Pitaval des Kaiserreichs, 3. Band. Hugo Friedländer
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Hugo Friedländer
Pitaval des Kaiserreichs, 3. Band
Darstellung merkwürdiger Strafrechtsfälle aus Gegenwart und Vergangenheit
Pitaval des Kaiserreichs, 3. Band
Hugo Friedländer
Darstellung merkwürdiger Strafrechtsfälle aus Gegenwart und Vergangenheit
Impressum
Texte: © Copyright by Hugo Friedländer
Umschlag: © Copyright by Walter Brendel
Verlag: Das historische Buch, 2022
Mail: [email protected]
Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH,
Berlin
Inhalt
Der Zweikampf zwischen Landrat v. Bennigsen und Domänenpächter Falkenhagen
Ein Kunstprozeß vor dem Breslauer Schöffengericht
Graf Gisbert von Wolff-Metternich. Ein Bild aus der Berliner Lebewelt
Fürst Bismarck gegen den Universitätsprofessor Dr. Theodor Mommsen
Ein russischer Gardeoberst wegen Taschendiebstahls angeklagt
Der Zweikampf zwischen Landrat v. Bennigsen und Domänenpächter Falkenhagen
Seit den letzten 50 Jahren ist ein ganz gewaltiger Fortschritt auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens zu verzeichnen. Vor 50 Jahren gab es noch weite Gebiete in Deutschland, in denen man das Dampfroß, diese großartige Erfindung, nur dem Namen nach kannte. Zu dieser Zeit, auch noch vor etwa 30 Jahren, vermittelte in vielen Gegenden Deutschlands die Postkutsche und anderes Fuhrwerk den Verkehr. Die Telegraphie war vor 50 Jahren in den ersten Anfängen, vom Fernsprechwesen war noch keine Spur vorhanden. Bereits beginnt nunmehr die Elektrizität den Dampf abzulösen, unser Zeitalter wird das der Elektrizität genannt. Ähnliche Fortschritte wie in der Technik sind auf allen anderen Gebieten zu verzeichnen. Die Anschauungen der Menschheit haben jedoch leider mit dem Vordringen der Wissenschaft und Technik keineswegs Schritt gehalten. Die Verständnislosigkeit des großen Publikums für Maßnahmen zur Erhaltung der Gesundheit ist geradezu betrübend. Ganz besonders herrscht im großen Publikum noch vielfach Verständnislosigkeit für die Notwendigkeit guter Luft. Es ist noch lange nicht genugsam bekannt, daß ein mehrfaches tägliches Zimmerlüften, selbst bei großer Kälte, zwecks Erhaltung der Gesundheit unerläßlich ist, und daß ein gut gelüftetes Zimmer sich bedeutend schneller erwärmt und selbstverständlich alsdann viel mehr Behaglichkeit bietet, als ein schlecht oder gar nicht gelüftetes. Dringend notwendig wäre es, Gesundheitslehre als Lehrgegenstand in den Schulen aufzunehmen. Ein weiteres Erfordernis ist es, endlich mit dem gesamten mittelalterlichen Unrat aufzuräumen, der wie ein Alb noch auf der Neuzeit lastet. Zu diesem mittelalterlichen Unrat gehört in erster Linie der Zweikampf. Über die Widersinnigkeit des Zweikampfes ist kaum noch ein Wort zu verlieren. Jeder gesittete Mensch wird mir beistimmen, daß der Zweikampf allen göttlichen und menschlichen Gesetzen geradezu Hohn spricht. Ein anständiger Mensch sollte absichtlich niemanden beleidigen. Da diese Ansicht aber noch lange ein frommer Wunsch bleiben dürfte, so sind doch die ordentlichen Gerichte berufen, Beleidigungen durch entsprechende Strafen zu sühnen oder durch Vergleich aus der Welt zu schaffen. Die Zahl der Beleidigungsprozesse, die täglich zur gerichtlichen Verhandlung kommen, ist geradezu Legion. Welch ein Hohn liegt aber in der Tatsache, daß im Zweikampf vielfach nicht der Beleidiger, sondern der Beleidigte verwundet oder gar getötet wird. Es ist geradezu ein Hohn auf die staatlichen Gesetze, daß sogenannte Ehrengerichtshöfe entscheiden, der Zweikampf müsse vorgenommen werden. Im Weigerungsfalle der