Handbuch des Verwaltungsrechts. Группа авторов
Planungs- und Entwicklungsaufgaben47
III. Leistungsverwaltung48, 49
D. Das Policeyrecht: Eine frühe Form des Verwaltungsrechts?50 – 60
I. Das Policeyrecht im Gefüge der frühneuzeitlichen Rechtsgebiete50 – 56
II. Die Policeynormen als reine Steuerungsnormen57 – 60
I. Die „Policey“ als neue Funktion protostaatlicher Herrschaft zu Beginn der Neuzeit
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Moderner Verwaltungsbegriff und Gewaltenteilung
Der moderne Verwaltungsbegriff ist – so viel dürfte bei allen Schwierigkeiten, einen „positiven“ Verwaltungsbegriff zu entwickeln, unumstritten sein – auf das engste verbunden mit einem Staatsdenken in den Kategorien der „Gewaltenteilung“. Seine heutige Bedeutung hat der Begriff erst im Kontext des modernen Gewaltenteilungsdenkens erlangt, d. h. im Wesentlichen erst mit dem Beginn der Moderne am Ende des 18. Jahrhunderts. Das Konzept einer „Gewaltenteilung“ wiederum ist untrennbar mit der Vorstellung einer einheitlichen Staatsgewalt verbunden, die dann im Interesse des gewaltunterworfenen Einzelnen durch eine funktionale Teilung rechtlich gebunden werden soll. Noch in der Frühen Neuzeit wurde die „Staatsgewalt“ aber gar nicht als einheitliche Größe aufgefasst, sondern vielmehr als Bündel einzelner Herrschaftsrechte, darunter vorrangig Gerichtsbarkeit und Schutzleistung. Alle diese Herrschaftsrechte waren Gegenstand des seit dem 17. Jahrhundert auch als Universitätsfach präsenten Ius publicum. Als eigenständige und abgrenzbare Funktion staatlicher Herrschaft trat „Verwaltung“ in diesem Kontext noch gar nicht in Erscheinung.
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Die frühneuzeitliche Bedeutung von „Verwaltung“
Das Wort „Verwaltung“ hatte demgemäß noch an der Schwelle zum 19. Jahrhundert eine wesentlich andere Bedeutung als der moderne Verwaltungsbegriff. Es war noch nicht in spezifischer Weise mit dem Staat und dessen Herrschaftsapparat verbunden, sondern erscheint im Gegenteil ganz überwiegend in einen privatrechtlichen Kontext einbezogen. Wirft man zur Begriffsbestimmung einen Blick in Johann Heinrich Zedlers gewaltiges, fast 70-bändiges „Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste“, das zwischen 1731 und 1754 als damals größtes enzyklopädisches Werk in Europa gedruckt wurde, dann erscheint hier unter dem Lemma „Verwaltung“ lediglich „die Aufsicht oder Sorge vor eines anderen Sachen und Güter, damit dieselben, wo nicht verbessert, doch wenigstens auch nicht verschlimmert und so viel als möglich in ihrem Sein und Wesen erhalten werden“. Mithin ist derjenige „ein Verwalter“, so heißt es weiter, „dem dergleichen Vorsorge“ für „eines anderen Sachen oder Güter anvertrauet ist“ und der deshalb auch „mit selbigen in dessen Namen nach der in denen Rechten vorgeschriebenen Weise zu schalten und zu walten“ hat.[1] „Verwaltung“ bedeutet hier also bloße „Stellvertretung“ und unter den Beispielsfällen, die sich hierzu im „Zedler“ aufgeführt finden, tauchen demgemäß an erster Stelle auch gar keine Beamten auf, sondern „Vormünder, Kuratoren, Advokaten, Anwälte“ und „Prokuratoren“, und erst an zweiter Stelle werden „Amtsleute[2], Schaffner[3], Schösserer“[4] und „Gerichtshalter“[5] genannt. Aber auch diese herrschaftlich-obrigkeitlichen Amtsträger erscheinen hier in erster Linie als Stellvertreter des Herrn, der sie eingesetzt hat, um vor Ort an seiner Stelle Rechte zu wahren und auszuüben.[6] Im Staatsdenken der Frühen Neuzeit ist demgemäß nicht die Unterscheidung zwischen Gesetzgebung, gesetzesvollziehender Verwaltung und Justiz, sondern diejenige zwischen „Policey“ und Justiz maßgebend.
