Zwangsvollstreckungsrecht, eBook. Alexander Bruns

Zwangsvollstreckungsrecht, eBook - Alexander Bruns


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ist die Zwangshaft der extrem stärkere Eingriff. Zwangshaft darf deshalb nur eingesetzt werden, falls Zwangsgeld wirkungslos geblieben oder mit Sicherheit von vorneherein aussichtslos ist. Innerhalb der Zwangsmittel der Personalvollstreckung gebietet die Verfassung eine nicht positivierte Reihenfolge der Vollstreckungsmittel (gradus executionis)[16]. Die Haft als härtestes Vollstreckungsmittel bedarf von Verfassungs wegen besonders strenger Kontrolle ihrer Voraussetzungen (Art. 104 GG). Es war deshalb verfassungsrechtlich überaus fragwürdig, wenn der BGH zur Verwirklichung der Pfändung von Einkommensteuererstattungsansprüchen ohne hinreichende gesetzliche oder dogmatische Grundlage eine über die Offenbarungsversicherung hinausgehende Mitwirkungspflicht des Schuldners angenommen hat, die überdies ohne gesonderte Titulierung im Wege der Hilfsvollstreckung vollstreckbar sein soll[17].

      7.10

      Die Haft zur Durchsetzung der Vermögensauskunft (§ 802g) ist streng genommen kein eigentliches Vollstreckungsmittel, sondern ein Mittel zur Durchsetzung von Auskunftspflichten des Schuldners, die dem verfahrensrechtlichen Zeugniszwang ähneln. Auch diese Haft kann nach der Verfassung nur die ultima ratio sein: strengste Kontrolle der Pflichtverletzung; Aufschubmöglichkeiten bei Bereitschaft zur Pflichterfüllung oder künftigem Fortfall der Auskunftspflicht wegen Tilgung[18]. §§ 802f ff. werden diesen Anforderungen gerecht, indem sie vielerlei Moratorien zu Gunsten des Schuldners gewähren; das BVerfG stellt darüber hinaus an die Prüfung der Pflichtigkeit des Schuldners Höchstanforderungen[19].

      7.11

      Eine Willensbeugung als besonders starker Eingriff in die persönliche Freiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) lässt sich nur rechtfertigen, falls das Beugemittel noch einen Zweck hat. Bei § 888 muss die geschuldete Handlung im Zeitpunkt der Festsetzung des Zwangsmittels möglich sein[20], bei § 890 tritt neben den Zweck der Willensbeugung die Sanktion als generalpräventiver Zweck. Sie verlangt von Verfassungs wegen den schuldhaften Verstoß[21]: „nulla poena sine culpa“ als der Rechtsstaatlichkeit entfließender Verfassungssatz.

      7.12

      Das BVerfG hat allerdings die Gleichsetzung mit der Strafe auf verfassungsrechtlicher Ebene nicht so weit getrieben, dass ähnlich wie im Strafprozess volle richterliche Überzeugung vom Verschulden des Schuldners gegeben sein müsste. Vielmehr gelten zivilprozessuale Beweisregeln, insbesondere bleibt der prima facie-Beweis möglich[22]. Das BVerfG begründet dies zutreffend mit dem Zweck des Vollstreckungsverfahrens, private Rechte durchzusetzen, nicht einen staatlichen Strafanspruch: bei zu hohen Beweisanforderungen scheitere die Rechtsverwirklichung des Gläubigers.

      7.13

      Viele Vollstreckungsmaßnahmen setzen das Betreten oder Durchsuchen der Wohnung des Schuldners gegen seinen Willen voraus (Pfändung, Herausgabe, Räumung etc.). Die Verfassung garantiert aber die Unverletzlichkeit der Wohnung und verlangt für Durchsuchungen die richterliche Anordnung (Art. 13 Abs. 1 und 2 GG). Grundsätzlich bestehen zwei Möglichkeiten der Konfliktlösung. Entweder man sieht wenigstens im richterlichen Titel, der vollstreckt werden soll, die allgemeine richterliche Anordnung zum zwangsweisen Betreten und Durchsuchen der Wohnung, der Schuldner müsste sich dann in Einzelfällen verfassungswidrigen Zugriffs durch Rechtsbehelf wehren (§ 766)[23]. Oder aber man verlangt für jeden Vollstreckungszugriff, der in die Unverletzlichkeit der Wohnung eingreift, den richterlichen Beschluss mit seiner konkreten präventiven Kontrolle. Die neuere Rechtsprechung des BVerfG geht den letzten Weg besonderer verfassungsrechtlicher Behutsamkeit und nimmt lieber vollstreckungsrechtliche Folgeprobleme in Kauf[24].

