Im Reiche des silbernen Löwen I. Karl May

Im Reiche des silbernen Löwen I - Karl May


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dir aber mitteilen, daß ich unter dem Schutze unsers Herrschers stehe. Er ist ein Freund abendländischer Bildung und sendet zuweilen einige seiner jungen Unterthanen nach dem Occidente, um sich dort Kenntnisse zu erwerben.«

      »Natürlich sucht er sich da nur begabte Personen aus.«

      »Kann Old Shatterhand auch Komplimente machen? Ich fand die Gnade, die Augen des Beherrschers auf mich gerichtet zu sehen, und wurde nach Stambul, Paris und London gesandt. Dort, in England, war ich längere Zeit. Vielleicht hast du gehört, daß der Schah vor kurzer Zeit in London war?«

      »Ich habe in Zeitungen darüber gelesen.«

      »Bei dieser seiner Anwesenheit in der Hauptstadt Englands erinnerte er sich meiner, und ich bekam den Befehl, vor seinem Angesichte zu erscheinen. Die Folge dieser Audienz war, daß ich die Weisung erhielt, auch die Vereinigten Staaten kennen zu lernen. Als ich herüberkam, ahnte ich nicht, daß ich das Glück haben würde, hier den mutigen Kara Ben Nemsi kennen zu lernen, von dem mir Hadschi Halef Omar so viel berichtet hat. Und noch weniger hätte ich geträumt, daß ich dir meine Freiheit und mein Leben zu verdanken haben würde. Ich sehe, daß es sehr gefährlich ist, hier zu reisen; ich wollte es erst nicht glauben. Wird die Gefahr aufhören, wenn wir den Bereich der Prairie hinter uns haben?«

      »Nein; sie wird sich im Gegenteile in den Felsenbergen jenseits derselben eher steigern als verringern.«

      Da er nun dieses Thema festhielt, erfuhr ich über ihn nichts weiter als das Wenige, was er mir jetzt gesagt hatte. Ich mußte ihm Auskunft über den Westen geben; sich selbst erwähnte er nicht mehr.

      Warum diese Verschwiegenheit? Sie war mir gegenüber auffällig, denn er kannte mich schon längst, wenn auch nur vom Hörensagen, und war mir, wie er ja soeben auch zugegeben hatte, zu Dank verbunden. Hatte er irgend eine Mission zu erfüllen, von welcher er nichts sagen durfte? Das war nicht wahrscheinlich, denn welche Mission konnte einen Perser quer durch Amerika führen? Oder befand er sich nur auf einer Art von Studienreise? Sollte er vielleicht hier sein Wissen bereichern, um es dann in seinem Vaterlande in irgend einer Anstellung zu verwerten? Dann hatte er es nicht nötig, so heimlich zu thun. Oder war er so zurückhaltend, um sich ein Relief zu geben, sich wichtig zu machen? Das wäre mir gegenüber wenn nicht lächerlich, doch auch nicht verständig gewesen. Wenn ein Orientale fünfundzwanzighundert geographische Meilen von seiner Heimat entfernt einen Mann trifft, mit dem er sich in seiner Muttersprache unterhalten kann, so ist es wohl thöricht von ihm, sich gegen diesen Mann zuzuknöpfen. Ich nahm mir vor, ihn ja nicht wieder zur Sprache auf sich selbst zu bringen.

      Unser Ritt nahm einen raschen Verlauf. Die Fährte der Comantschen war stets deutlich und hielt uns also gar nicht auf. Die Indsmen waren wenigstens ebenso rasch geritten, wie wir ihnen folgten, und schienen, da sie nicht auf ihren Häuptling gewartet hatten, für die Sicherheit desselben gar keine Besorgnis zu hegen. Wir hatten noch zwei Stunden bis zum Abende, als ich den beiden Gefährten mitteilte, daß wir in der Nähe des »gelben Berges« angekommen seien. Da fragte mich Perkins:

      »Werden wir direkt hinreiten?«

      »Nein. Das hieße ja unser Spiel verloren geben!«

      »Wieso?«

      »Weil der Häuptling bei uns ist. Den dürfen die Roten nicht eher zu sehen bekommen, als bis sie ihre Gefangenen freigegeben haben, vielleicht auch dann noch nicht einmal, denn ich habe ihm die Freiheit nicht versprochen.«

      »Sie müssen aber doch erfahren, daß er unser Gefangener ist!«

      »Natürlich!«

      »Wer soll es ihnen sagen?«

      »Ihr, Mr. Perkins,« antwortete ich in ernstem Tone, obgleich ich es scherzhaft meinte.

