Im Reiche des silbernen Löwen IV. Karl May
trifft schon morgen ein.«
»Das ist ja gar nichts so Schreckliches, sondern ganz im Gegenteil im höchsten Grade interessant!«
Da hob er warnend den Finger und sprach:
»Effendi, urteile nicht so schnell! Du bist hier fremd, bist sogar krank und kennst die Verhältnisse nicht! Der Scheik ul Islam ist ein sehr hochgestellter, wichtiger Mann, von dessen Macht du wohl noch keine Ahnung hast. Er würde selbst für den Ustad ein Gegner sein, vor dem die größte Vorsicht nötig ist. Darum trifft es sich keineswegs gut, daß unser Herr verreist ist. Ich bitte dich, es mir nicht übelzunehmen, daß ich dich warne! Der morgige Besuch kommt in einer Absicht, hinter der sich alle List versteckt, die uns verderben kann. Darum wollte ich, der Ustad wäre hier!«
»Auch ich wünsche das. Da er nun aber einmal abwesend ist, haben wir den Fall zu nehmen, wie er liegt. Auch er muß, wie alles, mehrseitig betrachtet werden.
Beklagst du es, daß der Scheik ul Islam von einem Fremden empfangen werden muß, so gewährt uns grad dieser Umstand doch auch den gar nicht zu unterschätzenden Vorteil, daß er sich von mir hinhalten lassen muß, er mag beabsichtigen, was er will. Während er den Ustad zu schnellen Entscheidungen verleiten könnte, deren Tragweite sich erst später herauszustellen hat, muß er es sich nun gefallen lassen, von mir vorsichtig ausgehorcht zu werden, ohne daß ich dann verpflichtet bin, auf irgend etwas einzugehen. Du siehst also wohl ein, daß ich, falls es sich um Feindseligkeiten handeln sollte, von den beiden Gegnern derjenige bin, welcher die Schutzrüstung trägt, der andere aber nicht!«
Er nickte zwar nur leise, ließ aber seine Augen forschend an mir niedergleiten, und sagte:
»Vorsichtig ausgehorcht zu werden! Effendi, dazu würde ein Mann gehören, wie ich noch keinen kenne!«
»So warte ruhig, ob du ihn wohl siehst!«
»Der Scheik ul Islam ist wegen seiner hohen geistlichen Würde unantastbar, und über seine persönliche Schlauheit kam noch nie ein Anderer. Dazu ist noch zu legen, daß er ein ganz besonderer Kenner aller unserer Gesetze und Verhältnisse ist, während du dich doch nur erst so kurze Zeit bei uns befindest!«
»Wenn ich nicht will oder nicht kann, so brauche ich weder auf seine Kenntnisse noch auf seine Schlauheit einzugehen. Vor allen Dingen bitte ich dich, unbesorgt zu sein und jedes Vorurteil abzulegen, mag es mich oder ihn betreffen. Ist der Bote deines Freundes noch hier?«
»Nein; er ist schon wieder fort. Die Vorsicht gebot ihm, sich so kurz wie möglich sehen zu lassen. Er macht einen Umweg zurück, um dem Scheik ul Islam ja nicht zu begegnen.«
»Wird dieser mit dem großen Gefolge kommen, welches bei so hohen Würdenträgern fast immer unvermeidlich ist?«
»Das weiß ich nicht. Auch konnte ich nicht erfahren, wie lange er zu bleiben beabsichtigt. Doch sind das ja nur Nebendinge. Die Hauptsache ist, daß ich unterrichtet bin, weshalb er kommt. Mein Freund hat es nämlich zu erfahren gewußt.«
»Ah! Also doch schon Einer, der ihm an Schlauheit über ist! Und du sagtest, daß es Keinen gebe! Das würde mich schon ganz bedeutend beruhigen, wenn ich mich überhaupt gefürchtet hätte. Sind die Ursachen dieses Besuches denn gar so schlimm für euch?«
»Das weiß ich nicht. Und grad diese Ungewißheit halte ich für gefährlich.«
»So sag: Kommt dieser mächtige Herr nur als Scheik ul Islam oder auch als Hekim-i-Schera[24]?«
Da sah er mich überrascht an und fragte:
»Du kennst die Trennung dieser seiner Würde! Woher kannst denn du das wissen?«
»Es gibt bei uns im Abendlande Leute, welche eure Gesetze und Verhältnisse wahrscheinlich besser kennen, als ihr selbst. Oder weißt du noch nicht, daß ihr euch gelehrte oder auch sonstwie gebildete Männer von uns kommen lassen müßt, wenn es einmal gilt, euch über euch selbst klug zu werden?«
»Das kann ich freilich nicht bestreiten, Effendi. Ob dein Gast nur als Geistlicher oder auch als Richter aufzutreten beabsichtigt, das ist mir unbekannt. Er will dem Ustad einen Antrag stellen, welcher im höchsten Grade verführerisch klingt. Aber wenn man mir so ganz ohne alle sichtbare Veranlassung mit so großen Geschenken kommt, dann wird es mir heimlich angst, weil ich sofort an eine noch viel größere Gegenforderung denke. Der Ustad soll nämlich auch zum Ustad der Takikurden erhoben werden.«
»So! Weiter nichts?« fragte ich lächelnd.