      7.14

      Das öffentliche Schuldnerverzeichnis (§§ 882b ff.) gibt jedem Dritten mit wirtschaftlichem Interesse Einblick in erfolglose Vollstreckungsversuche und stellt damit den Schuldner in gewisser Weise bloß. Diesen Eingriff in das Recht des Schuldners auf informationelle Selbstbestimmung[25] wird man – ähnlich wie im Insolvenzrecht[26] – grundsätzlich als unbedenklich zu betrachten haben, weil die grundrechtlichen Gewährleistungen potenzieller Gläubiger (insbesondere Art. 14 GG) ebenso wie das Allgemeininteresse an lauterem Schuldnergebaren entsprechende Transparenz rechtfertigen[27]. Die beschränkte zeitliche Fortwirkung der Eintragung und zahlreiche neu eingeführte datenschützende Maßnahmen insbesondere bei der Weitergabe berücksichtigen die grundrechtliche Gewährleistung informationeller Selbstbestimmung ausreichend (Rn. 48.25 ff.).

      7.15

      Der Grundsatz des beschränkten Vollstreckungszugriffs verbietet unnötige Vollstreckungsmaßnahmen bei fehlendem Vollstreckungsinteresse (§§ 803 Abs. 2 ZPO, 77 ZVG) und er schützt vor extensiver Vollstreckung (Kahlpfändung, unverhältnismäßig hohe Zwangsmittel etc.)[28]. Beide Grundelemente des Grundsatzes des beschränkten Vollstreckungszugriffs sind verfassungsfest. Sie folgen aus den rechtsstaatlichen Erfordernissen der Eignung, Erforderlichkeit bzw. Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs. Der Schutz menschlicher Würde[29] und Personalität (Art. 1, 2 GG) verlangt einen Restbestand sächlicher Mittel zum Gebrauch und Lebensunterhalt (§§ 811 ff., 850 ff.). Der Schutz von Ehe und Familie erfordert die Berücksichtigung von Ehepartnern und Kindern bei der Bedarfsbemessung (§§ 811 Abs. 1 Nr. 1–4a, 6, 10–12, 850c). Freie Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG) ist nur denkbar, soweit die nötigsten Hilfsmittel verfügbar bleiben (§§ 811 Abs. 1 Nr. 4, 5, 7, 9), ähnlich ungestörte Religionsausübung (§ 811 Abs. 1 Nr. 10; Art. 4 Abs. 2 GG). Art. 13 Abs. 1 GG entfließt der Schutz der Wohnung als räumlicher Lebensmittelpunkt des Menschen, eine Wertung, die auch das Vollstreckungsrecht nicht unbeachtet lassen kann (§§ 721, 811 Abs. 1 Nr. 1, 2. HS); allerdings geht dieser Schutz nicht so weit, dass das Eigentum am Familienheim unverwertbar bliebe[30].

      7.16

      Man sollte zunächst einmal immer davon ausgehen, dass das positive Recht den verfassungsrechtlichen Anforderungen in ausreichender Weise standhält, und nicht versuchen, anhand vermeintlicher verfassungsrechtlicher Vorgaben die individuelle Vorstellung von der Regelungsbedürftigkeit des Einzelfalles gegen das positive Recht durchzusetzen[31]. Das positive Recht verwirklicht innerhalb eines weiten gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums die Konkordanz zwischen der Rechtsschutzgewährleistung zu Gunsten des Gläubigers und den grundrechtlichen Schutzpositionen des Schuldners durch die vom parlamentarischen Gesetzgeber gewählte einfachrechtliche Gestaltung.

      7.17

      Das einfache Recht verhindert durch verschleuderungsschützende Normen (Rn. 6.73 ff.) unterwertige Veräußerung. Der Grundsatz effektiver Verwertung ist in seinem Kernbereich Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und daher verfassungsfest[32]. Der beim Schuldner vernichtete Wert darf nicht ohne Not außer Verhältnis zum Nutzen für den Gläubiger stehen.

      7.18

      Die Betonung liegt auf den Worten „ohne Not“. Ist nur eine unterwertige Verwertung möglich, so ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht verletzt, wenn die Rechtsverwirklichung vorgenommen wird, die eben praktisch durchführbar ist. Ein allgemeiner Satz, dass der Nutzen für den Gläubiger größer sein müsse als der Schaden für den Schuldner, gibt keine sinnvolle Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für vollstreckungsrechtliche Verwertung (s. schon Rn. 6.75). Er lässt zu vieles außer Acht: Begünstigungseffekt für Schuldner mit wertvollem Pfandgut; Benachteiligung des selbst liquidierenden rechtstreuen Schuldners; öffentliches Interesse an


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