Im Reiche des silbernen Löwen I. Karl May
fuhr empor und starrte mich ganz fassungslos an. Ich sah ihm lächelnd in das verzerrte Gesicht und fuhr fort:
»Damit er aber nicht wieder spazieren gehe, will ich ihm zeigen, daß er sich bei Old Shatterhand befindet.«
Er hatte sein Gewehr aus der Hand gleiten lassen, griff aber jetzt nach dem Gürtel, um das Messer zu ziehen; da traf ihn meine Faust an den Kopf; er stürzte nieder. Ein zweiter Hieb raubte ihm vollends das Bewußtsein; ich hatte ihn.
Nun band ich zunächst sein Pferd los und stieg auf, um zu sehen, ob es mir gehorchen werde. Mit den drei Gewehren und dem Indianer in den Armen konnte ich mich auf keine Reiterkünste einlassen. Es weigerte sich nur kurze Zeit; dann sah es ein, daß Widerstreben nutzlos sei. Ich stieg also wieder ab, hing mir meine Gewehre und das seinige auf den Rücken, hob ihn selbst hoch und legte ihn dann, als ich wieder aufsaß, quer vor mir auf das Pferd, um in dieser Weise zu Dschafar und Perkins zurückzukehren.
Erst ging es schwierig durch die Büsche; als ich dann den Wald hinter mir hatte, ritt ich Galopp. Die beiden sahen mich kommen. Sie saßen auf der Erde, sprangen aber auf und kamen mir entgegen.
»Gott sei Dank! Da seid Ihr wieder,« rief mir Perkins schon von weitem zu. »Ah, Ihr habt einen Roten auf dem Pferde! Wohl gar ein Gefangener? Wer ist‘s?«
»Seht ihn an,« antwortete ich, bei ihnen angekommen.
»Allah, Allah!« stieß Dschafar hervor. »Das ist ja der Häuptling mit dem weißen Haar, der uns ermorden wollte!«
»Natürlich der! Den wollte ich doch haben. Ein anderer könnte uns nichts nützen. Nehmt ihn mir ab, damit ich aus dem Sattel kann! Wir müssen ihn binden.«
Sie hoben ihn herunter und legten ihn auf die Erde nieder. Dabei sagte Perkins:
»Wahrhaftig, er hat ihn gefangen! Und sogar sein Pferd bringt er! Das ist ein Streich, den Euch nicht gleich ein anderer nachmacht, Mr. Shatterhand! Wie habt Ihr denn das angestellt?«
»Sehr einfach. Es ist ganz leicht gewesen.«
»Einfach! Leicht! Siebzig Indianer! Und er holt ihren Häuptling aus ihrer Mitte! Wer nicht dabei war, glaubt es nicht!«
Während wir den Comantschen fesselten, erzählte ich, wie mir seine Gefangennahme gelungen war. Sie ergingen sich in allen möglichen Ausrufungen, denen ich ein Ende machen mußte, weil ich sah, daß To-kei-chun wieder zu sich kam. Er öffnete die Augen, sah uns einen nach dem andern an und schloß sie dann wieder; er mußte sich besinnen; bald aber riß er sie plötzlich wieder auf, bohrte einen Blick des unversöhnlichsten Hasses in mein Gesicht und stieß zwischen den knirschenden Zähnen hervor:
»Der Hund hat mich ergriffen, doch meine Krieger werden mich befreien, indem sie zurückkehren und ihn mit Knütteln totschlagen!«
Auf diese Beleidigung antwortete ich in ruhiger Weise:
»Es wäre sehr klug von dem alten Häuptling der Comantschen, wenn er sich einer höflicheren Rede bediente. Sein Leben liegt in meinen Händen.«
»Du nimmst es mir nicht, denn meine Leute werden kommen und dich zwingen, mich freizugeben!«
»Deine paar Comantschen? Pshaw!«
»Es sind ihrer zehnmal sieben!« donnerte er mich wütend an.
»Das weiß ich.«
»Sie werden euch zermalmen!«
»Pshaw! Was sind siebzig Comantschen gegen Old Shatterhand!« entgegnete ich, mich der selbstbewußten Ausdrucksweise bedienend, welche gegenüber diesen Leuten ganz am Platze ist, weil sie dieselbe selbst so oft in Anwendung bringen.
»Siebzig starke Büffel gegen einen kranken Hund!« fuhr er fort.
