Im Reiche des silbernen Löwen III. Karl May

Im Reiche des silbernen Löwen III - Karl May


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es. Sie werden durch den Paß kommen, durch den wir soeben geritten sind. Ich sage dir, daß uns die Leute da unten gar nicht entgehen können. Erlaube, daß wir uns niedersetzen! Wir können jetzt nichts anderes thun, als warten.«

      Er hatte recht. In Beziehung auf die Wiedererlangung unseres Eigentums lagen die Verhältnisse so, daß ich mich beruhigt fühlte. Dagegen war es mir um Halef bang. Ich setzte mich an seiner Seite nieder und versuchte, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen. Er gab mir nur ganz kurze Antworten; sein Ton war matt, der Klang fast widerwillig; darum hielt ich es für besser, zu schweigen.

      Da auch die Dinarun nicht sprachen, so herrschte hier oben bei uns eine Stille, welche nur durch das jeweilige Schnaufen oder Hufscharren eines Pferdes unterbrochen wurde. Der Tag ging schnell zu Ende. Der Abend senkte sich hernieder, aber die erwartete Verstärkung stellte sich nicht ein. Da der Scheik keine Bemerkung hierüber machte, nahm auch ich diesen Umstand schweigend hin. Wozu über etwas Worte machen, was man durch sie doch nicht ändern kann! Auch brannte unten am Wasser jetzt noch kein Feuer, und uns an die Feinde schleichen, ohne einen solchen Wegweiser zu haben, das wäre doch wohl unvorsichtig gewesen.

      Da fühlte ich Halefs tastende Hand, welche meinen Arm berührte und an demselben niederglitt. Er ergriff meine Rechte, nahm sie in seine beiden Hände und lehnte seinen Kopf an meine Seite. So saß er längere Zeit still und unbeweglich. Mir war es, als ob seine Hände ungewöhnlich warm seien.

      »Sihdi!« erklang es leise.

      »Halef!« antwortete ich ebenso.

      »Siehst du die Sterne dort oben?«

      »Ja.«

      »Man meint, daß das der Himmel sei. Ob euer oder unser Himmel?«

      »Meinst du, es gebe verschiedene Himmel, mein guter Halef?«

      »Nein. Und wenn! Hätte Allah zehn Himmel, und mir wäre der höchste von ihnen bestimmt. Und hätte der Gott der Christen auch zehn Himmel, und für dich sollte der unterste sein. Weißt du, was ich thäte?«

      »Nun?«

      »Ich verzichtete auf meinen obersten und ginge mit dir in deinen niedrigsten. Er würde für mich doch der höchste sein, denn wo die Liebe wohnt, da ist die schönste und beste Seligkeit. Wäre ich dir willkommen, Sihdi?«

      »Kannst du ungewiß hierüber sein, Halef?«

      »Nein. Ich bin wie ein Kind, welches gern den Vater sagen hört, daß er es liebt!«

      »So sage ich es dir von ganzem Herzen!«

      »Ich danke dir! Ich dachte soeben nach – — – über dich und über mich. Meinst du, daß wir Freunde seien?«

      »Gewiß! Bessere kann es gar nicht geben!«

      »Ich denke aber anders.«

      »Wie?«

      »Solche Freunde, wie wir sind, kann es ja gar nicht geben. Wir sind mehr, viel mehr als Freunde. Es giebt kein Wort dafür. Wenn wir uns als Menschen lieben, welche beide ein gutes und ein nicht gutes Wesen in sich haben, so sind wir Freunde. Aber wenn wir die Liebe nur der beiden guten Wesen in uns meinen, so ist das mehr als Freundschaft; das muß doch wohl der Himmel sein! Das ist es, was ich dachte, und was ich dir sagen wollte! Ich kann dein Gesicht nicht erkennen; aber sag, lächelst du vielleicht?«

      »Nein. Ich bin sehr ernst, aber glücklich ernst.«

      »Und ich bin so weich. Woher das wohl kommen mag? Sag: Wenn ich dich hier verlassen müßte, um zu sterben, würde ich dich dann wohl auch noch sehen können?«

      »Halef! Wie kommst du zu dieser Frage?«

      »Das weiß ich nicht. Sie kam mir auf die Zunge und wollte ausgesprochen sein; da habe ich es gethan. Es spricht jemand in mir vom Tode. Ob es der Halef oder der Hadschi ist, das weiß ich nicht; aber ich werde – — – Horch!«

      Es gab in diesem Augenblick allerdings etwas zu hören, nämlich ein plötzliches Geschrei vieler Stimmen, wie es beim Angriffe oder im Kampfe ausgestoßen wird. Die Dinarun sprangen auf, und ihr Scheik rief aus:

