Zwangsvollstreckungsrecht, eBook. Alexander Bruns

Zwangsvollstreckungsrecht, eBook - Alexander Bruns


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bedarf. Da Art. 13 Abs. 7 GG insoweit nicht weiterhilft, bleibt nur der Weg über die richterliche Erlaubnis[46].

      Der § 758a Abs. 1 ZPO i.d.F. der 2. Zwangsvollstreckungsnovelle 1999 geht von dem Erfordernis richterlicher Anordnung bei „Durchsuchung“ aus, ohne diese Zweifelsfrage klarzustellen. Der Rechtssicherheit dient diese wörtliche Umsetzung der BVerfG-Rechtsprechung letztlich nicht. Die gesetzliche Regelung gibt keinen Anlass, die hier vertretene Auffassung zu ändern.

      8.16

      Geschäftsräume sind „Wohnung“ i.S.d. Art. 13 GG[47], sodass auch insoweit die richterliche Anordnung nötig bleibt[48]; auch juristische Personen und Personenvereinigungen genießen den Schutz des Art. 13 GG[49]. – Richtig ist zwar, dass zur Pfändung offen ausgelegter Ware oder Gegenstände keine eigentliche Durchsuchungshandlung erforderlich ist[50], wenn man das soeben erwähnte, einschränkende Verständnis des Durchsuchungsbegriffs zugrundelegt. Richtig ist auch, dass das BVerfG die Schutzbedürftigkeit von Geschäftsräumen geringer einstuft als die „echter“ Wohnungen und dem bei Auslegung des Art. 13 Abs. 3 GG Rechnung trägt[51]. Nichtsdestotrotz ist für das Betreten von Geschäftsräumen zur Vornahme von Vollstreckungshandlungen gegen den Willen des Schuldners (und die Öffnung zur Anbahnung geschäftlicher Kontakte ist keine generelle Einwilligung[52] oder wenn, dann jedenfalls eine widerrufliche[53]) eine gesetzliche Grundlage vonnöten[54], die nicht in den nur die Durchsuchung ansprechenden §§ 758 Abs. 1 ZPO, 287 Abs. 1 AO gesehen werden kann[55] (und ebenso wenig in den §§ 808 ZPO, 286 Abs. 1 AO[56]). Zu Recht wird daher in BVerfGE 76, 83, 89 formuliert, die richterliche Erlaubnis gestatte dem GV zum einen das Betreten der Räume des Schuldners und gebe ihm zum anderen auch das Recht, sich für die Dauer der Ausführung seines Vollstreckungsauftrages dort aufzuhalten.

      8.17

      Sehr scharfsinnig ist die Folgerung des BVerfG[57], dass die Durchsuchung durch den GV zur Erledigung mehrerer Pfändungsaufträge (§ 827 Abs. 3 ZPO) dann gegen Art. 13 Abs. 1 GG verstößt, wenn für einen Teil der Gläubiger keine Durchsuchungserlaubnis vorliegt, der GV sich aber wegen der Vollstreckung für diese Gläubiger länger in den Räumen des Schuldners aufhalten muß[58]. Die Begründung, die richterliche Erlaubnis gestatte dem GV neben dem Betreten der Räume des Schuldners das Verweilen nur so lange, wie es zur Durchführung des jeweiligen Auftrages erforderlich sei, wirkt etwas überspitzt. Das „längere Verweilen“ wegen der Vollstreckung zu Gunsten der ohne Durchsuchungsanordnung agierenden Gläubiger lässt sich besonders schwer feststellen, wenn man dem GV zugesteht, sich nach dem Betreten der Wohnung zunächst einen Überblick über die gesamte verwertbare Habe zu verschaffen; dann kann es auf die Dauer der Verlängerung („Blick auf den Minutenzeiger“) ankommen[59]. Weniger Erfolg versprechend ist der Umgehungsversuch, für die übrigen Gläubiger wegen der gegebenen Gläubigerkonkurrenz Gefahr im Verzug anzunehmen und deshalb das Erfordernis einer richterlichen Erlaubnis abzulehnen[60]. Dagegen spricht auch die vom BVerfG favorisierte enge Auslegung des Begriffs „Gefahr im Verzug“[61].

      8.18

      Zunächst muss man sich die verfassungsrechtliche Ausgangslage vergegenwärtigen. Bei ehelichen Wohnungen oder Wohngemeinschaften greift die Durchsuchung in das Grundrecht eines jeden dauernden rechtmäßigen Bewohners ein, unabhängig von der bürgerlichrechtlichen Gestaltung des Mietverhältnisses oder der Eigentumsverhältnisse[62]. Weil die richterliche Prüfung nach der Intention des BVerfG Wohnungsinhaber vor unverhältnismäßigen Eingriffen schützen soll, müsste eigentlich eine entsprechende Anordnung gegen jeden Wohnungsinhaber ergehen, der den Vollstreckungsorganen bekannt ist, damit seine Rechte abgewogen werden können.