Beteiligten erfolgt gesellschaftliche Ächtung und beim Militär der schlichte Abschied. Welch unendliches Herzeleid diese mittelalterliche, widersinnige Einrichtung über anständige Familien schon gebracht hat, läßt sich auch nicht annähernd feststellen. Wieviel Mühe und Opfer kostet es Eltern, den Sohn die Universität besuchen oder die Offizierslaufbahn einschlagen zu lassen. Und wegen irgendeiner, bisweilen aus frivolem Übermut vom Zaun gebrochenen Lappalie ist der junge Mann oftmals »aus Standesrücksichten« genötigt, sich dem mörderischen Blei seines Beleidigers gegenüberzustellen und das Lebensglück, ja die ganze Hoffnung seiner Familie für immer zu vernichten. Vor etwa zehn Jahren hat sich aus notabeln Herren der verschiedensten politischen Parteien eine sogenannte Antiduell-Liga gebildet. Es haben auch öffentliche Zusammenkünfte dieser Liga in verschiedenen Gegenden des Reiches stattgefunden, irgendeinen Erfolg hat jedoch die Liga wohl kaum zu verzeichnen. Dieser Krebsschaden der menschlichen Gesellschaft, als den man wohl mit vollem Recht die Einrichtung des Zweikampfs bezeichnen kann, kann meines Erachtens nur ausgerottet werden, wenn die Tötung im Zweikampf gleich dem Totschlag bestraft wird. Der Zweikampf, der im Januar 1902 zwischen dem Landrat Adolf v. Bennigsen und dem Domänenpächter Falkenhagen stattfand, ist ein Schulbeispiel für meine Auffassung. Der am 23. November 1873 geborene Falkenhagen, Sohn des Abgeordneten Amtsrats Falkenhagen (Northeim), war seit 1899 Pächter der Königlichen Domäne Springe in Hannover. Das Wohnhaus Falkenhagens war durch einen Hof von der Wohnung des Landrats v. Bennigsen, einem Sohne des früheren Führers der nationalliberalen Partei, Reichstags- und Landtagsabgeordneten, Oberpräsidenten Rudolf v. Bennigsen, getrennt. Der unverheiratete Falkenhagen war ständiger Gast im Hause des Landrats. Dies sollte letzterem zum Verhängnis werden. Bereits seit langer Zeit war es in Springe offenes Geheimnis, daß zwischen Falkenhagen und Frau v. Bennigsen intime Beziehungen bestanden. Diese Gerüchte drangen schließlich zu den Ohren des Landrats. Dieser wollte zunächst nicht glauben, daß ihn seine Frau, mit der er 12 Jahre in glücklichster Ehe lebte, und die ihm fünf Kinder geschenkt hatte, hintergehe. Da die Gerüchte aber schließlich zur Gewißheit wurden, so wurde in dem Klub der Honoratioren zu Springe, dem auch Herr v. Bennigsen als Mitglied angehörte, beschlossen: letzterem die Sache zu unterbreiten. Daraufhin brach v. Bennigsen sofort den Verkehr mit Falkenhagen ab. Außerdem soll ein peinlicher Auftritt zwischen v. Bennigsen und seiner Gattin stattgefunden haben, der zur Folge hatte, daß Frau v. Bennigsen sofort zu ihrer Schwester nach Leipzig abreiste. Gleich darauf sandte Landrat v. Bennigsen durch den Oberförster Limmer an Falkenhagen eine Herausforderung zum Zweikampf auf Pistolen. Die Bedingungen lauteten: Kugelwechsel auf 15 Sprungschritt; Distanz ohne Avancieren bis zur Kampfunfähigkeit eines der Kämpfenden. Unter Kampfunfähigkeit wurde nicht der Tod oder die tödliche Verwundung eines der Kämpfenden, sondern bereits eine Verwundung verstanden, welche die Unfähigkeit zum Weiterschießen zur Folge hätte. Die vereinbarten Bedingungen entsprachen dem Willen des Herrn v. Bennigsen. Die Sekundanten waren bemüht, dem Zweikampf eine mildere Form durch Festsetzung einer bestimmten Kugelzahl, etwa 10 Stück, zu geben, Herr v. Bennigsen lehnte jedoch diesen Vorschlag ab. Am 16. Januar 1902, vormittags, fand der Zweikampf im Saupark bei Springe, und zwar in voller Wahrung der hergebrachten Zweikampfsregeln,