Die Vampirschwestern – Der Meister des Drakung-Fu. Franziska Gehm

Die Vampirschwestern – Der Meister des Drakung-Fu - Franziska Gehm


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      Franziska Gehm

      Die Vampirschwestern – Der Meister des Drakung-Fu

      Kampf in der Nacht

      Die Nacht hatte sich wie eine tiefblaue besternte Jurte über die mongolische Steppe gelegt. Die schrillen Warnpfiffe der kleinen Pfeifhasen waren schon lange verklungen, ebenso der Gesang der Steppen-Sattelschrecke. Die Mongolei, dieses gewaltige und ehrwürdige Land, schlief in den Armen von Russland und China in Asiens Mitte.

      Das heißt … nicht das ganze Land. Die meisten Bewohner der Mongolei schliefen. Aber nicht alle. Manche waren auch gerade erst aufgestanden. Die Nacht lag vor ihnen, verheißungsvoll und zauberhaft, wie ein Versprechen. Oder wie ein reichlich gedeckter Tisch.

      Ein majestätischer Maralhirsch wagte sich im blassblauen Mondlicht hinter einer Gruppe Fichten hervor. Der Kopf mit dem gewaltigen Geweih hob sich dunkelgrau und drohend vom Himmel ab. Der Maralhirsch ging langsam ein paar Schritte auf dem trockenen Steppenboden. Er reckte den langen Hals, drückte die breite Brust heraus und streckte die Nase in die kühle Nachtluft. Er witterte keinen Gobibären und keinen Schneeleoparden. Er war allein. Er war der Herrscher der Nacht. Er fühlte sich sicher.

      Das Gefühl war trügerisch.

      Gierige goldene Augen hatten den Maralhirsch ins Visier genommen und ließen keine Sekunde von ihm ab. Doch der gewaltige Hirsch bemerkte sie nicht. Er sah auch nicht das elfenbeinfarbene Gesicht mit den feinen kristallblauen Äderchen auf der Stirn. Zwar nahm er einen seltsamen, modrigen Geruch wahr, doch er wusste ihn nicht einzuordnen. Hin und wieder war er diesem eigenartigen Geruch bei seinen nächtlichen Streifzügen durch die mongolische Steppe schon begegnet. Doch noch nie hatte er die Quelle des Geruchs gesehen. Vermutlich war es nur ein winziges, scheues Wesen der Nacht.

      Der Maralhirsch wusste nicht, dass dieser Geruch eine Gefahr für ihn bedeutete. Dass dieser Geruch der Vorbote des Todes war.

      Nur ein paar Meter von dem Maralhirsch entfernt lauerte tatsächlich ein Wesen der Nacht. Doch es war nicht scheu. Im Gegenteil, das Nachtwesen war gefährlich, wild und stark. Es war ein junger Krieger. Wie ein Raubtier hockte er auf einem Felsvorsprung, verborgen hinter einer kleinen Zirbelkiefer. Er hatte alle Muskeln angespannt. Seine Haut leuchtete hell im Mondlicht, und als er die Oberlippe hochzog, blitzten zwei spitze Eckzähne auf. Der Krieger breitete die langen, dünnen Arme aus, als wären sie gewaltige Schwingen, und richtete sich langsam auf.

      Der Maralhirsch spitzte die Ohren. Er blieb stocksteif stehen. Nur seine braunen Augen suchten sorgfältig die Umgebung ab. Nichts sollte ihm entgehen.

      Als er den Krieger sah, war es zu spät. Er stürzte sich mit weit ausgebreiteten Armen, weit aufgerissenem Mund und einem lauten Kampfschrei auf seine Beute.

      Doch so schnell ließ sich ein Maralhirsch nicht verschrecken. Schon gar nicht dieser. Er war fast zwei Meter groß und wog an die 350 Kilogramm. Der Krieger dagegen war höchstens einen Meter sechzig groß und wog höchstens fünfzig Kilo. Mit einem Ruck legte der Hirsch den Kopf schief und stieß mit seinem bedrohlichen Geweih nach dem Angreifer. Es fehlten nur wenige Millimeter und er hätte den Krieger aufgespießt. Doch der flog in letzter Sekunde zur Seite. Es machte ratsch und ein Stück des dunkelblauen Mantels des Kriegers blieb am Geweih hängen. Es baumelte dem Maralhirsch vor den Augen und kitzelte an seiner Nase. Der Hirsch starrte wütend auf den Stofffetzen vor seiner Nase und versuchte, ihn mit der Zunge zu schnappen.

      Der Krieger war klein, aber schnell wie ein Leopard. Während der Hirsch noch mit dem Stofffetzen kämpfte, flog der Krieger hinter den Maralhirsch und setzte sich auf dessen Rücken. Kaum spürte der gewaltige Hirsch das ungewohnte Gewicht auf seinem Rücken, schnaubte er wütend und stellte sich auf die kräftigen Hinterbeine. Doch der Krieger rutschte nicht vom Rücken. Er hielt sich mit beiden Händen am Geweih fest.