»Weiter nichts!« antwortete er erstaunt. »Ich bitte dich, zu begreifen, was das heißt! Welch eine Machtvergrößerung für uns!«
»Machtverkleinerung, willst du sagen! Wenn du irgendwelche Sorge gehabt hast, so wirf sie getrost von dir! Dieser Scheik ul Islam ist schon jetzt durchschaut. Es fällt dem Ustad nicht mit einem einzigen Gedanken ein, die Seelen seiner Dschamikun für eine hohle Ehre zu verkaufen! Ein einziger braver Dschamiki ist ihm tausendmal lieber als alle Takikurden, deren sämtliche Höflichkeiten doch nur den Zweck hätten, ihn betrunken zu machen, damit er sich zu ihrem willenlosen und verächtlichen Werkzeuge erniedrige! Er wird sich nie in fremde Dienste stellen. Er ist sein eigener Herr und wird es bleiben, ohne nach den tauben Nüssen zu fragen, die man ihm mit so vielverheißender Höflichkeit entgegenträgt.«
Da richtete er sich halb auf und fragte in erwartungsvollem Tone:
»Aber man wird sich rächen! Unnachsichtlich und auf jede mögliche Art und Weise rächen! Hast du hieran gedacht?«
»Natürlich! Die Rache ist dann unvermeidlich. Sie liegt im Wesen dieser Art von Menschen. Doch möge sie nur kommen! Ich habe noch keine Rache gesehen, die sich nicht schließlich selbst vernichtet hat!«
»So bist du also entschlossen, dich von dem Scheik ul Islam nicht verlocken zu lassen?«
»Selbstverständlich! Fest entschlossen! Ich werde ihn genau so höflich behandeln wie er mich. Und er mag greifen, zu welchem Mittel er will, so wird er doch nur erreichen, was mir beliebt!«
Jetzt sprang er vollends auf, richtete sich in die Höhe und rief mit dem Ausdrucke der Erleichterung und der Ueberzeugung aus:
»Da kann ich nun freilich ruhig sein! Effendi, Effendi, ich kam in großer Sorge hierher; du aber hast mir das Herz wieder leicht gemacht! Ich kenne die Macht, welche morgen an dich herantreten wird. Sie schmückt sich mit dem Namen Gottes und des Schah-in-Schah. Sie stellt sich auf die Seite des Bestehens und Erhaltens und hat also das Gesetz für sich. Sie kommt im schimmernden Gewande oder im Bettlerkleide und schmeichelt also den Sinnen und der Menschlichkeit. Sie hofft alles Gute und verzeiht alles Böse. Sie ist geduldig freundlich, demütig, der Inbegriff aller Tugenden in menschlicher Gestalt! Aber, kennst du sie, Effendi?«
»Ja.«
»So ist es genug! Sie wird morgen aus Chorremabad bei dir erscheinen. Sie wird dir schmeicheln, dich absondern, dich – — —«
»Nein, das wird sie nicht,« fiel ich ein. »Daß sie das könne, mache ich ihr gar nicht weis. Ich werde nicht allein sein, wenn ich den Scheik ul Islam empfange.«
»Wohl der Pedehr wird bei dir sein, weil er der Scheik des Stammes ist?«
»Ja; er und du.«
»Auch ich?« fragte er in schnell aufquellender Freude. »Warum auch ich?«
»Ich will es so. Das sei dir genug.«
Da trat er einen Schritt näher zu mir heran und sprach:
»Effendi, damit ehrst du nicht nur mich, sondern Viele! Ich weiß nicht, ob man es dir schon gesagt hat: Ich lehre nicht nur den Gesang, sondern alles, was dem Geiste und dem Körper an. Können nötig ist, auch Turnen, Reiten, Schießen, Exerzieren. Ich habe diesen Unterricht gegründet, als mich der Ustad dazu auserwählte, und dann Gehilfen angestellt, als die Zahl der Schüler sich vermehrte. Wir wirken still, ohne Lärm. Ein guter Lehrer lenkt die Aufmerksamkeit auf seinen Gegenstand, doch nicht auf sich. Darum hast du wohl noch wenig oder nichts von uns gehört. Wer mit dem prahlt, was er lernte, der hat nichts
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Richter des geschriebenen Gesetzes.