Ein Kampf um Rom. Felix Dahn
klammerte sich fest an seinen Arm. Der Ton, die Worte durchschnitten sein Herz.
Er riß sich los, er sah nach Rettung ringsumher, umsonst, umsonst immer höher stieg das Wasser, immer rascher sank das Schiff. Er warf das Ruder weg. »Es ist aus, alles aus, Geliebte. Laß uns Abschied nehmen.« — »Nein! Nicht mehr scheiden! Muß es gestorben sein: — o dann hinweg alle Scheu, welche die Lebendigen bindet« — und glühend drückte sie das Haupt an seine Brust — »o laß dir sagen, laß dir noch gestehen, wie ich dich liebe, wie lange schon, seit — seit immer. All mein Haß war ja nur verschämte Liebe. Gott, ich liebte dich schon, da ich wähnte, ich müsse dich verabscheuen. Ja, du sollst wissen, wie ich dich liebe.« Und sie bedeckte ihm Augen und Wangen mit eiligen Küssen. »Oh, jetzt will ich auch sterben — lieber sterben mit dir als leben ohne dich. Aber nein« und sie riß sich von ihm los — »du sollst nicht sterben — laß mich hier, springe, schwimme, versuch’s, du allein erreichst die Insel wohl — versuch’s und laß mich.«
»Nein«, rief er selig, »lieber sterben mit dir als leben ohne dich. Nach so langem, langem Sehnen endlich Erfüllung! Wir gehören einander auf ewig von dieser Stunde. Komm, Kamilla, Geliebte, laß uns hinab.«
Schauer der Liebe und des Todes rieselten durcheinander. Er zog sie an sich, umschlang sie mit dem linken Arm und stieg mit ihr auf den kaum noch handbreit über’s Wasser ragenden Steuergransen: schon schickte er sich zum jähen Sprunge an — da entrang sich beiden ein froher Schrei der Hoffnung.
Blitzschnell bog vor ihren Augen um die schmale Landspitze, die unfern von ihnen ins Meer ragte, ein Schiff mit vollen Segeln, das gerade auf sie loseilte.
Das Schiff vernahm ihren Schrei, es erkannte jedenfalls die Lage des sinkenden Kahns, vielleicht die Person des Königs: vierzig Ruder, aus zwei Stockwerken von Ruderbänken zugleich in die Flut getaucht, beförderten den Flug des raschen Fahrzeugs, das brausend vor ganzem Wind mit allen Segeln daherschoß. Die Leute auf dem Deck riefen ihnen zu, auszuharren, und bald — es war die höchste Zeit — lag der Bauch der Bireme neben der Gondel, die augenblicklich versank, nachdem das Paar durch die Lukenpforte des untern Ruderstockwerks an Bord gerettet war. Es war ein kleines gotisches Wachtschiff, der goldene, steigende Löwe, das Wappen der Amalungen, glänzte auf der blauen Flagge: Aligern, ein Vetter Tejas, befehligte es.
»Dank euch, wackre Freunde«, sprach Athalarich, da er wieder Worte gefunden. »Dank! Ihr habt nicht euren König nur, ihr habt eure Königin gerettet.«
Staunend sammelten sich Krieger und Matrosen um den Glücklichen, der die laut weinende Kamilla in seinen Armen hielt. »Heil unsrer schönen jungen Königin!« jauchzte der rotblonde Aligern, und die Mannschaft jubelte donnernd nach: »Heil, Heil unsrer Königin!« In diesem Augenblick rauschte der Segler an dem Kahn Rusticianens vorbei: der Schall dieses Jubelrufs weckte die Unselige aus der Erstarrung von Entsetzen und Betäubung, die sie ergriffen, da die beiden erschrocknen Rudersklaven die Gefahr des jungen Paares auf dem sinkenden Boot entdeckt und zugleich erklärt hatten, es sei ihnen unmöglich, sie rechtzeitig aus den Wellen zu retten. Da war sie besinnungslos Daphnidion in die Arme gefallen.
Jetzt erwachte sie und warf einen irren Blick umher. Sie staunte: war es ein Traumbild, was sie sah? oder war es wirklich ihre Tochter, die dort auf dem Deck des Gotenschiffs, das stolz an ihr vorüberrauschte, an der Brust des jungen Königs lag? Und jauchzten wirklich dazu jubelnde Stimmen: »Heil, Kamilla, unsrer Königin?«
Sie starrte auf die vorübergleitende Erscheinung, sprachlos, lautlos. Aber das rasch fliegende Segelschiff war schon an ihrem Kahn vorüber und dem Lande nah. Es ankerte außerhalb der seichten Gartenbucht, eine Barke ward herabgelassen, das gerettete Paar, Aligern und drei Matrosen sprangen hinein, und bald stiegen sie die Stufen der Hafentreppe hinan, wo außer Cethegus und seiner Begleitung, eine Menge von Leuten sich versammelt hatte, die vom Palast oder vom Garten aus mit Schrecken die Gefahr des kleinen Schiffes wahrgenommen und jetzt herbeieilten, die Geretteten zu begrüßen. Unter Glückwünschen und Segensrufen stieg Athalarich die Stufen hinan.
