Im Reiche des silbernen Löwen I. Karl May

Im Reiche des silbernen Löwen I - Karl May


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gehen wir also an dieses Werk! Wollen wir sie beschleichen?«

      »Das müssen wir allerdings. Das Notwendigste ist ja, zu wissen, wo sie sich befinden; erst dann läßt sich sagen, ob man etwas wagen darf oder nicht.«

      »Schön! Machen wir uns also auf den Weg!«

      »Wir? Wen meint Ihr mit diesem Worte?«

      »Euch und mich natürlich. Mein alter Tim muß hier bei dem Gefangenen bleiben.«

      »Hm! Ich würde vorziehen, allein gehen zu können.«

      »Allein? Ich nicht mit? Traut Ihr mir vielleicht nichts zu?«

      »Davon ist keine Rede; aber es ist meine Angewohnheit, mit dem, was ich selbst und allein thun kann, keinen andern zu belästigen.«

      »Belästigen! Was für ein Wort! Glaubt getrost, daß ich im Beschleichen etwas leiste! So von hinten an einen Roten zu kommen, ohne daß er es ahnt, das ist für mich das höchste der Gefühle. Es würde mich ungeheuer kränken, von Euch zurückgewiesen zu werden. Ich gehe mit; mein Bruder bleibt da.«

      »No,« antwortete Tim, ganz wider Jims Erwarten.

      »Nicht? Was fällt dir ein! Es muß doch einer bei dem Gefangenen bleiben?

      »Yes.«

      »Das bist du.«

      »No.«

      »Wer denn?«

      »Du.«

      »Ich? Bist du toll? Jim Snuffle soll sitzen bleiben, wenn es gilt, diesen roten Halunken einen Streich zu spielen!«

      »Tim Snuffle bleibt auch nicht sitzen!«

      »Du mußt! Ich habe das Vorrecht, denn ich bin der Aeltere.«

      »Bist nur fünf Minuten älter als ich, und so eine kurze Zeit gilt nichts. Zwillinge sind stets gleich alt; ich laß mich nicht hofmeistern und gehe auch mit. Will auch einmal der Aeltere sein!«

      Das war für den guten Tim eine lange, sehr lange Rede. So viel hatte er wohl seit Jahren nicht zusammenhängend gesprochen; darum holte er nach dem letzten Worte tief und kräftig Atem. Jim war für kurze Zeit still. Die Verwunderung über die plötzliche Redseligkeit seines Bruders raubte ihm die Sprache; dann aber stieß er um so energischer hervor:

      »Ich glaube gar, du willst dich gegen mich empören, der ich in aller Wahrheit und Wirklichkeit der Erstgeborene bin! Das fehlte noch! Dieser kleine Nesthocker will mir Vorschriften machen! Ich gehe, und du bleibst!«

      »No.«

      »Yes, sage ich. Auf dein No wird nicht gehört!«

      Die sonderbaren Zwillinge begannen in ihrer Erregung laut zu werden. Ich machte sie darauf aufmerksam und schlug ihnen vor, mich allein gehen zu lassen, dann sei der Streit entschieden, ohne daß einer übervorteilt werde. Aber Jim ging nicht darauf ein; er wollte, das wußte ich wohl, mir seine Geschicklichkeit beweisen; das war mir gar nicht lieb, aber ich durfte ihn nicht beleidigen und gab darum schließlich meine Zustimmung. Tim sagte gar nichts mehr dazu; aber diese Stille kam mir nicht recht geheuer vor; darum fragte ich ihn:

      »Ihr habt doch nicht etwa eine Heimlichkeit vor, Mr. Snuffle?«

      »No,« antwortete er mürrisch.

      »Ihr seid einverstanden, daß Euer Bruder geht?«

      »Yes.«

      »So bin ich beruhigt. Es wäre höchst fatal und gefährlich, wenn einer etwas unternähme, wovon die andern nichts wissen dürfen. Das könnte nicht nur alles verderben, sondern uns sogar Freiheit und Leben kosten.«

      »Macht Euch keine solche Gedanken!« beruhigte mich Jim. »Habt gar keinen Grund dazu. Dieser Tim getraut sich nichts ohne mich; ist auch viel zu jung dazu; volle fünf Minuten jünger; denkt Euch nur! Der bleibt gern ruhig sitzen, bis wir wiederkommen. Nun aber wollen wir ja nicht länger warten, weil es sonst zu dunkel wird.«

      »Gut! Also Mr. Snuffle, haltet gut Wache, und verlaßt diesen Ort ja nicht eher, als bis wir zurückgekehrt sind. Ich übergebe Euch hier meine beiden Gewehre, weil sie mich behindern würden.«

      Er nahm, ohne ein Wort zu sagen, den Bärentöter und den Stutzen in Empfang, und ich ging mit Jim fort.