      »Allah! Das sind meine Krieger!«

      »Da unten?« fragte ich, indem ich mich auch schnell erhob. »Du sagtest doch, daß sie hierher kommen würden!«

      »Sie sind direkt zu den Räubern geritten und über sie hergefallen.«

      »Aber sie wußten doch nicht, wo diese sich befanden!«

      »Es wird sie der Zufall oder irgend ein Zeichen zu der Stelle geführt haben!«

      »Irrst du dich nicht? Weißt du gewiß, daß es deine Leute sind?«

      »Sie sind es. Es ist unser Ruf.«

      »So müssen wir hinab!«

      »Nein. Jetzt noch nicht. Laß nur einige Minuten vergehen, so werden wir erfahren, wie es steht!«

      Ich war nicht ohne Sorge, zwang mich aber zur Geduld. Halef war auch aufgesprungen. Es schien alle Schwäche von ihm gewichen zu sein. Seine Stimme klang sehr energisch, als er den Scheik jetzt fragte:

      »Können deine Krieger denn einen anderen Weg als den ihnen anbefohlenen eingeschlagen haben?«

      »Ja,« antwortete Nafar Ben Schuri.

      »Warum? Sie haben doch zu gehorchen?«

      »Man kann doch auch grad aus Gehorsam etwas anderes thun, als was befohlen worden ist.«

      »Nein! Das ist gar nicht möglich, denn ein Befehl wird doch gegeben, daß man ihn grad so und nicht anders befolge, als er lautet.«

      »Aber wenn der, welcher ihn auszuführen hat, währenddem einsieht, daß er ihn auf andere Weise viel besser und vollständiger erfüllen kann, so ist es doch grad die Pflicht des Gehorsams, nicht darauf zu achten, wie der Befehl ursprünglich geklungen hat!«

      »Damit erkennst du also jedem deiner Leute die Berechtigung zu, deine Gebote zu deuten und von ihnen abzuweichen oder nicht, je nachdem sie es für nützlich halten. Meine Haddedihn haben genau nach meinen Worten zu handeln, ohne von ihnen hinwegzunehmen oder hinzuzufügen. Doch schaut hinab. Man hat ein Feuer angezündet, und man ruft. Wer ist gemeint?«

      Es leuchtete unten eine Flamme auf, und wir hörten die Worte erklingen:

      »Gahlab, gahlab; ta‘al, ta‘al, ia Scheik – — Sieg, Sieg; komm, komm, o Scheik!«

      »Diese Worte gelten mir,« antwortete Nafar Ben Schuri. »Meine Leute wissen ja, daß ich hier oben bin, und da sie den Feind überwunden haben, so fordern sie mich auf, zu ihnen hinabzukommen.«

      »Hoffentlich haben sie in ihrem eigenmächtigen Handeln nichts gethan, was uns in Schaden setzt! Wie man etwas thut, das ist oft wichtiger, als daß man es thut!«

      Die Rufe von unten wiederholten sich, und so stiegen wir auf, um hinabzureiten. Das geschah in einer langen Einzelreihe, einer hinter dem andern. Halef und ich machten die letzten und verließen uns auf unsere Pferde, welche trotz der Dunkelheit und trotz der Beschwerlichkeit des Weges nur selten einmal einen Fehltritt thaten. So kamen wir ganz gut in das Thal hinab und ritten quer über dasselbe hinüber, indem wir uns das Feuer als Wegweiser dienen ließen. Dabei wurden Rufe und Gegenrufe gewechselt, und es gab einen Lärm, der immer größer wurde, je näher wir kamen. Als wir dann anlangten, befanden wir uns inmitten von 50 oder 60 Dinarun, welche alle auf das lebhafteste auf uns einschrieen. Jeder einzelne wollte uns erzählen, durch welche großen Heldenthaten speziell auch er zum Siege beigetragen habe, und so dauerte es ziemlich lange, bis wir erfuhren, wie höchst einfach sich die Sache zugetragen habe.

      Der Bote, welcher von dem Scheik in das Lager gesandt worden war, hatte den Anführer gemacht. Es war für ihn selbstverständlich gewesen, daß die Diebe am Wasser des Dschebel Ma nachtlagern würden. Er hatte unterwegs den Entschluß gefaßt, sich mit dem ganzen Ruhme des Sieges zu schmücken und den Ueberfall also ohne den Scheik und uns zu übernehmen. Darum war er nicht nach dem Stelldichein geritten, sondern einer anderen Richtung gefolgt, welche ihn unten thalabwärts bis an den Fuß des Berges geführt hatte. Dort angekommen, waren die Pferde unter der Aufsicht einiger Leute zurückgelassen worden. Dann hatte man sich leise


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