      Der Maralhirsch ließ sich wieder auf die Vorderbeine fallen. Er trat mit den Hinterbeinen aus. Dann hüpfte er wie ein wilder Ziegenbock über den trockenen Steppenboden. Der dunkelblaue Stofffetzen verfing sich im Geweih und wickelte sich wie ein Turban darum. Der Hirsch buckelte, sprang und trat aus. Es staubte, als wäre eine Herde Yaks vorbeigestürmt. Doch der Krieger ließ sich nicht abschütteln. Seine Hände schienen mit dem Geweih verwachsen zu sein. Seine Beine klammerten sich fest um die Flanken.

      Dem Maralhirsch wurde es langsam zu bunt. Er war doch kein Pferd. Oder noch schlimmer: ein alter Esel! Voller Wut riss er den Kopf zurück und mit einem kräftigen, schnellen Ruck sofort wieder vor. Damit hatte der junge Krieger nicht gerechnet. Er konnte sich zwar gerade noch am Geweih festhalten, wurde aber durch den plötzlichen Ruck nach vorne geschleudert. Er machte einen Kopfüberschlag, dann hing er am Geweih, dem Hirsch direkt vor der Nase.

      Die blasse Nase des Kriegers und die schwarzgraue Schnauze des Maralhirsches berührten sich fast. Die goldenen Augen des Angreifers blitzten vor Kampfeslust, Übermut und Unerschrockenheit. Er fletschte die Eckzähne und fauchte. Dann verzog er das Gesicht zu einem unverschämten Grinsen.

      Der Maralhirsch schnaubte wütend. Doch bevor er austreten, mit dem Geweih um sich stoßen oder nach dem dreisten Angreifer schnappen konnte, begann dieser, sich vor seinen Augen zu drehen. Der Krieger flog im Bogen um die Nase des Hirsches herum. Er hielt sich dabei mit einer Hand am Geweih fest, den anderen Arm hatte er ausgestreckt und drehte sich wie ein Propeller. Immer schneller.

      Wusch, wusch, wusch, sauste der Krieger an der Hirschnase vorbei.

      Wuschwuschwuschwuschwuschwusch…

      Dem Hirsch flackerten die Augen. Das Dunkelblau des Mantels, das Elfenbeinfarben der Haut und das Gold der Augen vermischten sich zu einer großen bunten, wabernden Kugel. Die Kugel wurde immer größer und drehte sich immer schneller. Bis der Maralhirsch schließlich nicht mehr wusste, ob er sich drehte, die Kugel oder die ganze Welt. Und dann geschah etwas, was ihm noch nie zuvor in seinem Leben passiert war (noch nicht einmal zur Brunftzeit): Ihm wurden die Knie weich. Der Maralhirsch blinzelte, er röhrte, er ließ die Zunge aus dem Mund hängen. Die Kugel drehte sich immer weiter. Immer schneller. Immer bunter. Dem Hirsch wurde immer schwindliger.

      Wie in Zeitlupe rutschten die Vorder- und die Hinterbeine des Hirsches auseinander, bis er mit dem Bauch den Steppenboden berührte und alle viere von sich streckte. Auch das passierte dem mongolischen Hirsch zum ersten Mal.

      Erst als der Hirsch mit heraushängender Zunge am Boden lag und sein Kopf samt Geweih und Turban zur Seite kippte, ließ der Krieger das Geweih los. Er flog drei Runden um den Maralhirsch herum. Dann legte er sich rücklings auf dessen Rücken, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und grinste zufrieden vor sich hin.

      Der Hirsch lag am Boden. Bis auf ein Schnaufen zeigte er keine Regung mehr. Er kam sich vor wie ein Türvorleger. Er hoffte inständig, dass ihn keine seiner Hirschkühe so sehen würde.

      Der Krieger mit den goldenen Augen drehte sich um. Er musterte das Gesicht des Maralhirsches von der Seite. Sein Mund mit den spitzen Eckzähnen war nur wenige Zentimeter vom Hals des Tieres entfernt. Der Krieger fuhr sich mit der Zunge über die Zähne. Er rümpfte die Nase. Er fauchte.

      Der Hirsch begann zu zittern. Das Gesicht des Kriegers kam immer näher. Mit den messerscharfen Eckzähnen, mit den gierigen Goldaugen. Der Maral wusste, dass es im nächsten Moment um ihn geschehen sein würde. Dennoch konnte er sich nicht bewegen. Er war gelähmt vor Angst und Schwindel. Mal abgesehen davon, dass seine Beine so weich wie Steppengräser waren.

      Schon spürte der Hirsch einen kühlen Hauch an seinem Hals. Modriger Geruch stieg ihm in die Nase. Er schloss die Augen und machte sich auf das Ende gefasst. Jeden Moment würden sich die scharfen Hauer dieses heimtückischen Nachtwesens in seinen Hals bohren. Jeden Moment war es um ihn geschehen. Er versuchte, an etwas Schönes zu denken. An die Zeit, als er noch ein Kalb war und in der Steppe spielte. An den Tag, als er den alten Platzhirsch vertrieb. Und an seine Hirschkühe.

      Dann war es so weit. Die letzte Sekunde war gekommen. Der Maral spürte etwas Glattes, Kaltes an seinem Hals. Doch zu seiner Überraschung war es nicht spitz. Und es tat auch gar nicht weh.

      Der Hirsch öffnete ein Auge und schielte nach unten auf seinen Hals. Der Krieger hatte die Arme um seinen Hals geschlungen, die Augen


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