die Schaffung eines Energie-Binnenmarktes erwies sich als besonders schwierig. Ab 1998 (Strom) bzw. 1999 (Gas) fanden zunächst halbjährliche Treffen der Netzbetreiber unter Beteiligung auch des Energiehandels, der Energieverbraucher und der nationalen Regulierungsbehörden statt.[170] Letztere gründeten im Jahr 2000 einen privatrechtlich organisierten Verband.[171] 2003 werden in zwei Richtlinien[172] und einer Verordnung[173] die Aufgaben der Regulierungsbehörden sowie ihre Pflicht zur Zusammenarbeit untereinander und mit der Kommission geregelt. Gleichzeitig setzt die Kommission die Gruppe der europäischen Regulierungsbehörden für Elektrizität und Erdgas ein[174], um sicherzustellen, dass die Rechtsgrundlagen in allen Mitgliedstaaten einheitlich angewendet werden. Die Gruppe setzt sich aus den Leitern der nationalen Regulierungsbehörden oder deren Vertretern zusammen. Im Jahr 2009 wird diese sog. ERGEG in eine Agentur überführt.[175]
a) Haushaltsrecht
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Novelle der Haushaltsordnung
Als weitere Auswirkung des Skandals um die Santer-Kommission wird die Haushaltsordnung einer grundlegenden Reform unterzogen.[176] Zum ersten Mal werden die verschiedenen Formen des Haushaltsvollzugs systematisiert (Titel IV Kapitel 2 Art. 53-57). Danach ist zu unterscheiden zwischen einer zentralen Mittelverwaltung, einer mit den Mitgliedstaaten geteilten Mittelverwaltung, einer mit Drittländern durchgeführten dezentralen Mittelverwaltung sowie einer gemeinsamen Verwaltung mit internationalen Organisationen. Die zentrale wie die dezentrale Mittelverwaltung kann auch durch Exekutivagenturen erfolgen. Für die mit den Mitgliedstaaten geteilte Mittelverwaltung regelt Art. 53b die allgemeinen Grundsätze. Danach sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, ein effizientes und wirksames System der internen Kontrolle einzurichten. Die Kommission ist aufgrund ihrer Letztverantwortung für den Haushaltsvollzug ihrerseits verpflichtet, Rechnungsabschluss- oder Finanzkorrekturverfahren durchzuführen. Die geteilte Mittelverwaltung findet insbesondere auf die Strukturfonds Anwendung. Einzelheiten der Mittelverwaltung und der Verwendungskontrolle finden sich wiederum in der Strukturfondsverordnung.
b) Vergaberecht
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Vergaberechtsreform
Eine Reform des Vergaberechts erfolgte durch das sog. Legislativpaket im Jahre 2004, durch das die bisher getrennten Vergaberichtlinien für öffentliche Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge in einer Richtlinie zusammengefasst wurden.[177] Sie dienen der Verwirklichung der aus den Markfreiheiten fließenden Gebote der Nichtdiskriminierung, der gegenseitigen Anerkennung, der Verhältnismäßigkeit und der Transparenz und kommen ab bestimmten Schwellenwerten zur Anwendung. Mitteilungen der Kommission etwa zur Auslegung des Vergaberechts, zur Berücksichtigung sozialer Belange oder zum wettbewerblichen Dialog spielen eine wichtige Rolle.[178]
c) Umweltrecht
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Wasserrahmenrichtlinie
Eine organisatorische und inhaltliche Herausforderung stellte die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie[179] für die Wasserbehörden in Deutschland dar.[180] Mit ihr wird die Flussgebietseinheit, die vielfach die Grenzen von Bundesländern, aber auch Mitgliedstaaten überschreitet, zum Bezugspunkt des Wasserhaushaltsrechts. Materiell-rechtlich enthält die Wasserrahmenrichtlinie das Ziel, spätestens bis 2027 einen guten Zustand aller Gewässer herbeizuführen. Zu diesem Zweck ist für jede Flussgebietseinheit unter Beteiligung der Öffentlichkeit ein Bewirtschaftungsplan und ein Maßnahmenplan aufzustellen, der alle sechs Jahre zu aktualisieren ist. Durch die Umsetzung der Richtlinie hat sich das Wissen um den Zustand der Gewässer erheblich verbessert. Ob das materielle Ziel bis zum Fristablauf erreicht werden kann, ist dagegen zweifelhaft.[181]
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Emissionszertifikatehandel
