Im Reiche des silbernen Löwen IV. Karl May

Im Reiche des silbernen Löwen IV - Karl May


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höllisch erwartungsvoll! Ja, es war eine große, eine hochbedeutende Frage, welcher ich da gegenüberstand. Ich begriff den Ustad. Die ganze Hölle, gegen welche er einst vergeblich gekämpft hatte, schaute mich jetzt mit diesem seinem Blicke an. Aber ich konnte ruhig sein. Mich sollte sie nicht hindern, den Weg zu gehen, den ich mir ja schon längst vorgezeichnet hatte. Es wurde mir nicht schwer, mich zu entscheiden. Ich hielt dem Ustad meine Rechte hin, schaute ihm ruhig lächelnd ins Gesicht und sagte:

      »Gieb mir deine Hand!«

      »Nun?« fragte er schnell, indem er sie mir reichte. »Was hast du beschlossen?«

      »Wie gern erfülle ich dir deinen Wunsch! Nimm alles hin! Es sei dein Eigentum!«

      »Alles – alles?« rief er in unbeschreiblicher Verwunderung.

      »Alles!«

      »Aber weißt du, was du thust?! Du hörst auf, zu sein, was du warst und was du bist! Du kannst nie wieder solche Bücher schreiben, wie du geschrieben hast! Du stirbst! Du mußt ein völlig andrer werden! Hältst du trotzdem dein Wort?«

      »Ich halte es!«

      »Unglaublich! Ich erinnere dich noch einmal an die Folgen, Effendi! – Bist du berühmt?«

      »Pah! Man spricht von mir. So lange man mich aber nicht begreift, muß es mir gleichgültig sein, was man redet. Wenn man mich falsch versteht, spricht man von einem Falschen, doch aber nicht von mir!«

      »Das klingt so wahr, doch aber auch so kühl! Fast möchte ich es verächtlich nennen! Bedenke aber, Effendi: Wenn du nicht mehr in dieser deiner bekannten Weise schreibst, wird man gar, gar nicht mehr von dir sprechen! Dann bist du tot, tot, tot!«

      »Du armer, armer Ustad! Was hast du doch für irrige Begriffe von dieser Art von Leben und dieser Art von Tod! Ich habe mich dir geschenkt, so, wie ich da an diesen Nägeln hänge. Diese Embleme meiner bisherigen Tätigkeit, sie sind – — – ich! Das Ich, welches ich war! Bin ich nun tot?«

      »Ja!«

      »Du irrst! Ich ging in diesem Augenblicke in ein anderes Leben über, und dieses andere wird ein höheres, schöneres, edleres, unendlich wertvolleres sein. Ich schrieb eine Menge Bücher. Ich ließ mein »Ich« in ihnen sprechen. Ich wurde nicht verstanden. Ich gab das Köstlichste, was es auf Erden giebt, in irdenem Gefäße. Ich füllte diese Schalen mit einem Rätsel an und ließ die Menschheit trinken. Es tranken Hunderttausende daraus, doch allen war der Trank nichts als nur Wasser. Die Schale täuschte alle! Ich hatte es den Menschen zu bequem gemacht. Man trank gedankenlos und lachte mich dann aus. Das ist der große Fehler, den ich mir vorzuwerfen habe, weiter nichts! Der Sterbliche trinkt lieber Sumpfwasser aus goldenen Gefäßen, als Himmelsnektar aus nur irdenen. Da stieg in mir ein heißes Wallen auf. Es griff ein heiliger, wenn auch stiller Zorn in meine Seele. Nicht daß ich diese irdenen Gefäße nun zertrümmerte, o nein! Ich nahm mir vor, nun goldene zu geben, doch mit demselben Trank, den man für Wasser hielt. Ich habe mir das Gold dazu auf diesem Ritt geholt, der mich zum geistigen Haupt der Dschamikun geführt. Du ahnst wohl nicht, wo ich hier suchte und wo ich es fand. Von heute an werde ich im »hohen Hause« schreiben – — – ganz anders als bisher. Und hat man es erkannt, wie thöricht man einst war, so wird man dann zurück nach jenen Schalen greifen, die man zur Seite stellte. Dann leben meine alten Werke auf. Man wird sie mit ganz andern Augen lesen; die Seele tritt hervor, die tief in ihnen lebt. Und wenn man erst den Geist erkennt, der mir die Feder gab, dann wird sie dieser Geist in alle Häuser tragen, in denen sie bisher noch nicht zu sehen waren. – — – Nun sage mir, o Ustad, ob ich mich für gestorben halten muß!«

      Da streckte er mir beide Hände entgegen. Ich sah, daß seine Augen feucht waren, indem er zu mir sprach:

      »Sihdi, nicht hier will ich dir sagen, was ich erkennen muß! Wir gehn hinauf zu dir. Doch sage vorher, was mit dem Briefe war, den du uns zeigen wolltest!«

      »Er ist nun dein,« antwortete ich.

      »Mein?« fragte er verwundert.

