Handbuch des Verwaltungsrechts. Группа авторов
und Unabhängigkeit. Weitere verfassungsrechtliche Vorgaben und Anforderungen für die Europäische Verwaltung finden sich insbesondere in Art. 41 GRCh über das Recht auf Gute Verwaltung, aber auch in anderen Regelungen des Primärrechts, auf die im Weiteren noch einzugehen sein wird. Nach Art. 41 GRCh haben die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union die Angelegenheiten jeder Person unparteilich, gerecht und in angemessener Frist zu behandeln. Dabei sind bestimmte Verfahrensrechte explizit, aber nicht abschließend benannt: das Recht auf Anhörung, auf Aktenzugang, auf Begründung von Entscheidungen (bereits Art. 296 AEUV), auf Wahrung der eigenen Sprache und ggf. auf Entschädigung (bereits Art. 340 AEUV). Art. 41 GRCh ergänzt, konkretisiert und versubjektiviert die Anforderungen aus Art. 298 AEUV. Insgesamt ergeben sich aus der Zusammenschau dieser Vorgaben grundlegende verfassungsrechtlich verankerte verfahrensrechtliche und grundrechtliche Vorgaben für die Verwaltungsführung der EU-Eigenverwaltung.
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Eckpfeiler der EU-Eigenverwaltung
Mit diesen Regelungen wird das normative Programm für die EU-Eigenverwaltung vom Verwaltungsverfassungsrecht der EU in groben Strichen umrissen und zugleich vieles in die Hände des Gesetzgebers gelegt. Gleichwohl bilden Art. 298 AEUV und Art. 41 GRCh die Eckpfeiler der verfassungsrechtlichen Verankerung der EU-Eigenverwaltung[56] und ihres Verfahrensrechts; ergänzt werden sie durch Art. 197 und Art. 291 Abs. 2 AEUV, der die allgemeine Grundlage für Durchführungsbefugnisse von Kommission und Rat und damit deren Funktion in der EU-Eigenverwaltung darstellt.
III. Institutionen der EU-Eigenverwaltung
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Kommission, Rat und EZB
Es wurde bereits deutlich, dass die institutionelle Ausgestaltung der EU-Eigenverwaltung weit über Kommission und Rat als Akteure der Eigenverwaltung hinausreicht. Wieder einmal zeigt sich die Besonderheit des EU-Rechts, und zwar hier darin, dass es nicht die eindeutigen Funktionszuordnungen gibt wie im nationalen Kontext: Während dort die Hoheitsgewalt recht eindeutig ein- und damit aufgeteilt ist, sind im EU-Recht Hoheitsfunktionen vermengt: Es ist nicht so, dass die Kommission die Verwaltung und der Rat die Gubernative oder Legislative wäre. Vielmehr sind Funktionen verstreut[57], auch wenn der Kommission unter den Organen die umfangreichste Verwaltungsfunktion zukommt. Kommission und Rat werden im Primärrecht mit verschiedenen Verwaltungsfunktionen betraut; insbesondere die Kommission wird als exekutiver und Verwaltungsakteur definiert (Art. 17 EUV). Auch der Rat übt in Ausnahmefällen Verwaltungsfunktionen aus (siehe etwa Art. 291 Abs. 2 AEUV).[58] Selbst die EZB hat in der Bankenunion Verwaltungsaufgaben. Wie in Art. 127 Abs. 6 AEUV angelegt, wurden ihr spezifische Aufgaben in der systemrelevanten Bankenaufsicht übertragen.[59] Die Verwaltungsfunktion der EZB ist damit auf ein bestimmtes Aufgabenfeld begrenzt, während die Verwaltungsaufgaben der Kommission und auch des Rates von einer Fähigkeit zur Allzuständigkeit gekennzeichnet sind. Darüber hinaus geht das Primärrecht davon aus, dass auch EuGH und EIB Verwaltungsaufgaben wahrnehmen und dann dabei einschlägigen Anforderungen unterliegen, vgl. Art. 15 Abs. 3 UAbs. 4 AEUV.