      8.19

      Der § 758a Abs. 3 verlangt – im Einklang mit der schon früher h.M.[63] – keinen Durchsuchungsbeschluss gegen Wohnungsmitinhaber, auch wenn sie dem Gläubiger oder Gerichtsvollzieher bekannt sind. Vielmehr müssen sich der Schuldner oder der Drittgewahrsamsinhaber wehren (§§ 766, 793), falls die Durchsuchung unbillige Härten gegenüber dem Drittgewahrsamsinhaber nicht vermeidet. Diese pragmatische, mit der bisherigen Praxis übereinstimmende Regelung wirft die Frage auf, warum der Titelschuldner besser geschützt sein soll als der unbeteiligte Dritte. Müsste dann nicht – so könnte man dieser Verfassungsauslegung entgegenhalten – dem verurteilten Schuldner recht sein, was dem Dritten billig zu sein hat, nämlich repressiver Schutz (s.a. Rn. 8.30)? Immerhin erwähnt die Neuregelung die Drittinteressen; ihre Verfassungsmäßigkeit bleibt trotzdem zweifelhaft[64].

      8.20

      Bei Untermietverhältnissen kann das gewaltsame Betreten der Wohnung des Hauptmieters nötig sein, das ebenfalls zwar durch § 758 gedeckt ist, aber richterliche Anordnung erfordert, die sich auf den Durchgang beschränkt und natürlich die Durchsuchung dieser Wohnung nicht gestattet (sehr str.)[65].

      8.21

      Bei der Herausgabevollstreckung ist mit dem richterlichen Herausgabetitel noch nicht richterlich geprüft, ob die zwangsweise Wohnungsdurchsuchung im konkreten Vollstreckungsfall den Anforderungen des BVerfG entspricht, sodass es beim Erfordernis besonderer richterlicher Anordnung bleibt[66]; das gilt auch dann, wenn es sich bei der herauszugebenden Sache um ein festinstalliertes Gerät (z.B. Gas- oder Stromzähler) handelt[67]. Entsprechendes ist anzunehmen, wenn zur Durchsetzung eines Duldungstitels das Betreten der Wohnung des Schuldners unter Hinzuziehung des GV.s (§ 892) erforderlich ist[68]. Denn auch die Zuerkennung des materiellrechtlichen Duldungsanspruchs impliziert nicht die vom Verfassungsgericht geforderte Überprüfung des jeweiligen Vollstreckungszugriffs (m.E. selbst dann nicht, wenn sich der Anspruch im Betreten und Besichtigen der Wohnung erschöpft, wie z.B. beim Besichtigungsrecht des Vermieters vor Verkauf oder Neuvermietung). Auch § 758a Abs. 2 will diese Fälle ausweislich der Gesetzesbegründung gerade nicht vom Erfordernis richterlicher Durchsuchungsanordnung ausnehmen[69].

      8.22

      Selbst beim Räumungstitel behält die verfassungsgerichtlich verordnete Sonderprüfung gewaltsamen Eindringens in die Wohnung ihren Sinn[70]; die begriffliche Lösung, die das völlige gewaltsame Ausräumen einer Wohnung nicht als „Durchsuchung“ i.S.d. Art. 13 GG subsumiert, wirkt spitzfindig. Die Regelung des § 758a Abs. 2 ist deshalb nicht ohne verfassungsrechtliches Risiko, wenn sie Räumungsvollstreckung gegen Widerstand ohne gesonderte richterliche Anordnung zulassen will[71]. Das gilt umso mehr, als die gesetzliche Regelung nicht zwischen der Vollstreckung richterlicher und nichtrichterlicher Titel unterscheidet[72].

      8.23

      Der Haftbefehl (§ 802g) wird zwar vom Richter im Vollstreckungsverfahren gesondert angeordnet, jedoch impliziert die Verhaftung durch den Gerichtsvollzieher (§ 802g Abs. 2) noch keine zwangsweise Wohnungsdurchsuchung nach dem Schuldner; vieles spricht dafür, auch insoweit – entgegen § 758a Abs. 2 ZPO – gesonderte Anordnung zu verlangen[73]. Der Haftbefehl berechtigt jedenfalls nicht dazu, die Verhaftung in den Räumen eines Dritten durchzuführen[74]; eine gesetzliche Grundlage, die dem GV das Betreten der Räume des Dritten gestattet bzw. den Richter zum Erlass einer Durchsuchungsanordnung ermächtigt, ist nicht ersichtlich[75]. Die Regelung des § 758a Abs. 1 beschränkt sich ausdrücklich auf die Wohnung des Schuldners.


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