      »Ja. Er steckt ja dort in deiner Satteltasche.«

      »In – — meiner – — meiner – — Satteltasche!« wiederholte er lächelnd meine Worte. »Also du hast mit diesem Geschenke gewiß und wirklich Ernst gemacht?«

      »Ja! Es war Ernst. Ich habe dir nichts geschenkt. Du hast mich nur befreit. Soll vielleicht ich nach diesem Briefe suchen?«

      »Thue es! – Dann gehen wir hinüber in mein Zimmer.«

      Ich fand das Schreiben, dessen sich der Leser wohl noch erinnern wird. Ich gab es dem Ustad und ging dann hinaus, ohne mein bisheriges Eigentum noch einmal anzusehen. Da sagte der Ustad, indem sie mir beide folgten:

      »Effendi, du lässest deine Berühmtheit hier zurück. Willst du fortgehen, ohne auch nur noch einen einzigen Blick auf sie zu werfen?«

      »Ja,« antwortete ich. »Berühmt! Kennst du diese Art von Berühmtheit? Sie ist dämonischer Natur. Soll sie deine Freundin sein, so verzichte auf dich selbst, und gieb ihr deinen Geist und deine ganze Seele hin!«

      »Wie wahr, wie wahr du sprichst!« stimmte er mir bei. »Ich kenne sie. Sie war nicht nur meine Freundin; sie war mir mehr, viel mehr. Und was hat sie von mir gefordert! Welche Opfer habe ich ihr gebracht! Jedem Laffen hatte ich mich vor die Füße zu werfen und vor jedem hohlen Kopfe mich zu verbeugen! Jedem Narren mußte ich gefällig sein, um sie nur nicht zu schädigen, und jeden Dünkel mir gefallen lassen, damit er ihr ja nicht gefährlich werden könne. Meine Tasche mußte für jede Thorheit offen sein, und wenn der Unverstand mich auch mit tausend Albernheiten plagte, ich hatte stillzuhalten nur um ihretwillen. Der Neid stand Tag und Nacht vor mir mit seinen Argusaugen; die Mißgunst schlich mir nach auf allen Wegen, und wo ich mich zur Ruhe setzen wollte, saß schon die Scheelsucht da und jagte mich von dannen. Ich durfte nicht so sprechen, wie ich wollte, und was ich schrieb, das wurde von der Feindschaft falsch gedeutet. Ich habe viel verloren, was ich jetzt schwer beklage, doch daß ich zu dem allen auch sie verlor, nach der ich einst gestrebt mit einer Gier, die ich fast Sünde nenne, das ist mir ein Gewinn, der den Verlust mich gern ertragen läßt. Doch schweigen wir hiervon! Kommt jetzt herein zu mir!«

      Als wir in seine Stube traten, hörten wir durch die offenstehende Balkonthür den Hufschritt von Pferden. Die Gefangennahme des vierten Persers war also gelungen. Der Ustad stellte das Licht auf den Tisch und betrachtete den Brief.

      »Keine Adresse!« sagte er. »Nur die Zeichen, welche wir vorhin auf der Vorderseite des Alphabetes sahen. An wen ist dieses Schreiben gerichtet?«

      »An Ghulam el Multasim,« antwortete ich.

      »Woher weißt du das?«

      »Ich werde es dir erzählen.«

      Wir setzten uns nieder, und ich berichtete in möglichst kurzer Weise über unsere eigentümliche Bekanntschaft mit den Sillan, von unserer Begegnung auf dem Tigris an bis auf den Kaffeewirt in Basra. Hierauf sagte ich auch noch, wen ich hier bei den Dschamikun als zu dieser geheimen Gesellschaft gehörig entdeckt hatte. Die beiden Zuhörer folgten meiner Erzählung mit großer Aufmerksamkeit. Als ich geendet hatte, sah der Ustad eine Zeitlang sinnend vor sich nieder. Dann hob er den Kopf und sagte:

      »Effendi, weißt du, was du uns berichtet hast?«

      »Nun, was?«

      »Ereignisse aus einem Fabellande.«

      »Glaubst du, daß ich dichtete?«

      »O nein! Der Brief ist ja Beweis. Er liegt als ein Gegenstand, welcher unserer Körperwelt angehört, in meiner Hand. Du hast wirkliche Thatsachen erzählt, nichts hinzugefügt, sondern ganz im Gegenteile sehr viel weggelassen, wie ich vermute. Und doch sprach ich von einem Fabellande. Warum?«

      Er sann wieder eine Weile nach. Dann fuhr er fort:

      »Fabel und Märchen! Ich frage nicht, was andere Leute sich bei diesen Worten denken. Ich sage, was für Vorstellungen diese Begriffe in mir selbst erwecken. Was Gott den Klugen und Weisen verschweigt, weil sie es ihm nicht glauben, das läßt er den Kindern und Unmündigen erzählen, damit der widerstrebende Verstand von dem ungetrübten Glauben lernen möge. Es schweben zwischen Himmel und Erde Wahrheiten, denen der Zweifel des geräuschvollen


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