Eine Herausforderung für das deutsche Verwaltungsrecht stellte auch die Einführung des Emissionszertifikatehandels dar. In Umsetzung der Verpflichtung aus dem Kyoto-Protokoll erging 2003 die Treibhausgasemissionszertifikate-Richtlinie.[182] Zunächst begrenzt auf das Treibhausgas CO2 wurde darin die Betreiberpflicht zum sparsamen und effizienten Energieverbrauch durch das ökonomische Instrument des Zertifikatehandels abgelöst. Die dafür erforderliche Erstzuteilung von Zertifikaten führte zu zahlreichen gerichtlichen Streitigkeiten.[183] Genehmigungs- und Sanktionstatbestände zur Sicherung der ordnungsgemäßen Buchführung über den CO2-Ausstoß einer Anlage wurden eingeführt und ein Emissionshandelsregister nach Maßgabe von Art. 19 Abs. 3 der RL 2003/87/EG eingerichtet. Mit Wirkung für das Jahr 2012 wurde der Luftverkehr in das Handelssystem einbezogen.[184] Die Wirksamkeit des Zertifikatehandels litt lange Zeit unter einem Überangebot an Emissionszertifikaten. Erst durch Reformen in den Jahren 2009[185] und 2015[186] entfaltet das Instrument seit Anfang 2018 spürbare Anreize zur Reduktion von Treibhausgasen.[187]
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Strategische Umweltprüfung
Mit der Erstreckung der Umweltprüfung auch auf Pläne und Programme[188] wurde ein erprobtes Instrument im Dienste des medienübergreifenden und öffentlichkeitsaktivierenden Umweltschutzes von Genehmigungsverfahren auf eine Vielzahl von Plänen ausgeweitet. Insbesondere durch die Geltung für alle Arten von Raumordnungs- und Bauleitplänen wurde damit die vorausschauende Berücksichtigung von Umweltbelangen ganz im Sinne des Nachhaltigkeits- und Vorsorgeprinzips ermöglicht.
d) Migrationsrecht
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Erwerbsmigration und Asyl
Mit der Integration der Asyl- und Einwanderungspolitik in den EGV ergingen nunmehr zahlreiche Rechtsakte als Richtlinien. Zu nennen sind die Richtlinie über die Familienzusammenführung[189], die Daueraufenthaltsrichtlinie[190], die Richtlinie über den Aufenthalt von Studenten und Schülern[191] und zum Zweck der wissenschaftlichen Forschung[192], außerdem die Hochqualifizierten-Richtlinie[193]. Das Visa-Informationssystem wurde eingerichtet.[194] Im Bereich Asyl ergingen die Aufnahmerichtlinie[195], die Anerkennungsrichtlinie[196], und die Asylverfahrensrichtlinie, die zunächst nur einen Mindeststandard für die Durchführung von Asylverfahren enthielt.[197] Mit „Eurodac“ [198] wurde eine Fingerabdruckdatei eingerichtet, deren Zweck es ist, illegale Grenzübertritte nachzuverfolgen und zu verhindern.
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Die Entscheidung Orfanopoulos und Olivieri
Hinsichtlich der Freizügigkeit von Unionsbürgern bewirkte die Vorlage des VG Stuttgart eine bedeutende Rechtsprechungsänderung. Der EuGH entschied, dass die gerichtliche Praxis bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung Änderungen der Sachlage nach der Entscheidung unberücksichtigt zu lassen, mit Unionsrecht nicht vereinbar sei.[199] Infolgedessen musste die ständige Rechtsprechung aufgegeben werden, nach welcher bei der Ausweisung der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgeblich ist.[200] 2007 erstreckte das Bundesverwaltungsgericht diese Änderung auf sämtliche Ausländer.[201] Der Gesetzgeber änderte 2015 die Ermessenstatbestände im Ausländerrecht in gebundene Entscheidungen mit dem Ziel, umfassende Rechtskontrolle herbeizuführen und Zurückverweisungen an die Ausländerbehörden auszuschließen.[202]
e) Die Dienstleistungsrichtlinie
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Dienstleistungsrichtlinie
Erhebliche Neuerungen für das nationale Verfahrens- und Organisationsrecht brachte auch die Dienstleistungsrichtlinie.[203] Sie ist Bestandteil der sog. Lissabon-Strategie und soll Hemmnisse für den freien Dienstleistungsverkehr beseitigen.[204] Zu diesem Zweck werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, einen einheitlichen Ansprechpartner zur Koordination von Genehmigungsverfahren