Im Reiche des silbernen Löwen IV. Karl May
Mensch ist ein Pferdejunge, aber doch kein Reiter! Rohes Anklammern, Jagen und Hetzen, aber keine Spur von wahrer Reiterkunst! Für solche Leute ist Pferd eben nichts als Pferd! Dann sprachen sie vom Ustad. Ich muß dir sagen, Effendi, was ich da hörte, hat mir fast wehe getan. Sie gaben vor, ihn zu lieben; sie lieben ihn wohl auch, jedoch in ihrer Weise. Beiden steht die Küche oder das Pferd des Ustad höher als er selbst. Sein Geist und seine Gedanken imponieren ihnen; von seiner Person aber sprachen sie in einer Weise, die mir nicht gefallen konnte. Das war Klatsch! Hierauf kam die Rede auf eine Person, welche Aschyk genannt wurde. Wer gemeint war, weiß ich nicht. Dieser Aschyk kommt regelmäßig nach vier Wochen, um Pekala hier bei dem Steine abzuholen. Nächsten Sonntag kommt er wieder, eine Stunde vor Mitternacht. Nun erwähnten sie eine große Empörung. Es soll Jemand abgesetzt werden; aber wer, das konnte ich nicht verstehen. Dann reitet Pekala auf dem herrlichsten Kamele in einer großen Stadt ein, und Tifl wird ein sehr berühmter Mann. Auch aus dem Ustad wird etwas Bedeutendes, doch was, das blieb mir verborgen. Den Mirza und den Bluträcher hassen beide, doch müsse man sich gegen sie verstellen, denn der Aschyk habe es gewünscht. Und hiermit bin ich bei der Hauptsache angelangt: Als Tifl die Perser bis über die Grenze zu bringen hatte, wurde er von Ahriman und Ghulam in die Mitte genommen und ausgefragt. Er fürchtete sich, sie mit ihren Fragen abzuweisen, und sagte ihnen darum alles, was sie wissen wollten. Als du ihn dann in das Verhör nahmst, getraute er sich nicht, es zu verschweigen, und belog dich, um die Schuld auf seine Begleiter zu schieben.«
»War Pekala damit einverstanden?«
»Ja. Sie lügen also beide! Das von der Empörung und der hierauf folgenden Erhebung und Beförderung war wohl nur Kindergeschwätz. Aber das Andere hat mich sehr bedenklich gemacht. Pekala hat mir von Isphahan erzählt, von ihrem Vater, von Tifl, wie er betrunken gewesen ist, vom Ustad, der sich ihrer angenommen hat, von seinem Tode und von seinem Grabe hier im Hause. Sie weinte dabei vor Rührung. Es kommen so schöne Stellen vor, auch Gedichte. Man wird da selbst gerührt und hält sie für ein frommes, liebes, seelensgutes Wesen. Aber sie hat das fast mit ganz denselben Worten und denselben Tränen auch meiner Mutter erzählt; sie erzählt es überhaupt Jedem, der sich von ihr festhalten läßt, sogar den Haddedihn, die mit uns gekommen sind. Dadurch wird ja das Heiligste entheiligt! Und wenn sie bei jeder Gelegenheit hinzufügt, daß die Männer alle noch erzogen werden müssen, so wird sie lächerlich. Vor allen Dingen aber hat mich Folgendes empört: Kaum haben Pekala und Tifl von den hohen Eigenschaften ihres Ustad gesprochen, so dichten sie ihm eine Menge ganz gewöhnlicher, sogar gemeiner Fehler an, die er gar nicht besitzt, sondern die sie nur von sich selbst auf ihn übertragen, weil sie alles, was sie an ihm nicht verstehen können, für Mängel halten wie die ihrigen. Und das tun sie in so niederträchtig vertraulicher Weise, als ob er sie für Engel halte, an denen er sich gern ein Vorbild nehme! Das ist teuflisch, doppelt teuflisch, weil es mit so freundlich lächelndem Munde und mit so warmer Rücksicht ausgesprochen wird. Ich habe es gehört; Jeder hat es gehört; Alle können es hören, die es hören wollen. Er allein, der vollständig Arglose, der stets und ganz Vertrauende, hat keine Ahnung von der Menge dieser giftigen Gedankenschlangen, die sich unablässig zu seinen Füßen ringeln, ohne daß er es bemerkt, weil er nie auf das Niedrige, auf das Gemeine achtet! Sihdi, was mag ihm das wohl schon geschadet haben! Wie gütig bist auch du zu dieser Pekala und diesem Tifl!
