Im Reiche des silbernen Löwen III. Karl May
Messer und Pulver werden wir euch geben. Und wenn ihr es für nützlich haltet, bin ich sogar bereit, euch mit einer Anzahl meiner Leute zu begleiten, um den Dieben nachzueilen und ihnen abzunehmen, was sie euch entwendet haben.«
Konnten wir willkommenere Worte hören? Gewiß nicht! Ich wollte ihm sagen, daß ich bereit sei, sein Anerbieten dankbar anzunehmen, doch Halef kam mir zuvor. Er rief begeistert aus:
»Wie glücklich ist der Stamm, dem du angehörst, o Nafar Ben Schuri. Die Weisheit spricht aus deinem Munde, und von deinen Lippen klingen die Töne des Verstandes! Die Großväter deiner Ahnen und Urahnen sind die klügsten Leute ihres Volkes gewesen, und die Urenkel deiner spätesten Nachkommen werden berühmt in allen Ländern und Gegenden des Erdkreises sein. Wir sind gekommen, das Glück deines guten Herzens zu erhöhen, indem wir annehmen, was du uns bietest. Wir werden innige Freundschaft und ein ewiges Bündnis mit dir schließen. Wir sind bereit, dich sofort nach deinem Lager zu begleiten, und ich verspreche dir – — —«
»Halt!« unterbrach ich ihn, denn er wäre in seiner Freude fähig gewesen, Zugeständnisse zu machen, denen nachzukommen uns später nicht möglich war.
»Was?« fragte er. »Bist du etwa mit dem, was ich sage, nicht einverstanden, Sihdi?«
»Darin, daß wir die uns angebotene Hilfe annehmen, stimme ich dir bei, Halef. Aber nach dem Lager können wir nicht gleich mit.«
»Warum?«
»Es ist nur noch kurze Zeit bis zum Untergang der Sonne. Dann werden die Diebe Halt machen. Ich möchte womöglich erfahren, wo sie die Nacht zubringen. Gelingt uns das, so können wir bis früh schon wieder im Besitze unserer Pferde sein. Wir können also nur eins thun, nämlich jetzt sogleich ihren Spuren folgen.«
»Das ist wahr!« gab er zu.
»Ja, das ist richtig!« stimmte auch Nafar bei. »Und damit ihr seht, daß ich es wirklich freundlich mit euch meine, erkläre ich, daß wir euch begleiten werden. Ihr werdet aber einsehen, daß ich einen Boten in das Lager senden muß!«
»Natürlich! Er hat Nachricht zu geben, daß und warum ihr heut nicht zurückkehrt,« sagte ich.
»Noch mehr!«
»Was?«
»Wir sind nicht so berühmte Krieger, welche, so wie ihr, ohne Waffen und fast in der Minderzahl einen Feind verfolgen, der gezeigt hat, daß er zu allem fähig ist. Ich bin es meinen Leuten schuldig, Vorsicht walten zu lassen, und so – — —«
»Vorsicht?« fiel da Halef schnell ein. »Minderzahl? Wir waren nur zwei, und wie sahen wir aus – — und doch sind wir hinter den Dieben her! Ihr seid acht, mit uns zehn, genau so viel, wie die Feinde zählen, von denen zwei krank sind!«
»Aber ihr habt noch keine Waffen!«
»Die haben wir!«
»Wo?«
»Da – — dort – — – bei den Spitzbuben! Die haben ja unsere Gewehre, und die holen wir uns!«
Da ging ein eigenartiges Lächeln über das Gesicht des Anführers. Er strich sich mit der Hand über den dunklen Bart und sagte in bedächtigem Tone:
»Ja, es ist alles wahr, was ich von Hadschi Halef Omar, dem Scheik der Haddedihn, vernommen habe. Deine Gedanken haben die Schnelligkeit des Blitzes; hierauf folgt sofort der Donner deiner Worte, und wie der Regenguß kommt dann die schnelle That. Aber wir wissen zwar, was jetzt ist und wie es ist, doch wie es sein wird und was noch kommen kann, das wissen wir nicht. Wenn zehn Männer gegen andere zehn Männer stehen und man aber leicht eine größere Schar haben kann, so soll man nicht auf diesen Vorteil verzichten. Habe ich recht oder nicht, Sihdi?«
Diese Frage war an mich gerichtet, und so antwortete ich:
»Ich stimme dir bei, falls dieser Zuwachs an Kriegern nicht mit Verlusten andererseits verbunden ist.«
»Welche Verluste könnten das wohl sein?«
»Ich meine vor allen Dingen die Zeit, welche wir dadurch verlieren könnten.«
»Wir haben keinen Augenblick zu opfern, Sihdi, denn wir folgen ja sofort der Spur der Diebe, während sich nur ein einziger Mann von uns trennt, um nach dem Lager zu reiten und mehr Leute zu holen.«
»Wie folgen uns diese? Auf unserer Fährte?«
»Nein. Denn wenn sie dies thäten, so müßten sie erst wieder hierher, und dann kämen sie freilich zu spät.
