Im Reiche des silbernen Löwen I. Karl May

Im Reiche des silbernen Löwen I - Karl May


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werden sie im Walde am Regenbette ankommen?«

      »Da sie schneller reiten werden, als wir jetzt bei Nacht reiten konnten, werden sie wohl grad zu Mittag dort sein.«

      »Und wir?«

      »In vielleicht einer Stunde, wenn mich meine Vermutung nicht täuscht.«

      »So haben wir ja fast fünf Stunden Zeit, dort auf sie zu warten. Wenn wir ein Wild dort fänden! Wir haben nichts zu essen.«

      »Jagen dürfen wir leider dort nicht, denn wir müssen uns sehr hüten, sie ein Zeichen unserer Anwesenheit finden zu lassen. Aber – — – schau, da ist uns ja gleich geholfen!«

      Kaum hatte Perkins den Wunsch nach einem Wilde ausgesprochen, so sprangen zwei Prairiehasen vor uns auf. Ich nahm schnell den Henrystutzen vom Rücken und schoß sie nieder.

      »Allah!« rief Dschafar aus. »Was für ein Schütze seid Ihr! Ich sehe, daß Perkins mir vorhin doch die Wahrheit gesagt hat, als er mir von Old Shatterhand erzählte.«

      Diese kindliche Bewunderung nötigte mir ein fröhliches Lachen ab. Ich nahm die Hasen auf, hing sie mir an den Gürtel, und dann ging es weiter.

      Die zwei Schüsse schienen die Aufmerksamkeit Dschafars auf meine beiden Gewehre gelenkt zu haben. Er betrachtete sie wiederholt in einer Weise, welche auf ein ungewöhnliches Interesse schließen ließ, und endlich gab er diesem Interesse Ausdruck, indem er mich fragte:

      »Sir, hat dieses schwere Gewehr hier einen besonderen Namen?«

      »Ja.«

      »Welchen?«

      »Man nennt es einen Bärentöter.«

      »Allah! Sonderbar! Diesen Namen habe ich schon gehört, aber in arabischer Sprache. Giebt es mehr solche Gewehre?«

      »Ja, wenn auch nicht so alt und so schwer wie gerade dieses.«

      »Wievielmal könnt Ihr wohl mit dem kleineren schießen?« »Fünfundzwanzigmal.«

      »Allah! Auch das stimmt. Wie heißt es?«

      »Es ist ein Henrystutzen.«

      »Auch diesen Namen habe ich arabisch gehört. Ist es nicht ein außerordentlicher Zufall, daß Ihr grad zwei Gewehre der Arten besitzet, wie die waren, von denen man mir erzählte?«

      »Wo habt Ihr von ihnen gehört?«

      »Am Tigris.«

      »Am Tigris? Allerdings höchst sonderbar!«

      »Kennt Ihr diesen Fluß?«

      »Jawohl. jedes Schulkind kennt ihn vom geographischen Unterrichte her. So seid Ihr also wohl dort gewesen, Mr. Dschafar?«

      »Ja.«

      »Wann?«

      »Vor zwei Jahren. Ich bin nämlich ein Perser, müßt Ihr wissen, und werde in der Heimat Mirza Dschafar genannt. Ihr werdet wohl nicht darüber unterrichtet sein, was das bedeutet?«

      »Doch.«

      »Nun, was?«

      »Mirza ist, dem Namen vorangesetzt, der Titel eines Gelehrten; steht das Wort aber dem Namen nach, so bedeutet es einen Prinzen von Geblüt.«

      »Wahrhaftig, Ihr wißt es! Also ich werde Mirza Dschafar genannt und reiste über Bagdad nach Konstantinopel. Diese Reise ging am Ufer des Tigris nach Mossul, und unterwegs war ich Gast beim Stamme der Hadeddihn, bei denen ich von den Gewehren hörte.«

      »Sollte es dort auch Henrystutzen und Bärentöter geben?« fragte ich, außerordentlich gespannt, ohne dies aber merken zu lassen.