      »Ich?« rief er erschrocken aus. »Ich soll etwa das Totem hinschaffen?«

      »Ja.«

      »Warum ich? Kann das nicht Mr. Dschafar thun?«

      »Nein, denn er kennt den Westen und die Indianer nicht, während Ihr nicht leugnen könnt, in dieser Beziehung Erfahrung zu besitzen.«

      »Was das betrifft, so giebt es einen, der viel mehr Erfahrung hat als ich!«

      »So?«

      »Ja. Wißt Ihr, wen ich meine, Mr. Shatterhand?«

      »Nun?«

      »Euch selbst. Wenn es darauf ankommt, so seid Ihr der richtige Mann, die Comantschen aufzusuchen.«

      »Nein, der bin ich nicht.«

      »Möchte wissen, warum!«

      »Weil ich bei dem Häuptling bleiben muß. Der ist mir so wichtig, daß ich ihn keinem andern anvertrauen darf.«

      »Da muß ich Euch widersprechen. Ihn gut zu bewachen ist zehnmal leichter als seine Krieger aufzusuchen, um mit ihnen zu verhandeln. Ich fürchte sehr, daß ich da Dummheiten machen würde, durch die ich Euch in Gefahr brächte.«

      »Hm, das befürchte ich freilich auch!«

      »Nicht wahr? Ich halte es also für das Beste, daß Ihr es selbst übernehmt, die Roten zu benachrichtigen. Wir werden inzwischen irgendwo auf Eure Rückkehr warten.«

      »Well! Wollte nur sehen, wieviel Mut Ihr habt.«

      »O, Mut habe ich! Hierzu aber gehört außer dem Mute auch eine Klugheit, eine Verschlagenheit, welche – — welche – — welche – — – «

      »Welche Ihr nicht besitzt? So! Das ist einmal so ehrlich aufrichtig gesprochen, wie ich es gern habe. Aber wenn Ihr so wenig klug seid, wie kann ich Euch da den Häuptling anvertrauen? Ich muß gewärtig sein, daß er nicht mehr bei Euch ist, wenn ich zurückkehre.«

      »Nein, das habt Ihr doch nicht zu befürchten, Sir! Wir werden doch nicht so dumm sein, ihn loszubinden und laufen zu lassen!«

      »Das wäre freilich nicht nur unklug, sondern geradezu verrückt. Aber es kann noch anderes passieren. Ich denke zwar, daß die Roten, wenn sie einmal bei den Gräbern ihrer Häuptlinge angekommen sind, sich heut nicht mehr von dort entfernen werden; aber es können doch einige von ihnen aus irgend einem Grunde die Gegend durchschwärmen und Euch entdecken.«

      »Die schießen wir nieder!«

      »Und wenn sie Euch überraschen?«

      »Wir lassen uns nicht überraschen. Wir passen auf! Wir werden uns doch wohl eine Stelle aussuchen, wo es unmöglich ist, uns zu beschleichen.«

      »Well! Aber wenn so viele kommen, daß sie Euch überlegen sind?«

      »So brauchen wir uns dennoch nicht zu fürchten, denn wir thun das, was wir von Euch gelernt haben.«

      »Was?«

      »Wir drohen ihnen, den Häuptling sofort zu erschießen, wenn sie uns angreifen.«

      »Das würde allerdings das Richtige sein. Ich weiß freilich recht gut, daß ich keinen von Euch beiden zu den Comantschen schicken kann; ich muß selbst zu ihnen und will hoffen, daß ich mich unterdes auf Euch verlassen kann.«

      »Das könnt Ihr, Sir!« beteuerte er erleichtert. »Wir werden Euch den Häuptling bei Eurer Rückkehr genau so übergeben, wie Ihr ihn bei uns gelassen habt.«

      »Ja, das werden wir,« bestätigte Dschafar. »Ich bin kein Feigling und auch nicht das, was man hier einen Dummkopf nennt. Sollten da einige Rote kommen, so stehe ich dafür, daß sie uns ihren Häuptling weder durch List noch durch Gewalt entreißen.«

      Ja, er war wohl weder dumm noch feig; zu ihm hatte ich mehr Vertrauen als zu Perkins. Und was hätte ich auch machen wollen? Einer von uns mußte zu den Indianern, und das war keine Kleinigkeit, sondern ein Wagnis, zu dem ein ganzer Mann gehörte. Dazu paßte weder der Perser, dem es vollständig an Kenntnis der Verhältnisse mangelte, noch Perkins, welcher keinen Mut besaß. Ich war also gezwungen, ihnen den Häuptling anzuvertrauen.

      Ich kannte die Stelle, an welcher sich die Häuptlingsgräber befanden. Der Makik-Natun hat an seiner Südseite eine Einbuchtung, deren Wände ziemlich steil ansteigen. Die Gräber, vier an der Zahl, lagen nebeneinander an der Westseite der Bucht, in welcher es keine Bäume, sondern nur Büsche gab.


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