»Soll ich über dich lachen, der auf dem Kopfe den Schnee des Alters trägt? Die Wut der Ohnmacht spricht aus dir. Ich habe mitten unter diesen siebzig Comantschen gelegen, ohne mich zu fürchten, ohne daß mein Herz einen einzigen Schlag mehr gethan hat, drei Schritte nur von dir; der kranke Hund unter siebzig Büffeln! Sie haben ihm nichts anhaben können; er aber hat den größten und stärksten Büffel in seinen Zähnen davongetragen. Wie muß es unter deinen grauen Haaren aussehen! Da sollte der Verstand der reifen Jahre wohnen, doch giebt es da nichts als den Unverstand der Knabenzeit. Warum hast du nicht geglaubt, was dir Jim Snuffle sagte? Es ist wahr.«
»Ich glaubte dich nicht hier,« zischte er mich an.
»Und doch sagtest du, daß der Verschwundene nur von Old Shatterhand befreit worden sein könne! Du widersprichst dir also selbst. Du wünschtest, daß meine Anwesenheit Wahrheit sei; dann würdest du das Stinktier, nämlich mich, ergreifen und ihm bei lebendigem Leibe das Fell vom Körper ziehen, Jetzt zieh‘ einmal; du hast mich ja.«
Er antwortete nicht; er war beschämt und sah finster vor sich hin. Ich benützte diese Pause, die Taschen zu untersuchen, welche zu beiden Seiten seines Pferdes hingen. Die eine enthielt getrocknetes Fleisch und andern Proviant, auch Munition und verschiedene Gegenstände, welche dem Indianer auf Kriegszügen unentbehrlich sind. In der zweiten steckten ganz andere Sachen. Zuerst zog ich eine Brieftasche hervor.
»Die gehört mir,« rief Dschafar. »Die Indianer haben mir alle Taschen ausgeleert. Diese Brieftasche enthält wichtige Notizen, Papiergeld und Anweisungen.«
»So seht einmal nach, ob alles noch vorhanden ist!«
Ich gab sie ihm; er untersuchte den Inhalt und fand zu seiner Freude, daß nichts fehlte. Hierauf brachte ich seine Börse und seine Uhr zum Vorscheine. Dann kamen allerlei Dinge, welche seinen Dienern, den Führern und zuletzt den beiden Snuffles abgenommen worden waren. Der Häuptling hatte diesen ganzen Raub für sich behalten, ob für stets oder nur einstweilen, um ihn später zu verteilen, das fragten wir ihn natürlich nicht. Die Blicke, mit denen er uns zusah, verrieten den Grimm, der in ihm kochte. Er konnte sich schließlich nicht länger beherrschen und schrie mich an:
»Nehmt es immer! Sobald meine Krieger kommen, müßt Ihr es doch wieder hergeben!«
»Deine Krieger werden nicht zu uns kommen,« antwortete ich ihm.
»Sie kommen! Wenn sie merken, daß ich ihnen nicht folge, kehren sie um.«
»Pshaw! Sie kommen nicht, sondern ich reite zu ihnen.«
»Reite hin, so zerreißen sie dich, wie wachsame Hunde einen Coyoten zerfleischen!«
»Sie werden mir ebensowenig thun wie damals, als ich dein Gefangener war und ihr, so viele hundert Krieger, es doch nicht wagtet, euch an mir zu vergreifen.«
»Damals hattest du meinem Sohne das Leben geschenkt, und er bat für dich; dadurch wurde das deinige gerettet.«
»Das ist unwahr. Ja, dein Sohn war mir dankbar; aber das Leben habe ich mir und uns dadurch gerettet, daß ich dich gefangen nahm. Wären wir nicht freigegeben worden, so hätte ich dich getötet, und viele deiner Krieger hätten ihr Leben lassen müssen. Du kennst ja die Gewehre, mit denen ich schieße. So ähnlich wie damals ist es heute. Du bist mein Gefangener, und ich werde dir sagen, was du zu thun hast.«
»Ich gehorche nicht! Ich bin To-kei-chun, der Häuptling der Comantschen, und gehorche keinem Bleichgesichte.«
»Dann bist du verloren!«
»Pshaw! Du wirst es doch nicht wagen, mir das Leben zu nehmen!«
»Rede nicht von einem Wagnisse! Wer kann und will mich hindern, es zu thun?«
»Du selbst.«
»Ich?«
»Ja, du,« nickte er mir mit höhnischem Grinsen zu. »Ich sehe, daß du das nicht glauben willst?«
»Ich glaube es allerdings nicht.«
»Dann ist Old Shatterhand, welcher glaubt, wunder welche Berühmtheit er besitze, kurzsichtig oder gar blind, wenn es seine eigene Person gilt. Bist du denn nicht stolz auf den Ruhm, daß du niemals ohne Not einen Menschen tötest?«
»Stolz zwar nicht, aber ich freue mich, daß man dies von mir sagt.«
»So bin ich also sicher vor dir, denn du wirst nicht den Vorwurf auf dich laden, daß du To-kei-chun, den Häuptling