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Differenzierung von Justiz und Policey
Seit dem Beginn der Neuzeit lässt sich dann im zeitgenössischen Schrifttum eine erste funktionale Differenzierung zwischen Rechtsprechung einerseits und einer neuen Funktion andererseits beobachten, die mit dem am Ausgang des Mittelalters auftauchenden Ausdruck „Policey“ bezeichnet wird.[7] Die Dichotomie von „Justiz und Policey“, wie sie seit dem Beginn der Neuzeit begegnet, indiziert die allmähliche Erweiterung der Staatsfunktionen seit dem Ausgang des Mittelalters. „Policey“ bezeichnet das gesamte Tätigkeits- und Funktionsareal des frühneuzeitlichen Staates außerhalb der Justiz und der Schutzleistung. Im Wort „Policey“ – eine Verballhornung des lateinischen politia – waren also diejenigen Funktionen angesprochen, die man in moderner Ausdrucksweise mit den Begriffen „Gesetzgebung und Verwaltung“ bezeichnen würde. Freilich hatte die Dichotomie von Justiz und Policey – häufig wird an Stelle der letzteren das Synonym „Regierung“ verwendet – noch nichts zu tun mit der Idee einer „Gewaltenteilung“ im modernen Sinne zur Sicherung der Unabhängigkeit der Justiz gegenüber der Politik. Denn die Policey blieb in der ganzen Frühen Neuzeit auf das engste verbunden mit strafgerichtlichen Funktionen, sichtbar vor allem in der Institution der „Policeystrafen“, die nur schwer von den Kriminalstrafen abzugrenzen waren.[8]
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Policey als Ordnungsfunktion
Die Policey hat sich also nicht von einer zuvor ungeteilt und einheitlich gedachten Staatsgewalt abgespalten, sondern sie trat zu den ältesten Funktionen staatlicher Herrschaft, der Jurisdiktion und der Schutzleistung, hinzu. Denn seit Beginn der Neuzeit unternahmen die entstehenden Territorien in sich ständig intensivierendem Maße den Versuch, bestimmte politische Ordnungszustände mittels einer entsprechenden Gesetzgebung zu implementieren. In jeder Gesellschaft kursieren bestimmte Vorstellungen und Leitbilder davon, wie das Gemeinwesen eigentlich geordnet und strukturiert sein müsse. Seitdem im politischen Denken die Vorstellung präsent war, dass sich dem Gemeinwesen bestimmte Ordnungszustände aufprägen lassen, sich also das Gegebene in die Richtung eines bislang nur vorgestellten Ordnungszustandes verändern lasse, war es die Gesetzgebung, die dabei das entscheidende Handlungs- und Steuerungsinstrument abgab. Es handelte sich um eine Form der Gesetzgebung, die sich nicht mehr mit der bloßen schriftlichen Fixierung eines rechtlichen Status quo begnügte, sondern daneben durch Implementierung neuer Normen solche Ordnungsdefizite, die sich mit den politischen Leitvorstellungen als unvereinbar erwiesen hatten, zu beheben suchte.[9] In der Metaphorik der mittelalterlichen Politikliteratur war sie das Ruder, das den rex nauta zum Steuern der als Schiff gedachten politischen Gemeinschaft befähigt.[10]
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Ordnung durch Normgebung und Normdurchsetzung
Demgemäß begann sich der frühe Territorialstaat des 16. Jahrhundert immer stärker auf dem Felde der Gesetzgebung zu engagieren.[11] Herrschaft erschöpfte sich hinfort nicht mehr in der Rechtsprechung und der Schutzleistung als den älteren, mittelalterlichen Funktionen weltlicher Herrschaftsübung.[12] Vielmehr war es nunmehr die Gesetzgebung, die