Ich aber halte sie für ein Gezücht, mit dem man keine Nachsicht üben sollte. Wer ist dieser Aschyk ? Ein Dschamiki wohl kaum. Sie verkehren mit ihm, und zwar heimlich, wie es scheint. Sie schildern auch ihm den Ustad gänzlich falsch. Er trägt es fort. Infolgedessen macht man sich da draußen im ganzen Lande über des Ustad sogenannte Fehler und Schwächen lustig, die aber nur in den schwachen Köpfen einer dicken Köchin und eines dünnen Pferdejungen existieren! Die Feinde sind wohl klug genug, das zu wissen. Sie lachen heimlich über die Türkin und ihr »Kind«. Oeffentlich aber tun sie, als ob sie es glauben, und verbreiten es aus allen Kräften weiter. Daher der freche Blick, den Ahriman Mirza für den Ustad hatte! Und daher auch die unverschämte Stirn des Multasim! Hätten diese Menschen sich wohl in der Weise, wie sie es taten, in den Duar und hinüber zum Tempel gewagt, wenn der Ruf des Ustad nicht schon fast vernichtet wäre? Sihdi, ich sage dir: Zwei solche Personen im eigenen Hause sind gefährlicher, weit gefährlicher als hundert offene Gegner, die keine Liebe heucheln! Ich habe noch nie, noch nie in dieser Weise zu dir gesprochen. Jetzt aber mußte ich es tun. Und warum? Verzeihe mir, daß ich es sage! Um einer Person willen, die euch mit ihrer Kerbelsuppe nur scheinbar erheitert, in Wirklichkeit aber regiert!«
Hierauf setzte er sich nieder. Wartete er, was ich nun sagen werde? Wenn ja, so ließ er es sich doch nicht merken. Er schaute über den See hinüber, wo soeben das Boot vom Ufer stieß. Es saßen zwei Männer darin. Der eine ruderte; der andere schien zu lesen.
»Das ist der Dschamiki, welcher den andern das Singen lehrt,« sagte Kara, als ob er unser Gespräch als abgebrochen betrachte.
»Und du bist der Haddedihn, der mich etwas anderes lehrt,« antwortete ich. »Ich habe geglaubt, mich nur auf meine eigenen Augen verlassen zu können. Darf ich von jetzt an auch die deinen mit zu Rate ziehen?«
Da sprang er schnell wieder auf, kam zu mir her, kniete neben mir nieder, griff nach meiner Hand und rief im Tone des Glückes, der innigsten Freude aus:
»Sihdi, ich danke dir! Weißt du, was du mir mit diesen deinen Worten schenkst?«
»Ich weiß es, Kara: dich selbst! Du warst bisher ein Glied; nun aber bist du Person, eine vollständige Person. Es wurde über dich bestimmt; nun sollst du selbst bestimmen. Sag, gibt es noch andere Leute hier, welche dir Mißtrauen eingeflößt haben?«
»Ja.«
»Wer?«
»Willst du Vermutungen hören?«
»Nein.«
»So laß mich erst noch prüfen, ehe ich Namen nenne. Ich kann wohl Verdacht hegen, aber ihn weiterverbreiten, ohne Beweise zu haben, das würde gewissenlos gehandelt sein. Das aber tut Kara Ben Halef nicht! Ueber Menschen also schweige ich noch, doch über Dinge kann ich sprechen. Ich muß dir etwas zeigen, was ich gefunden habe. Ich weiß nicht, ob es Edelsteine sind oder ob es Glas ist, aber es funkelt wie lauter Diamanten.«
Er zog aus der Innentasche seiner Weste eine schmale Blechkapsel und reichte sie mir, nachdem er sie geöffnet hatte. Sie enthielt eine Turbanagraffe mit rotem Pferdehaarbusch, welcher mittelst eines Charnieres umgelegt war, vor dem Gebrauche aber aufgeschlagen wurde. Der Halter bestand aus großen Facetten, welche die beiden Buchstaben Sa und Lam umschlossen, über denen das Verdoppelungszeichen stand. Die Facetten waren von Glas, doch gut geschliffen und brillant unterlegt, so daß sie bei künstlichem Lichte wahrscheinlich wie Diamanten funkelten. Diese Haaragraffen durften früher nur von sehr hochgestellten Personen an den Turbanen getragen werden. Der Schah schmückt bei festlichen Gelegenheiten seine Lammfellmütze noch heut in dieser Weise, natürlich aber mit echten Steinen. Die Imitation, welche ich jetzt in meinen Händen hielt, war ohne eigentlichen Wert, eine »Theateragraffe«, wie man bei uns sagen würde, für mich aber von einer Bedeutung, die mich veranlaßte, einen Ruf der Freude auszustoßen.
»Also Edelsteine?« fragte darum Kara.
»Nein. Es ist nur Glas, wertloses Glas; aber du hast trotzdem einen Fund gemacht, der wohl kaum mit Geld bezahlt werden könnte. Wie bist du zu dieser Agraffe gekommen, lieber Kara?«
»Es war auf dem Dschebel Adawa[22] – — —«
»Der liegt doch nicht hier, sondern schon im Gebiete der Takikurden!« fiel ich ein.
Taki heißt fromm. Die betreffenden Kurden führen diesen Namen, weil sie in Beziehung auf den Glauben sehr streng gegen Andere sind und mit großer Bestimmtheit behaupten, daß nur sie allein den Himmel erlangen werden. Jeder nicht ganz Gleichdenkende wird als verdammenswerter Ketzer betrachtet und mit unnachsichtlicher, herzloser Strenge verfolgt.
»Ja; ich bin aber dennoch oben gewesen,« antwortete er.
»Wann?«
»Heut.«
»Kennt schon Jemand diesen deinen Fund?«
»Nein; nur du allein.«
»So
22
Berg der Feindschaft.