»Seht hier«, sprach er, vor dem Tempel angelangt, »sehet, Goten und Römer, eure Königin, meine Braut. Uns hat der Gott des Todes zusammengeführt, nicht wahr, Kamilla?« Sie sah zu ihm auf, aber heftig erschrak sie: die Aufregung und der jähe Wechsel von Schrecken und Freude hatten den kaum Genesenen übermächtig erschüttert: sein Antlitz war marmorblaß, er wankte und griff wie Luft schöpfend krampfhaft an seine Brust.
»Um Gott«, rief Kamilla, einen Anfall des alten Leidens fürchtend, »dem König ist nicht wohl. Rasch den Wein, die Arznei!« Sie flog an den Tisch, ergriff den Silberbecher, der bereit stand, und drängte ihn in seine Hand.
Cethegus stand dicht dabei und folgte mit scharfem Blick jeder seiner Bewegungen.
Schon setzte er den Becher an die Lippen, aber plötzlich ließ er ihn nochmals sinken, er lächelte: »Du mußt mir zutrinken, wie’s der gotischen Königin ziemt an ihrem Hof«, und er reichte ihr den Pokal: sie nahm ihn aus seiner Hand.
Einen Augenblick durchzuckte es den Präfekten siedend heiß. Er wollte hinzustürzen, ihr den Trank aus der Hand reißen, ihn verschütten.
Aber er hielt sich zurück. Tat er’s, so war er unrettbar verloren. Nicht nur morgen als Hochverräter, nein, sofort als Giftmörder angeklagt und überführt.
Verloren mit ihm seine ganze Ideenwelt, die Zukunft Roms. Und um wen? — Um ein verliebtes Mädchen, das treulos zu seinem Todfeind abgefallen. — Nein, sagte er kalt zu sich, die Faust zusammendrückend, sie oder Rom:— also sie! Und ruhig sah er zu, wie das Mädchen, hold errötend, einen leichten Trunk aus dem Becher nahm, den der König darauf tief schlürfend bis zum Grund leerte. Er zuckte zusammen, da er ihn auf den Marmortisch niedersetzte, »Kommt hinauf ins Palatium«, sprach er fröstelnd, den Mantel über die linke Schulter schlagend, »mich friert.« Und er wandte sich.
Da traf sein Blick auf Cethegus: er stand einen Augenblick still und sah dem Präfekten eindringend ins Auge.
»Du hier?« sagte er finster und trat einen Schritt auf ihn zu: da zuckte er nochmal und stürzte mit einem jähen Schrei neben der Quelle aufs Antlitz nieder
»Athalarich!« rief Kamilla und warf sich taumelnd über ihn. Der alte Corbulo sprang aus der Schar der Diener zuerst hinzu: »Hilfe«, rief er, »sie stirbt — der König!«
»Wasser! Rasch Wasser!« sprach Cethegus laut. Und entschlossen trat er an den Tisch, ergriff den Silberbecher, bückte sich, spülte ihn schnell, aber gründlich in der Quelle und neigte sich über den König, der in Cassiodors Armen lag, indes Corbulo das Haupt Kamillens auf seine Knie legte.
Ratlos, entsetzt umstanden die Hofleute die beiden scheinbar leblosen Gestalten.
»Was ist geschehen? Mein Kind!« mit diesem Schrei drängte sich Rusticiana, die soeben gelandet, an der Tochter Seite. »Kamilla!« rief sie verzweifelt, »was ist mit dir?«
»Nichts!« sagte Cethegus ruhig, sich prüfend über die beiden beugend. »Es ist nur eine Ohnmacht. Aber den jungen König hat sein Herzkrampf hingerafft. Er ist tot.«
DRITTES BUCH: AMALASWINTHA
»Amalaswintha verzagte nicht nach Frauenart,
sondern kräftig wahrte sie ihr Königtum.«
ERSTES KAPITEL
Wie ein Donnerschlag aus heitrem Himmel traf Athalarichs plötzliches Ende die gotische Partei, die an diesem nämlichen Tage ihre Hoffnungen so hoch gespannt hatte. Alle Maßregeln, die der König in ihrem Sinne angeordnet, waren gelähmt, die Goten plötzlich wieder ohne Vertretung in dem Staat, an dessen Spitze jetzt die Regentin ganz allein gestellt war.
Am frühen Morgen des nächsten Tages stellte sich Cassiodor bei dem Präfekten ein. Er fand diesen in ruhigem, festem Schlaf.
»Und du kannst ruhig schlafen, ruhig wie ein Kind, nach einem solchen Schlag!« — »Ich schlief«, sagte Cethegus, sich auf den linken Arm aufrichtend, »im Gefühle neuer