Handbuch des Verwaltungsrechts. Группа авторов
kleidete die neue Politiklehre das nun überragende Politikziel einer reichen und daher auch steuerlich leistungsfähigen Gesellschaft in die berühmte Formel von der sogenannten „zeitlichen Glückseligkeit“.[41] Dieses Ziel war erreicht, wenn das Land von zahlreichen, wohlhabenden Untertanen bewohnt war. An der zeitlichen Glückseligkeit der Untertanen nahm der Staat teil, denn sie brachte ihm hohe Steuererträge. Der Staat hatte demnach zwei Anliegen vordringlich zu verfolgen: Zum einen die Förderung der Einwanderung und Niederlassung, zum anderen die systematische Förderung von Handel und Produktion.
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Merkantilismus und Kameralismus
Es ist dies ein Teil dessen, was die Wirtschaftsgeschichte traditionell unter dem Begriff des „Merkantilismus“ fasst. Der Merkantilismus stellt allerdings nur eine Spielart dieses neuen, ökonomisch zentrierten politischen Denkens dar.[42] Sein Spezifikum bestand darin, dass er im Handel die entscheidende Quelle des Wohlstandes eines Landes sah, weniger in der Produktion. In Deutschland setzte sich demgegenüber seit dem 18. Jahrhundert eine wirtschaftspolitische Grundauffassung durch, die den Akzent auf die Produktion legte. Diese Akzentuierung der Wirtschaftspolitik belegt man traditionellerweise mit dem Stichwort des „Kameralismus“. Der Kameralismus, wie man ihn am konsequentesten in Preußen umzusetzen versuchte, weist nicht unbeträchtliche Parallelen zu dem auf, was dann im 20. Jahrhundert – freilich in erheblich zugespitzter Form – in planwirtschaftlichen Systemen versucht wurde. Die Parallele zur Planwirtschaft liegt vor allem darin, dass die ökonomischen Prozesse – jedenfalls dem Anspruch nach – einer weitgehenden zentralen Steuerung und Beeinflussung durch den Staat unterliegen sollten.[43]
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Ökonomische Ausrichtung der Policey
Die Policey bekam auf diese Weise im 18. Jahrhundert in manchen Territorien eine neuartige ökonomische Ausrichtung: Nunmehr wurden die wirtschaftspolitischen Verwaltungsaufgaben dominant. Nicht mehr die Registrierung und Kontrolle von Normverstößen war jetzt die Hauptsache, sondern vielmehr die möglichst genaue Beobachtung und Erfassung des ökonomischen Zustandes der Städte und Dörfer, um der Regierung ein exaktes Bild von den Verhältnissen im Lande vermitteln zu können. Die Verhaltenskontrolle und die Sanktionierung policeywidrigen Verhaltens durch Policeystrafen wurde zum bloßen Annex einer vorrangig auf die Weiterentwicklung der ökonomischen Strukturen fokussierten Verwaltung.
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Neue Handlungsformen der Verwaltung
Die neue Verwaltungsaufgabe der Erzeugung gesellschaftlichen Reichtums gab der Verwaltungstätigkeit naheliegenderweise ein neues Gepräge. Neben dem Ge- und Verbot und deren Durchsetzung praktizierte die Verwaltung nun weitere Handlungsformen, die in besonderer Weise darauf ausgerichtet waren, Wirtschaftswachstum zu erzeugen. Das betraf zum einen die administrative Planung und Weiterentwicklung der ökonomischen Strukturen des Landes und zum anderen die Leistungsverwaltung. Diese Verschiebung der Aufgaben- und Zielstellungen des Verwaltungshandelns ist in ihren Anfängen seit dem 18. Jahrhundert zu beobachten – besonders ausgeprägt in einem Land wie Brandenburg-Preußen.[44] An zwei Punkten lässt sich dies besonders anschaulich machen: Zum einen an der Art und Weise, wie der Verwaltungsapparat in einem Land wie Preußen im Laufe des frühen 18. Jahrhunderts um- und ausgebaut wurde (dazu B.). Zum anderen an den Veränderungen der Pflichten- und Aufgabenkataloge, die die Amtsträger bei ihrer Arbeit anleiten sollen; in diesen Dienstanweisungen schlagen sich naturgemäß auch die Veränderungen der policeylichen Ordnungsvorstellungen und der Arbeitsweise nieder (dazu C.).
I. Die Ausgangslage seit dem Beginn der Neuzeit
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Ausgangslage
Generell hat man hier zu unterscheiden zwischen großen Territorien mit ausgeprägter landständischer Machtstellung einerseits und den zahlreichen mittleren und kleineren Reichsständen andererseits; letztere nicht selten ohne oder zumindest mit vergleichsweise schwachen Ständevertretungen. Die Struktur der territorialen Verwaltungsorganisationen korreliert mit der Macht und dem Einfluss der Stände: Je ausgeprägter deren Machtposition, desto stärker sind sie auch im Gefüge der jeweiligen Verwaltungsstrukturen positioniert.
