Im Reiche des silbernen Löwen IV. Karl May

Im Reiche des silbernen Löwen IV - Karl May


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noch ehe man dieser Weisung nachgekommen war, traten die Folgen dieser plötzlichen Erleuchtung der Halle ein: Auf dem Vorplatze ließen sich laute Schritte hören, hierauf einige unterdrückte Rufe. Nun wurde es wieder still. Dann kam einer der dortigen Dschamikun die Stufen herauf und meldete:

      »Sie sind ergriffen worden. Als sie die Lichter sahen, wollten sie schnell fort. Da nahmen wir sie fest!«

      »Bringt sie uns!« sagte ich. »Ihr findet uns im Gange dort hinter der Thür.«

      »Dürfen wir nicht hier bleiben, da wir sie nun doch haben?« fragte der Pedehr.

      »Nein,« antwortete ich. »Die plötzliche Helligkeit dieses Raumes, auf den es abgesehen war, muß dem Perser, der sich bei den Pferden befindet, auffallen und ihn warnen. Schicke schnell deine Leute hinab, um auch ihn festnehmen zu lassen! Der junge Dschamiki, welcher weiß, wo der Ort liegt, mag sie führen!«

      Während der Pedehr dieser Weisung folgte, wurde der Gefesselte hinausgetragen und die Thür hinter uns allen zugemacht, so daß es in der Halle nun wieder finster war. Erst jetzt fand ich Zeit, das Gesicht des Gefangenen zu betrachten. Wir hatten den Richtigen – — Ghulam el Multasim. Er lag mit geschlossenen Augen da. War er besinnungslos, oder stellte er sich nur so? Es giebt Menschen, welche zwar den Mut des gehässigen Angriffes besitzen, weil sie zu thöricht sind, die Folgen zu bedenken, und dann, wenn diese eintreten, die Augen zumachen, als ob das genüge, die wohlverdiente und unvermeidliche Strafe von sich abzuwenden. Was äußerlich dem Mute ähnlich war, ist dann in seiner eigentlichen Gestalt als Feigheit zu erkennen.

      Jetzt brachte man seine beiden Genossen zu uns; auch sie waren gebunden. Sie hatten die abgelegten Kleider des Bluträchers bei sich gehabt, auch seine Pistolen. Er war nur mit dem Messer versehen gewesen. Dieses war ihm aus der Hand entfallen, als er von Kara beim Halse genommen worden war. Der Pedehr hatte es aufgehoben und zeigte es mir.

      »Das ist die Klinge, mit welcher die Rose aufgebrochen werden sollte,« sagte er. »Was soll mit diesen drei Menschen geschehen, Effendi?«

      »Wer hat darüber zu bestimmen?« erkundigte ich mich.

      »Natürlich du. Der Angriff war ja gegen dich geplant.«

      »Wird man das auch wirklich ausführen, was ich bestimme?«

      »Gewiß!«

      Als ich auch dem Ustad einen fragenden Blick zuwarf, erklärte dieser, seinem Scheike beistimmend:

      »Es ist uns jeder verfallen, der sich ohne unsere Erlaubnis hier mit der Waffe treffen läßt. Aber wir pflegen nicht zu töten. Es ist zwischen uns und dem Multasim ausgemacht worden, daß die Frage der Rache, welche ihn hierher geführt hat, durch das Wettrennen beantwortet werden soll. Hast du mit ihm ein heimliches Abkommen getroffen, so geht das uns nichts an. Er erhalte die Folgen davon aus deiner Hand. Ich könnte ihn zwar dafür bestrafen, daß er sich mit dem Messer trotz unserer Vereinbarung in mein Haus geschlichen hat, trete aber dieses Recht hiermit an dich ab, Effendi. Thue mit ihm und seinen Helfershelfern, was dir beliebt. Er sei ganz nur in deine Hand gegeben!«

      »So schafft diese drei Menschen einstweilen so, wie sie hier sind, zu den andern Gefangenen hinüber in das Gewölbe, und laßt sie dort bewachen! Morgen, wenn es Tag geworden ist, werden sie erfahren, was ich über sie beschlossen habe. Sie kamen bei Nacht; ich aber erwarte den Tag, denn ich will auf heimliche Anschläge keine lichtscheuen Antworten geben!«

      Man kam dieser Weisung unverweilt nach. Als die Perser hinausgebracht worden waren, lagen die Kleider des Multasim noch am Boden. Der Pedehr forderte Tifl auf, nachzusehen, was sich in den Taschen befinde. Sie enthielten, wie es schien, nur die gewöhnlichen Gebrauchsgegenstände, und nur zuletzt entdeckte »das Kind« an einer verborgenen Stelle noch ein kleines Täschchen, aus dem er einen noch kleineren Lederumschlag hervorzog, in welchem einige beschriebene Papierblätter festgeheftet waren. Er gab das Büchelchen dem Pedehr, der es aufmerksam betrachtete und dann dem Ustad kopfschüttelnd mit den Worten hinreichte:

      »Sonderbar! Das scheinen nur einzelne Buchstaben zu sein. Worte sind es nicht. Schau du zu, was es ist!«

      Der Ustad nahm es in die Hand, sah es durch und sagte:

      »Das ist das Täliq-Alphabet mit einer vorwärts gerückten Wiederholung. Ich würde glauben, es sei eine sogenannte Eselsbrücke für irgend einen Anfänger im Schreiben. Aber da auf der ersten Seite steht in derselben runden, stark nach links hängenden Schrift zu lesen: »Für Ghulam, den Dschellad[7]«. Es ist also für Ghulam ganz besonders bestimmt. Er wird »Henker« genannt. Weshalb? War es vielleicht ein Scherz? Dann hätte er es nicht so sorgfältig aufgehoben. Hat er es vielleicht selbst geschrieben? Was sagst du dazu, Effendi?«

      »Ich kann nicht eher etwas sagen, als bis ich es gesehen habe,« antwortete ich ihm. »Ist es nur das Alphabet?«

      »Dieses und die Ueberschrift, die ich vorgelesen habe. Denn die paar Buchstaben, die dann noch unter ihr stehen, können wohl kaum etwas zu bedeuten haben. Es ist ein Sa und ein Lam.«

      »Weiter nichts?« fragte ich schnell.

      »Noch das Verdoppelungszeichen dazwischen,« antwortete er. »Da, siehe selbst!«

      Er gab es mir. Ja, das war das mir so wohlbekannte Erkennungszeichen der Sillan! Ich wußte sofort, daß dieses scheinbar ganz bedeutungslose Doppelalphabet gewiß von großer Wichtigkeit sei. Aber in welcher Weise wichtig, das war die Frage! Es enthielt zweimal alle persischen Buchstaben vom Aelyf bis zum Jäj und sogar Lam-Aelyf. Aber die gleichen Buchstaben standen nicht beieinander, sondern die zweite Reihe war weiter fortgeschoben, so daß die letzten sieben Buchstaben nicht hinten, sondern vorn ihr Ende fanden. Wenn ich versuchen will, dies durch das deutsche Alphabet zu verdeutlichen, so bekommt diese Probe folgendes Aussehen:

      A b c d e f g h i k l m n o p q r s t u

      t u v w x y z A b c d e f g h i k l m n

      v w x y z. – — —

      o p q r s. – — —

      Es war mit Gewißheit anzunehmen, daß die bereits erwähnte Wichtigkeit dieser Zusammenstellung für die Sillan eine allgemeine, für den Multasim aber außerdem eine noch besondere sei. Ich wünschte sehr, hierüber Aufklärung zu erhalten. Aber von wem? Sie konnte mir nur durch eigenes Nachdenken werden. Jetzt aber gab es keine Zeit hierzu. Ich steckte also das Heftchen zu mir und sagte:

      »Die Buchstaben sind wahrscheinlich das, wofür du sie hieltest, nämlich eine Eselsbrücke. Der Esel ist ohne Zweifel Ghulam selbst. Jetzt interessiert mich nur der Umstand, daß er »Henker« genannt wird. Ihr kennt ihn besser als ich. Habt Ihr vielleicht schon einmal diese oder eine ähnliche Bezeichnung seiner Person gehört?«

      »Nein, nie;« antwortete der Pedehr. »Aber dadurch, daß er als Multasim sich mit seiner unersättlichen Habsucht an die Stelle des gütigen Beherrschers setzt, ist er wohl schon Unzähligen in Wirklichkeit zum Henker geworden.«

      »Hier fällt mir eine Aehnlichkeit auf,« fügte der Ustad hinzu. »Steuerpächter des Schah-in-Schah und Paradiesespächter! Hier leibliches und dort seelisches und geistiges Henkertum! Wie manchen solchen Geist- und Seelenhenker mag es geben, der seines traurigen Amtes dadurch waltet, daß er an Stelle des einfachen und ehrlichen Alphabetes, welches uns der Herr gegeben hat, ein gefälschtes setzt! Was thun wir mit den Kleidern des Gefangenen?«

      »Sie mögen hier liegen bleiben, bis er sie morgen wieder bekommt. Das geschieht nicht eher, als bis ich ihm dieses Alphabet wieder in die Tasche gesteckt habe. Ich wünsche, daß er denken möge, es sei unentdeckt geblieben. Wenn eure Leute später den vierten Perser mit den Pferden bringen, so steckt ihn in ein besonderes Verließ. Der Multasim soll jetzt noch nicht wissen, daß wir auch noch diesen festgenommen haben. Und noch eins: Ich habe euch etwas zu sagen und zu zeigen. Das steckt in meiner Satteltasche. Wo befindet sich das alles, meine Sachen und die Waffen?«

      »In meiner Wohnung,« antwortete der Ustad.

      »Also bei dir? Ich danke dir! Das zeigt mir ja, wie wert du das Eigentum deines Gastes hältst.«

      Da ging ein ganz eigenartiges Lächeln über sein Gesicht. Er machte eine den Sinn meiner Worte abwehrende


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<p>7</p>

Henker.