Zwangsvollstreckungsrecht, eBook. Alexander Bruns
href="#ulink_b74d619d-5fdc-57cf-bbdc-1b252da96814">7.26). Aus dem Zweck dieser exakten Regelung ergibt sich, dass die Zwangsvollstreckungsrechtssätze in der Regel zwingenden Rechts sind, also einer Parteidisposition nicht unterliegen: „Die Voraussetzungen und die Grenzen der staatlichen Vollstreckungshandlungen sind begrifflich den Abmachungen der Parteien entzogen“[1]. Daher ist auch für Vollstreckungsvereinbarungen nur ein geringer Raum (Rn. 6.17).
10.2
Freilich ist die Stellung des Gläubigers weniger schutzwürdig als die des Schuldners: der Gläubiger leitet durch seinen Antrag das Verfahren ein, er kann es beenden; er hat daher auch die Befugnis, seine Rechte in der Zwangsvollstreckung durch vertragliche Abmachungen zu beschränken. Dagegen haben den Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Position des Schuldners nicht nur dessen individuelle Interessen, sondern auch allgemeine Erwägungen sozialer und gesamtwirtschaftlicher Art geleitet; der Schuldner kann daher auf die ihm eingeräumte Rechtsstellung regelmäßig nicht verzichten. Auch die im Gesetz vorgesehenen Arten der Zwangsvollstreckung und das dabei einzuhaltende Verfahren sind der Disposition der Parteien entzogen[2].
II. Einzelne Zulässigkeitsfragen
10.3
Aus dem Gesagten ergibt sich für die Zulässigkeit von Vollstreckungsvereinbarungen:
1. Vollstreckungserweiternde Verträge
10.4
Vollstreckungserweiternde Verträge, d.h. solche, die die Vollstreckungsbefugnisse des Gläubigers über die gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten erweitern, sind nichtig.
Der Schuldner kann sich daher z.B. nicht wirksam damit einverstanden erklären, dass ohne Titel oder Klausel oder in sein der Zwangsvollstreckung nicht unterworfenes Vermögen vollstreckt wird oder dass der Gläubiger die gepfändete Sache „zum Tageswert übernimmt“. Vereinbarungen sind hier nur in den gesetzlich zugelassenen Fällen möglich (z.B. §§ 816 Abs. 1, 825). Auch auf den Vollstreckungsschutz nach § 811 oder §§ 850 ff. kann der Schuldner nicht von vornherein wirksam verzichten[3], ebenso nicht auf den besonderen Schutz gegenüber Räumungsvollstreckungen[4] oder den Vollstreckungsschutz gemäß § 765a[5] und § 890 Abs. 2[6].
Beispiel: Nach Kündigung des Mietverhältnisses verklagt der Vermieter V den Mieter M auf Räumung der Wohnung. In der Berufungsinstanz schließen V und M einen Vergleich, in dem M sich verpflichtet, die Wohnung zum Jahresende zu räumen; gleichzeitig erklärt M „Verzicht auf Räumungsschutz“. Ein Verzicht auf den Schutz des § 794a ist allenfalls dann wirksam, wenn zwischen dem Vergleichsabschluss und dem vorgesehenen Räumungstermin eine so bemessene Zeitspanne liegt, dass der Schutzzweck des § 794a gewahrt wird. Regelmäßig dürfte ein halbes Jahr genügen, vgl. § 794a Abs. 3. Die Unverzichtbarkeit des Schutzes aus § 765a ergibt sich dagegen auch in diesem Fall schon aus § 138 Abs. 1 BGB. Wird M demgegenüber rechtskräftig zur Räumung verurteilt, kann § 721 nicht durch eine Vereinbarung mit V umgangen werden, solange es bei dem ausgeurteilten Räumungstermin bleiben soll. In einem anwaltlichen Vergleich gemäß § 796a kann M sich der sofortigen Räumungsvollstreckung dagegen nicht unterwerfen[7].