      »Nein. Sie gehörten einem Fremden.«

      »Wer mag der gewesen sein?«

      »Er hieß Emir Kara Ben Nemsi Effendi.«

      »Das ist doch ein arabischer Name; also war dieser Mann doch wohl kein Fremder!«

      »Doch! Wenn Ihr arabisch verständet, so würdet Ihr wissen, daß Nemsi ein Deutscher ist. Der Scheik der Hadeddihn erzählte mir von ihm und von seinen Gewehren.«

      »Wie hieß dieser Scheik?«

      »Er war ein kleines, aber höchst tapferes und kluges Männchen und hieß Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah.«

      »Welch ein Name! Fast länger als eine Riesenschlange!«

      »Ja, in Euern Ohren klingt das wohl lächerlich, aber im Orient ist es Sitte, daß man dem eigenen Namen diejenigen der Ahnen nachfolgen läßt. Dadurch ehrt der Mann sich und seine Vorfahren zugleich. Uebrigens durfte dieser Hadschi Halef Omar gar wohl einen so langen Namen tragen, denn er war ein sehr berühmter Mann, der von vielen Heldenthaten erzählen konnte. Er hatte den Löwen und den schwarzen Panther gejagt und mit vielen Feinden gekämpft, die er alle besiegte.«

      Es versteht sich ganz von selbst, daß ich mich ganz außerordentlich freute, hier, was übrigens kaum glaublich war, etwas von meinem kleinen Hadschi Halef zu hören. Der kleine Kerl hatte, wie das so seine Weise war, hier wieder einmal von seinen Erlebnissen in orientalischer Uebertreibung erzählt und sich als den Vollbringer von Thaten aufgespielt, die eigentlich auf meine Rechnung kamen. Ich machte mir den Spaß, zu verschweigen, daß ich jener Emir Kara Ben Nemsi Effendi gewesen war, und fragte:

      »War jener deutsche Emir bei diesen Thaten zugegen gewesen?«

      »Ja. Er hatte sogar an ihnen teilgenommen und niemals einem Feinde den Rücken gezeigt. Die Hadeddihn verdanken es ihm, daß sie heut noch bestehen, denn er hat sie vor einer Niederlage bewahrt, welche ihren Untergang nach sich gezogen hätte. Auch ich halte ihn in besonderem Angedenken, weil ich ihm sehr zu Dank verpflichtet bin.«

      Das war mir neu. Ich wußte mit vollster Sicherheit, daß ich diesem Dschafar nie begegnet war, ihn nie gesehen und nie etwas von ihm gehört hatte, und er sollte mir Dank schulden? Ich mochte ihn wohl fragend anblicken, denn er fuhr fort:

      »Er hat nämlich einen Verwandten von mir vom Tode errettet, indem er ihm im Kampfe half. Dann begleitete er ihn nach Bagdad und stand ihm in allen Fährlichkeiten bei, was aber leider nicht verhinderte, daß dieser Verwandte doch später überfallen und ermordet wurde.«

      Wenn man im wilden Westen von Amerika einen persischen Mirza aus der Gefangenschaft der Indianer befreit, so ist das ein Ereignis, welches man gewiß ungewöhnlich nennen darf; wenn man aber von diesem Mirza hört, daß man vorher drüben am Tigris einen Verwandten von ihm vom Tode errettet hat, dann sagt das Wort »ungewöhnlich« jedenfalls noch zu wenig. Darum entriß mir, obwohl ich hatte schweigen wollen, die Ueberraschung die schnelle Frage:

      »Einen Verwandten von Euch? – — – im Kampfe beigestanden? – — – nach Bagdad begleitet? – — – doch noch ermordet worden? Meint Ihr etwa Hassan Ardschir-Mirza?«

      Jetzt war die Reihe, zu erstaunen, an ihm. Er hielt sein Pferd an, so daß auch ich stehen blieb, warf die Arme vor Verwunderung empor und rief aus:

      »Hassan Ardschir-Mirza, der entflohene Prinz! Ihr kennt diesen Namen! Allah thut noch heut die größten Wunder! Wo habt Ihr denn von ihm gehört?«

      »Gehört? Ich habe ihn gesehen!«

      »Gesehen?!«

      »Mit ihm gesprochen!«

      »Gesprochen – — —!«

      »Und an seiner Leiche gekniet, als mich schon die Pest in ihren grausigen Armen hatte!«

      »Leiche – — —! Pest – — —!«

      »Neben ihm lag Dschanah, sein Weib, sein Stolz, zu gleicher Zeit mit ihm ermordet!«

      Es war eine sonderbare Scene. Wir standen oder vielmehr hielten voreinander und schrieen uns diese Ausrufe zu, daß Perkins hätte denken mögen, wir seien beide verrückt geworden. Dschafars Augen starrten kugelrund auf mich herab; er hatte den Mund offen und rang nach Worten, die ihm nun versagt zu sein schienen. Da machte er eine große, würgende Anstrengung und brüllte förmlich mich an:

      »Dschanah, seine Seele, seine Perle! Die war es ja, durch welche ich verwandt mit


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