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Agenturen und sonstige Einrichtungen
Der Vertrag von Lissabon brachte eine erste primärrechtliche Anerkennung von Agenturen und sonstigen Verwaltungsstellen der EU-Eigenverwaltung in Art. 298 AEUV. Doch kannte das Primärrecht schon zuvor verschiedene „Einrichtungen der Gemeinschaft“, vgl. Art. 195 EGV-Maastricht, und „gemeinsame Unternehmen und Strukturen“ für die Durchführung der Forschungsprogramme (Art. 171 EGV, nun Art. 187 AEUV). Die Pluralisierung der EU-Eigenverwaltung nahm ihren Anfangspunkt mit der Errichtung der ersten Agenturen bereits in den 1970er Jahren und weiter in der Schaffung des Amts des Europäischen Bürgerbeauftragten durch den Vertrag von Maastricht vor bald 30 Jahren (jetzt Art. 228 AEUV), der Beschwerden der Bürger oder juristischen Personen gegen die Organe und Institutionen der EU prüft. Die dezentralen Agenturen (früher Regulierungsagenturen genannt[60]) – im Deutschen teilweise als Behörde oder mit anderen Begriffen bezeichnet[61] – sind mittlerweile die wesentliche Organisationsform der EU-Eigenverwaltung; sie sind rechtlich verselbstständigt, nehmen ihre Verwaltungsaufgaben, mit denen sie dauerhaft betraut sind, organisatorisch unabhängig und fachlich eigenständig wahr und werden auf sekundärrechtlicher Grundlage errichtet.[62] Daneben gibt es allenfalls organisatorisch verselbstständigte, teilweise interinstitutionelle Einheiten wie etwa Ämter.[63] Dezentrale Agenturen lassen sich mit den anderen Einrichtungen allerdings insoweit nicht vergleichen, als in ihnen nationale Behördenvertreter mitwirken und sie daher grundsätzlich eine phänotypische Erscheinungsform der Verbundverwaltung darstellen, die ihrerseits aber funktional recht inhomogen ist.[64] Eine weitere Institution mittelbarer Eigenverwaltung stellen die verselbstständigten sog. Exekutiv agenturen dar, die punktuell und für einen vorübergehenden Zeitraum Managementaufgaben bei der Verwaltung bestimmter Gemeinschaftsprogramme übernehmen[65] und in besonderer Nähe zur Kommission stehen, die deren Lenkungsausschuss und Direktoren ernennt.[66] Zur mittelbaren EU-Eigenverwaltung zählen kann man ferner – obgleich nicht selbstständige Verwaltungsträger – die sog. Komitologieausschüsse, die die Kommission bei dem Erlass ihrer Durchführungsrechtsakte begleiten und kontrollieren[67], und die funktional mit den Agenturen sich überschneidenden Netzwerke nationaler Behörden, regelmäßig geführt oder dominiert von unionalen Stellen.[68] Kennzeichnend für alle diese Akteure mittelbarer EU-Eigenverwaltung ist die Begrenzung auf sekundärrechtlich genau umrissene Verwaltungsaufgaben, die – wie bereits angemerkt[69]– sehr unterschiedlich ausfallen. Die Agenturen und sonstigen Einrichtungen haben anders als Kommission und Rat kein allgemeines Verwaltungsmandat; ihre von ihnen eigenständig, aber unter Kontrolle, ggf. sogar Aufsicht der Kommission[70] wahrzunehmenden Funktionen und Befugnisse beschränken sich auf je spezifische Verwaltungsfelder.
IV. Allgemeine Grundsätze des EU-Eigenverwaltungsrechts
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Rechtsgrundsätze für Errichtung und Funktion
Für die Funktion und Ausgestaltung der EU-Eigenverwaltung haben sich erste allgemeine Grundsätze des Unionsrechts als Teil des Verwaltungsverfassungsrechts der EU herausgebildet. Sie gelten zum einen für die Organisation der Eigenverwaltung und leiten die Errichtung und Befugnisübertragung auf die Institutionen der Eigenverwaltung. Zum zweiten regeln sie die Grundlagen für die Funktionsweise der Eigenverwaltung und legen zum dritten insbesondere Grundprinzipien des anwendbaren Verfahrensrechts fest. Diese Grundsätze sind regelmäßig als allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts vom EuGH entwickelt und anerkannt und infolgedessen im Primärrecht kodifiziert worden, oder lassen sich der Organpraxis entnehmen. Nachfolgend wird ein Überblick über diesen allgemeinen Teil des EU-Eigenverwaltungsrechts gegeben.[71]
1. Grundsätze des Organisationsrechts
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Vorbehalt des Gesetzes
Während die Organe der EU kraft Primärrecht bestehen, gilt für ihre Aufgaben und Befugnisse der Gesetzesvorbehalt sogar im Sinne eines Vertragsvorbehalts aufgrund von Art. 13 Abs. 2 AEUV, wonach die Organe im Rahmen der in den Verträgen verankerten Befugnisse, Verfahren und Ziele handeln. Das schließt nicht aus, dass der Kommission auf vertragskonformer sekundärrechtlicher Grundlage weitere Befugnisse übertragen werden. Die Errichtung von Trägern der mittelbaren EU-Eigenverwaltung bedarf einer rechtsförmlichen Grundlage. Das ist bei dezentralen Agenturen ein Gesetzgebungsakt[72], bei anderen Einrichtungen der EU genügt hingegen ein Rats- oder Kommissionsbeschluss auf der Grundlage eines Rechtsakts. So werden die Exekutivagenturen aufgrund einer Ratsverordnung durch Durchführungsbeschluss der Kommission nach Art. 291 Abs. 2 AEUV errichtet.[73] Insoweit lässt sich also von einem institutionellen Gesetzesvorbehalt sprechen.[74]
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Wesentlichkeitsvorbehalt
Für alle Institutionen gilt ferner, dass die konkrete Aufgabenzuweisung durch einen Rechtsakt, nicht zwingend stets in Gestalt