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Überblick
Die Administrativ- und Jurisdiktionsinstitutionen der kleineren und mittelgroßen Territorien des Reiches waren in der Frühen Neuzeit in aller Regel auf zwei Ebenen gelagert: Einer zentralen Ebene und einer Ebene örtlicher/regionaler Herrschaftsausübung durch Vertreter des Landesherrn. An der Spitze stand regelmäßig eine kollegial organisierte, zentrale Regierungsinstanz für das gesamte Territorium, nämlich die an den landesfürstlichen Höfen entstehenden Räte, die auch als Beratungsorgan des Fürsten bei der Gesetzgebung dienten (1.).[45] Die zweite Administrativebene war diejenige dezentraler Verwaltung „vor Ort“ (2.). Seit dem Spätmittelalter waren diejenigen Territorien, die über eine gewisse Minimalgröße hinauskamen, räumlich in Verwaltungssprengel – häufig als „Amt“ oder „Vogtei“ bezeichnet – gegliedert, in denen ein Vertreter des Landesherrn dessen territoriale Herrschaftsrechte ausübte. Die Entstehung eines Netzes von Amtssprengeln, mit denen das Land systematisch überzogen war, bringt die Intensivierung und zunehmende Flächenhaftigkeit der spätmittelalterlichen Landesherrschaft sinnfällig zum Ausdruck. In den großen Territorien – in erster Linie ist hier an Preußen und Österreich zu denken – ist dieses Grundmuster dadurch modifiziert, dass es sich hier um „zusammengesetzte Staaten“ handelte, d. h. um zunächst rein dynastische Verbindungen vormals eigenständiger Territorien zu einem Großterritorium, dessen Bestandteile anfangs nur durch den gemeinsamen Landesfürsten in einer Art „Personalunion“ zusammengehalten wurden. Hier kam eine weitere administrative Ebene hinzu, gelagert zwischen der Zentrale und den lokalen Verwaltungsinstitutionen. Deren Zuständigkeitsbereich war in der Regel deckungsgleich mit den Grenzen jener Länder und Territorien, die in das Großterritorium der „Länderverbindung“ einbezogen wurden (3.). Neben dieser allgemeinen Landesverwaltung stand schon seit dem Mittelalter die Verwaltung des fürstlichen „Hauses“, also des fürstlichen Grundbesitzes und der Regalien. Daraus hat sich im Laufe der Frühen Neuzeit die Finanzverwaltung als erste Verwaltungsbranche mit speziellem Aufgabenbereich neben der allgemeinen Landesverwaltung entwickelt. Seit dem Beginn der Neuzeit traten dann weitere Sonderbehörden mit sachlich begrenztem Aufgabenbereich hinzu; am frühesten – im konfessionellen Zeitalter des 16. Jahrhunderts – die neuartigen Institutionen der staatlichen Religionssorge und der Kirchenaufsicht, später – allen voran in Preußen – eine neuartige Militärverwaltung (4.).
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Verbindung justizieller und administrativer Funktionen
Keine der genannten Funktionsträger und Instanzen waren allerdings reine „Verwaltungsbehörden“; alle diese Institutionen übten vielmehr ganz wesentlich auch Rechtsprechungsfunktionen aus. „Wenn man für die Epoche der europäischen Frühen Neuzeit von Verwaltung spricht, sind damit nur ausnahmsweise Institutionen bezeichnet, die ausschließlich Verwaltungstätigkeiten durchführten. Bürokratie, Justiz und Politik stellten vielmehr nur im Ansatz ausdifferenzierte Systeme dar, die personell, institutionell und auf der Handlungsebene eng miteinander verknüpft waren.“[46] Neben diesen sowohl administrativ wie rechtsprechend tätigen Institutionen gab es allerdings in aller Regel auch noch einen gerichtlichen Instanzenzug. Typisch für die institutionellen Strukturen in den frühneuzeitlichen Territorien war also ein Nebeneinander von „Gerichten“ mit überwiegend justiziell-rechtsprechender Funktion einerseits und herrschaftlichen Amtsträgern andererseits, bei denen die Rechtsprechungsfunktion mit administrativen Aufgaben verbunden war. Beide nahmen gleichermaßen administrative wie justizielle Funktionen wahr und sie waren zudem auf das Engste miteinander verzahnt.
1. Der Hofrat als Herrschaftsorgan auf der Zentralebene
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Der Hofrat: Entstehung,