      Es war während des Wortgefechtes so düster geworden, daß man nicht mehr ganz deutlich sehen konnte. Wir hatten also jetzt noch nicht nötig, uns auf die Erde zu legen und uns kriechend fortzubewegen, sondern wir blieben aufrecht und huschten von Baum zu Baum der Gegend zu, in welcher ich die Stimmen gehört hatte. Wie viel, viel lieber wäre ich allein gewesen! Ich hatte von den beiden Snuffles zwar als von ganz guten Westmännern gehört, doch zwischen Westmann und Westmann ist ein Unterschied. Mochten sie sich in gewöhnlichen und meinetwegen zuweilen auch in ungewöhnlichen Verhältnissen bewährt haben, hier galt es mehr als Ungewöhnliches; jeder Augenblick, die geringste Unvorsichtigkeit konnte über das Leben der gefangenen Bleichgesichter und auch über das unserige entscheiden; darum mahnte ich Jim jetzt nochmals zur äußersten Vorsicht.

      »Habt keine Angst um mich,« antwortete er flüsternd. »Habe noch andere Sachen durchgemacht, als solche Leichtigkeit, wie jetzt.«

      Das sollte mich beruhigen, aber dadurch, daß er es so leicht nahm, erreichte er das Gegenteil, und ich nahm mir vor, ihn ja nicht etwas vornehmen zu lassen, was wahrscheinlich über seine Kräfte ging.

      Zunächst schien seine Ansicht, daß unser Unternehmen ein leichtes sei, sich bewahrheiten zu wollen. Wir kamen weiter und weiter, ohne durch irgend eine Fährlichkeit aufgehalten zu werden; wir erreichten sogar das hohe Ufer des Flusses, ohne eine Spur von den Roten bemerkt zu haben. Ich sage mit Absicht »das hohe Ufer«, denn was wir jetzt nicht sahen, entdeckten wir bald darauf, nämlich daß das jetzt fast ausgetrocknete Flußbette ziemlich tief unter uns lag.

      Es war fast ganz dunkel geworden, dennoch erkannte ich, daß das Ufer da, wo wir standen, einen steilen, kahlen Abrutsch hatte, auf welchem man sich ja nicht weit vorwagen durfte, sonst konnte leicht der Boden unter den Füßen weichen und einen mit hinunternehmen. Wir gingen also so lange am Rande hin, bis der Boden sicherer wurde und wieder Bäume trug; die Uferböschung unter uns war mit Büschen bestanden.

      »Ihr müßt Euch geirrt haben, Sir,« flüsterte Jim mir zu. »Die Roten sind nicht in dieser Gegend.«

      »O doch. Ich habe ihre Stimmen deutlich gehört.«

      »So waren sie vorhin da, sind aber nun fort.«

      »Nein; sie sind noch hier; ich weiß es ganz genau.«

      »Man kann sie aber doch weder sehen noch hören!«

      »Das ist wahr; aber ich rieche sie.«

      »Riechen? Alle Wetter! Was müßt Ihr da für eine Nase haben!«

      »Eine ganz gewöhnliche, die aber gerade für Pferdeduft sehr empfindlich ist. Ich rieche die Pferde der Comantschen.«

      »Wo?«

      »Sie sind tief unter uns am Wasser.«

      »Bis da hinunter reicht Eure Nase?«

      »Pshaw! Ihr wißt wohl gar nicht, welche Eigenschaft der Pferdeduft besitzt. Notabene, ich rieche ihn sehr gern. Kommt Ihr in einer großen Stadt an einen Droschkenhalteplatz, so braucht kein Pferd da zu sein, aber der Pferdeduft ist da. Ich wette, um was Ihr wollt, daß

      – — halt, seht Ihr‘s, daß ich recht habe? Schaut hinab!«

      Es war unten am Flusse ein kleiner, glühender Funke zu sehen, welcher sich rasch vergrößerte. Da es dunkel geworden war, brannten die Roten ein Feuer an. Daß sie nicht hier oben auf dem hohen Ufer geblieben waren, konnte man leicht begreifen. Unten gab es ja Wasser für sie und ihre Pferde. Aus dem einen Feuer wurden fünf.

      »Das ist gut,« sagte Jim Snuffle. »Da können wir alles sehen, wenn wir uns an sie schleichen.«

      »Sie uns aber auch, wenn wir uns nicht sehr in acht nehmen. Ich habe diese Feuer darum gern, weil auch sie uns sagen, daß sich die Comantschen sicher und unbeobachtet fühlen.«

      »Wir gehen doch


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