10.5
Von dem vertraglichen Verzicht auf Schuldnerschutzbestimmungen ist der Tatbestand zu unterscheiden, dass der Schuldner sich auf diesen Schutz nicht beruft, insbesondere nicht die Erinnerung nach § 766 einlegt. Pfändet also z.B. der Gerichtsvollzieher entgegen § 811 Abs. 1 Nr. 5 die Schreibmaschine des Schriftstellers, so ist die Pfändung nicht nichtig, sondern nur mit der Erinnerung anfechtbar (vgl. unten Rn. 11.2 ff.). Stimmt der Schuldner der Sachpfändung zu, so entfällt auch die Anfechtungsmöglichkeit[8]. Ein bei oder nach der Pfändung erklärter Verzicht des Schuldners auf die Geltendmachung der Unpfändbarkeit oder nur beschränkten Pfändbarkeit einer Forderung ist dagegen unwirksam[9]; denn hier könnte der Schuldner auch durch Abtretung, Aufrechnung oder Verpfändung nicht über die Forderung rechtsgeschäftlich verfügen (§§ 394, 400, 1274 Abs. 2 BGB).
2. Vollstreckungsausschließende Verträge
10.6
Zweifelhaft und umstritten[10] ist die Zulässigkeit von vollstreckungsausschließenden Verträgen, weil einerseits dem Gläubiger eine gewisse Disposition über seine Vollstreckungsbefugnis eingeräumt ist, andererseits aber doch die Klagbarkeit und Vollstreckbarkeit eines Rechts diesem von der Rechtsordnung als „Essentialia“ zugewiesen sind.
Man wird zu unterscheiden haben:
a) Materiellrechtliche Vereinbarungen
10.7
Vereinbarungen zwischen den Parteien, die sich auf das materielle Recht – z.B. im Sinne eines Erlasses oder einer Stundung – auswirken sollen, fallen nicht unter den Begriff der Vollstreckungsvereinbarungen und sind in den Grenzen des materiellen Rechts (§§ 134, 138 BGB) zulässig. Sie sind im Prozess geltend zu machen. Ist die Vereinbarung nach Schluss der letzten Tatsachenverhandlung getroffen worden, so muss der Schuldner im Wege der Vollstreckungsgegenklage vorgehen (§ 767; str.).
b) Regelung von Vollstreckungsmodalitäten
10.8
Vereinbarungen, die die Vollstreckungsbefugnis des Gläubigers zeitlich beschränken[11] oder eine Vollstreckungsmodalität (z.B. die Ableistung der eidesstattlichen Versicherung[12]) ausschließen, sind gültig. Sie sind vom Schuldner im Wege der Erinnerung nach § 766 geltend zu machen[13], obwohl eigentlich nur das abredewidrige Verhalten des Gläubigers, nicht die Art und Weise des Vorgehens der Vollstreckungsorgane gerügt wird (Rn. 43.2 ff.; 43.13; 43.23); nach anderer Auffassung muss der Schuldner deshalb eine besondere Unterlassungsklage oder die – durch § 767 Abs. 2 nicht beschränkte – Vollstreckungsgegenklage erheben[14]; eine weitere, im Vordringen befindliche Auffassung[15] räumt dem Schuldner letztlich ein Wahlrecht zwischen § 766 und § 767 ein.
Beispiel:
G hat gegen S einen rechtskräftigen Titel erwirkt. Da S in voraussichtlich nur vorübergehenden Zahlungsschwierigkeiten steckt, sagt G zu, für drei Monate „seine Rechte aus dem Titel nicht zu verfolgen“, damit das Delkredere des S nicht durch etwaige Pfändungsmaßnahmen beschädigt wird. Entscheidend ist die Auslegung: handelt es sich um eine materiellrechtliche Stundungsabrede, entfällt für diesen Zeitraum u.U. auch eine weitere Verzinsung; hier ist der Weg über § 767 eröffnet. Hat G nur die befristete Unterlassung von Vollstreckungsmaßnahmen versprochen, ist die Erinnerung gem. § 766 statthaft, nach der Rechtsprechung auch eine Vollstreckungsgegenklage. Sofern in der Auslegungsfrage Zweifel bestehen, was in der Praxis häufig der Fall sein dürfte, bietet § 767 daher den sicheren, wenngleich langwierigen Rechtsbehelf, da nach h.M. materiellrechtliche Einwendungen nicht erinnerungsweise geltend gemacht werden können (s. Rn. 42.1; 43.2 ff.; 43.23).
Dagegen können Gläubiger und Schuldner keine Änderung der Vollstreckungsart vereinbaren, z.B. nicht die Erzwingung einer vertretbaren Handlung durch Geldstrafe[16]. Möglich ist jedoch, dass eine Unterlassungspflicht an Stelle des öffentlich-rechtlichen Ordnungsgelds nach § 890 durch die Verabredung einer privatrechtlichen Vertragsstrafe vollstreckt wird, ohne dass allerdings für die Vertragsstrafe das Verfahren des § 890 möglich wäre[17].