Sie könnten dann unsere Spuren nicht mehr sehen, weil es inzwischen dunkel werden muß.«
Er sann einige Augenblicke nach und fuhr dann fort:
»Die Reiter hatten die Richtung nach dem Dschebel Ma; das ist der »Berg des Wassers«, weil es dort eine Quelle giebt. Ich bin überzeugt, daß sie dort in der Nacht lagern werden. Ich lasse dreißig oder vierzig Krieger holen, welche vor diesem Berge an einer Stelle, wo wir auf sie warten werden, auf uns zu treffen haben. Meinst du nicht, daß dies richtig sein wird?«
Es war ein Glück für uns, diesem Scheik der Dinarun und seinen Leuten begegnet zu sein. Ich hätte freilich gern eine andere Disposition getroffen, fühlte mich ihm aber zu Dank verpflichtet und durfte es nicht zu einer vielleicht möglichen Verstimmung zwischen ihm und mir kommen lassen. Darum erklärte ich:
»Wir kennen diese Gegend nicht; euch aber ist sie wohlbekannt; darum bin ich überzeugt, daß dein Rat der beste ist, der uns gegeben werden kann. Wir werden ihn befolgen.«
»Ich danke dir, Sihdi! Du wirst die Erfahrung machen, daß sich niemand täuscht, der mir vertraut. Wir kehren also mit euch beiden um.«
Er gab einem seiner Leute die nötigen Befehle, und als dieser im Galopp fortritt und das ledige Packpferd mitnahm, stiegen wir auf und schlugen die Richtung ein, aus welcher die Danarun gekommen waren.
»Brrr!« schüttelte sich Halef, als wir kaum ein Kilometer zurückgelegt hatten.
»Friert dich wieder?« fragte ich ihn.
»Ja. Aber es ist auch noch etwas anderes.«
»Was?«
»Mein jetziges Pferd! O, Sihdi, welch eine Wonne des Paradieses ist es, auf meinem Barkh zu sitzen! Ja, es sind sogar zwei, drei, vier oder fünf solche Wonnen! Aber so ein Gaul wie dieser! Sihdi, bist du einmal auf einem Ziegenbock geritten?«
»Nein.«
»Ich auch nicht; aber ich leide jetzt dieselben Qualen, die man eigentlich nur auf dem Rücken einer Ziege suchen darf. Ich weiß nicht, ist das Pferd schuld, oder giebt es eine andere Ursache: Ich werde schwindelig; mein Herz klopft überschnell.«
»Halef, du bist krank, ernstlich krank!« rief ich besorgt aus.
»Krank? O nein! Wie könnte ich krank sein, wenn es Spitzbuben zu verfolgen und einzufangen giebt! Du mußt doch deinen alten treuen Hadschi kennen!«
»Irre dich nicht! Denke einmal an jenen Unglücksritt von Bagdad auf den Weg der persischen Todeskarawane!«
»An den werde ich denken, so lange ich nur denken kann. Wir ritten der Pest entgegen, die erst dich, dann mich ergriff.«
»So erinnere dich genau! Vergleiche deinen damaligen Zustand mit deinem jetzigen!«
»Allah! Hast du etwa Grund, jetzt wieder an die Pest zu denken?«
»Nein, sondern einstweilen nur an das Kranksein im allgemeinen. Daß du Schwindel hast, macht mich besorgt.«
»Jetzt ist er wieder weg; aber ich habe Figuren und bunte Fäden vor den Augen, die mich hindern, deutlich und klar zu sehen.«
»Hm! Halef, ich wollte, wir hätten unsere Pferde und überhaupt unser Eigentum wieder und befänden uns an einem stillen, sicheren Orte, an dem wir bleiben könnten!«
»Sihdi, lieber Sihdi, mache mir doch nicht Angst mit deiner Sorge um mich! Ich bin ja ganz gesund! Schau, vorhin fror es mich; jetzt aber ist das völlig weg; es ist mir sogar heiß, ganz heiß geworden. Habe also keine Angst. Ich bin so rüstig, wie ich stets gewesen bin und wie ich bleiben werde, bis ich sterbe!«
Es