Die Vampirschwestern – Ein zahnharter Auftrag. Franziska Gehm
Hund.
Es funktionierte. Die Vampirdame und der Vampirjunge fletschten die Zähne, wackelten mit den Nasenflügeln, bekamen glasige Augen. Dann waren sie weg. Flops! Von einer Sekunde auf die andere standen sie bei Herrn Tepes.
Helene und Ludo konnten kaum so schnell gucken. Helene kniff sich in den Arm. Ludo zog sich am Ohrläppchen. Alles ging wie im Fluge. Wie sollte er da in Ruhe etwas voraussehen?
Aus der dunklen Ecke hinter der Wohnzimmertür löste sich eine große, hagere Gestalt. Sie räusperte sich.
Mihai Tepes fuhr herum. Beinahe hätte er die Blutampulle fallen lassen. „Vlad! Da bist du!“
Vlad nickte. Da war er. Er deutete auf die Blutampulle.
Mihai Tepes verstand. Immerhin kannte er seinen Bruder seit 2676 Jahren. Da kam man auch ohne Worte aus. Schnell füllte Herr Tepes drei kleine Gläser mit Karpovka und eins mit Wasser. In jedes Glas gab er einen Schuss Blut. Dann verteilte er die Gläser. Ein Karpovka-Blut-Cocktail für die Vampirdame. Ein Karpovka-Blut-Cocktail für Vlad. Ein Wasser-Blut-Cocktail für den kleinen Kugelvampir. Und ein Karpovka-Blut-Cocktail für Mihai Tepes selbst. Den brauchte er jetzt. Dringend.
„Schnappobyx!“, sagte Herr Tepes und erhob das Glas.
„Schnappobyx!“, riefen die anderen Vampire. Sie tranken auf Ex.
Gulp, gulp, gulp. Röööps.
Die Vampirdame fuhr sich mit der Zunge über die Oberlippe.
Die kleine Vampirpausbacke leckte das Glas aus.
Der hagere Vlad schmatzte.
Herr Tepes sah traurig in sein leeres Glas.
Daka und Silvania standen unentschlossen in der Mitte des Zimmers. Gehörten sie als Halbvampire vor die Couch? Hinter die Couch? Oder auf die Couch?
Helene und Ludo waren im Hintergrund, so weit wie möglich von den Vampiren entfernt, stehen geblieben. Sie sahen die bissige Cocktailgesellschaft hinter der Couch argwöhnisch an.
Die Eckzähne, fand Helene, waren nicht das Schlimmste. Eigentlich, mit etwas Abstand betrachtet, waren die gar nicht schlimm (wenn sie nicht gerade versuchten, sich in einen Arm zu bohren, der einem zufälligerweise gehörte). Schlimm und viel schaurig-schöner waren die Augen der Vampire. Der hochgewachsene, dünne Mann hatte verschiedenfarbige Augen. Grün und orange. Das grüne Auge war hinter einem Monokel verborgen. Das hatte Schick, fand Helene. Die Frau hatte violette Augen. Und der Junge gelbe. Wie ein Wolf. Helene bekam eine Gänsehaut. Es prickelte herrlich.
Ludos Blick wanderte langsam an dem goldblonden Haarturm der Vampirdame hinauf. Auf dessen Spitze funkelten zwei Haarnadeln. Zwischen den Haarnadeln war ein Netz gespannt. Es sah aus wie ein Tennisplatz für Läuse.
Der pausbäckige Junge hatte braune, lockige Haare. Sie standen wie Korkenzieher in alle Richtungen von seinem Kopf ab. Der große, hagere Mann hatte ebenfalls Locken. Sie bildeten eine Art Helm um seinen Kopf, so dick waren sie.
„Datiboi flatliac!“, sagte Herr Tepes, was so viel hieß wie ‚der Fledermaus sei Dank‘. „Das hätten wir geschafft.“
Frau Tepes, die Zwillinge und die Vampire nickten.
Helene und Ludo nickten auch. Obwohl sie nicht wussten, was sie genau geschafft hatten.
Helene ließ die skurrile Cocktailgesellschaft nicht aus den Augen. Sie war ihr nicht geheuer. Gleichzeitig fand sie alles unheimlich aufregend. Im Wohnzimmer der Tepes war es gruseliger und spannender als auf einem Friedhof. Und das mitten am Tag! Helene hatte zwar noch weiche Knie, aber die Neugierde siegte. „Ihr seid richtige, echte Vampire, stimmt’s?“, fragte sie.
Die Vampirdame zog überrascht die Augenbrauen nach oben. „Ist das so offensichtlich?“
Helene, Ludo, Daka, Silvania, Herr und Frau Tepes nickten.
„Wohnen Sie auch hier?“, fragte Ludo.
„NEIN!“, rief Elvira Tepes.
„Wir sind nur zu Besuch“, erklärte die Vampirdame. „Entschuldigt, dass wir hier einfach so hereingeflogen sind und … ähm …“
„… uns gar nicht vorgestellt haben“, fuhr der Mann mit der Helmfrisur fort. „Mein Name ist Vlad Tepes. Ich bin 249 Jahre älter als Mihai, mein liebster Bruder.“
„Und einziger“, fügte Mihai Tepes hinzu.
„Ich bin Karpa Tepes, geborene Albdantura. Seit 1369 Jahren glücklich verheiratet.“ Sie lächelte ihrem Ehemann mit blinkenden Eckzähnen zu.
Vlad Tepes verzog keine Miene.
„Und ich bin Woiwomäään!“, rief der kleine Vampir, trommelte mit den Fäusten auf seine Brust, auf der das „W“ stand, und steckte die Zunge heraus. Sie war lang, spitz und violett. Sie passte hervorragend zu den Augen seiner Mutter.
„Ihr seid also Verwandtschaft?“, fragte Ludo.
„Aus Transsilvanien“, sagte Daka. „Tante Karpa, Onkel Vlad und Cousin Woiwo.“
„Woiwomäään!“, beharrte der.
„Entschuldigt, dass wir euch vorhin so nahe gekommen sind“, warf Tante Karpa ein. „Ihr riecht einfach so lecker.“ Sie zuckte mit den Schultern und kicherte. Dabei wackelte ihr Oberkörper. Und ihr Haarturm. In dessen Netz hatte sich gerade eine Obstfliege verfangen. Tante Karpa befreite sie mit spitzen Fingern aus dem Netz. Die Freiheit war kurz. Eine Sekunde später wanderte die Obstfliege blitzschnell in Tante Karpas Mund. Mahlzeit!
Helene verzog das Gesicht.
Silvania schüttelte den Kopf.
Daka bekam Hunger.
So viel zum Tennisplatz für Läuse, dachte Ludo.
Helene musterte Onkel Vlad. Er sah so verwegen wie Mihai Tepes aus. Nur zum Friseur müsste er mal. Helene fiel ein, dass dieser Vlad sie gar nicht gejagt hatte. Nicht, dass ihr das gefehlt hätte. „Sie fanden uns wohl nicht lecker?“
„Ich? Wieso? Ach so. Nein, doch doch, ihr seid sehr lecker. Ich hatte vorher nur einen kleinen Snack im Keller. Mein Hunger war nicht ganz so groß“, erklärte Onkel Vlad. „Außerdem bin ich Ha-chi Meister. Da lernt man sich zu beherrschen.“
„Eine transsilvanische Kampfkunst“, flüsterte Daka zur Erklärung.
„Wieso seid ihr eigentlich hier?“, fragte Silvania. „Also, wir freuen uns natürlich.“
„Wie verrückt“, stimmte Daka zu.
„Gibt es einen besonderen Grund für euren Besuch?“, fragte Silvania.
Daka überlegte, ob sie irgendeinen wichtigen Geburtstag vergessen hatten. Ihr eigener war es schon mal nicht.
Niemand antwortete auf Silvanias Frage. Tante Karpa stieß kurz und dezent auf. Sie sah zu Boden. Dann wurde es still im Wohnzimmer. Onkel Vlad blickte starr vor sich hin. Seine buschigen Augenbrauen wölbten sich über den Augen. Sein Monokel war kaum noch zu sehen.
„Ist es … etwas Schlimmes?“, fragte Silvania leise.
Tante Karpa seufzte. Sie holte ein weinrotes Spitzentaschentuch hervor und schnäuzte sich.
Daka befürchtete das Schlimmste. „Haben sich Krypton Krax aufgelöst?“
Silvania verdrehte die Augen. Krypton Krax war die transsilvanische Lieblingsband ihrer Schwester.
Tante Karpa schüttelte den Kopf. „Etwas viel Tragischeres.“
„Tragischer?“ Daka riss die Augen auf.
Onkel Vlad sah Mihai und Elvira fragend an. Beide nickten.
„Es ist etwas Furchtbares passiert.“ Onkel Vlad blickte Helene, Ludo, Daka und Silvania langsam der Reihe nach an. Dann sagte er mit tiefer, ernster Stimme: „Wir schweben in Lebensgefahr.“
Ein unlösbares Problem
Alle hatten sich um den großen Wohnzimmertisch