Ein Kampf um Rom. Felix Dahn
Sicherheit blieb. Sie konnte ja nicht daran zweifeln, daß er sie liebe, nach allem, was geschehen — aber doch!
Nicht eine Silbe, nicht ein Blick verriet diese Liebe, jene Äußerung, mit der er sie damals am Venustempel rasch verlassen, war das bedeutsamste, ja das einzige bedeutsam Wort, das ihm entschlüpfte.
Sie ahnte nicht, was die hochwogende Seele des Jünglings durchgekämpft und durchgelitten, bis seine Liebe zwar nicht erlosch, aber entsagte, und noch weniger, in welch neuem Gefühl er die männliche Kraft solcher Entsagung gefunden. Ihre Mutter, die ihn mit aller Schärfe des Hasses beobachtete und darüber das eigne Kind zu überwachen vergaß, schien noch mehr erstaunt über seine Kälte. »Aber Geduld«, sprach sie zu Cethegus, mit dem sie oft hinter Kamillas Rücken Beratung pflog. »Geduld, bald, binnen drei Tagen, wirst du ihn verwandelt sehen.« — »Es wäre Zeit«, meinte Cethegus; »aber auf was vertraust du?« — »Auf ein Mittel, das noch nie getäuscht hat.«
»Du wirst ihm doch kein Liebestränklein brauen?« lächelte der Präfekt. — »Allerdings, das werd’ ich tun; das hab’ ich schon getan.« — Jener sah sie spöttisch an: »Auch bei dir solcher Aberglaube, bei der Witwe des großen Philosophen Boëthius! In Liebeswahn sind alle Weiber gleich!«
»Nicht Wahn und Aberglaube«, sagte Rusticiana ruhig. »Seit mehr als hundert Jahren lebt das Geheimnis in unsrer Familie. Ein ägyptisch Weib hat es dereinst am Nil meine Ureltermutter gelehrt. Und es hat sich bewährt. Kein Weib unseres Hauses hat ohne Erhörung geliebt.« — »Dazu braucht’s keinen Zauber«, meinte der Präfekt: »ihr seid ein schönes Geschlecht.« — »Spare deinen Spott. Der Trank wirkt unfehlbar, und wenn er bis heute nicht wirkte —« — »So hast du wirklich — Unvorsichtige! Wie konntest du unvermerkt?« — »Am Abend, wann er vom Spaziergang oder von der Gondelfahrt mit uns zurückkommt, nimmt er einen Becher gewürzten Falerners. Der Arzt hat es ihm verordnet: es sind Tropfen arabischen Balsams darin. Der Becher steht immer bereit auf dem Marmortisch vor dem Venustempel. Dreimal schon gelang es, den Trank hineinzuschütten.« — »Nun«, meinte Cethegus, »es hat bis jetzt nicht sonderlich gewirkt.« — »Daran ist nur deine Ungeduld die Ursache. Die Kräuter müssen im Neumond gebrochen werden — ich wußte das wohl. Aber, gedrängt von deinen Mahnungen, versucht’ ich’s schon im Vollmond, und du siehst, es wirkte nicht.« — Cethegus zuckte die Achseln. — »Aber gestern nacht trat Neumond ein. Ich war nicht müßig mit meiner goldnen Schere, und wenn er jetzt trinkt —« — »Eine zweite Locusta! Nun, mein Trost sind Kamillas schöne Augen. Weiß sie von deinen Künsten?«
»Kein Wort zu ihr! Sie würde das nie dulden. Stille, sie kommt.« Das Mädchen trat ein in lebhafter Erregung, die lieblichen Wangen gerötet, eine Flechte des dunklen Haares war losgegangen und spielte um den feinen Nacken.
»Saget mir, ihr, die ihr klug seid und menschenerfahren, sagt mir, was soll ich denken? Ich komme aus dem Schiff. Oh, er hat mich nie geliebt, der Hochmütige, er bemitleidet, er bedauert mich! Nein, das ist nicht das rechte Wort. Ich kann es mir nicht deuten.« Und in Tränen ausbrechend, barg sie das Haupt am Halse der Mutter. — »Was ist geschehen, Kamilla?« fragte Cethegus. — »Schon oft«, begann sie tiefaufatmend, »spielte ein Zug um seinen Mund, sprach eine Wehmut aus seinem Auge, als sei er der tief von mir Gekränkte, als habe er uns edel zu vergeben, als habe er mir ein großes Opfer gebracht —« — »Unreife Knaben bilden sich immer ein, es sei ein Opfer, wenn sie lieben.« Da blitzte Kamillas Auge, sie warf den schönen Kopf zurück und wandte sich heftig gegen Cethegus: »Athalarich ist kein Knabe mehr, und man soll ihn nicht verhöhnen.« Cethegus schwieg, ruhig die Augen senkend. Aber Rusticiana fragte erstaunt: »Hassest du den König nicht mehr?« — »Bis zum Tode. Man soll ihn verderben, nicht verhöhnen.«
»Was ist geschehen?« wiederholte Cethegus. — »Heute stand jener rätselhafte, kalte, stolze Zug deutlicher als je auf seinem Antlitz. Ein Zufall äußerte ihn in Worten. Wir waren eben gelandet. Ein Käfer war ins Wasser gefallen: der König bückte sich und zog ihn heraus: das Tierchen aber wehrte sich gegen die mildtätige Hand und biß mit den Zangen des Kopfes in den Finger, der ihn hielt. ‘Der Undankbare’, sagte ich. — ‘Oh’, sprach Athalarich, bitter lächelnd, und er setzte den Käfer auf ein Blatt: ‘man verwundet die am meisten, die am meisten für uns getan.’ Und dabei flog sein Blick mit stolzer Wehmut über mich dahin. Doch rasch, als ob er zuviel gesagt, schritt er kalt grüßend hinweg. Ich aber« und ihre Brust wogte, ihre feingeschnittenen Lippen schlossen sich — »ich aber trage das nicht mehr. Der Stolze! Er soll mich lieben — oder sterben.« — »Das soll er«, sagte Cethegus kaum hörbar, »eins von beiden.«
NEUNTES KAPITEL
Wenige Tage darauf wurde der Hof durch einen neuen Schritt des jungen Königs zur Selbständigkeit überrascht: er selbst berief den Rat der Regentschaft, ein Recht, das bisher nur Amalaswintha geübt. Die Regentin war nicht wenig erstaunt, als ein Bote ihres Sohnes sie in dessen Gemächer beschied, wo der König bereits eine Auswahl der höchsten Beamten des Reiches um sich versammelt habe, Goten und Römer, unter diesen Cassiodor und Cethegus.
Dieser hatte zuerst beschlossen, auszubleiben, um nicht durch sein Erscheinen das Recht anzuerkennen, das sich der Knabe herausnahm: ihm ahnte nichts Gutes. Aber eben deshalb besann er sich bald eines andern. »Ich darf der Gefahr nicht den Rücken, die Stirn muß ich ihr bieten«, sprach er, als er sich zu dem verhaßten Gang anschickte. Er fand in dem Gemach des Königs alle Geladenen bereits versammelt. Nur die Regentin fehlte noch. Als sie eintrat, erhob sich Athalarich — er trug eine langfaltige Abolla von Purpur, die Zackenkrone Theoderichs glänzte auf seinem Haupt, und unter dem Mantel klirrte das Schwert — von seinem Thronsessel, der vor einer durch einen Vorhang geschlossenen Nische stand, ging ihr entgegen und führte sie zu einem zweiten höheren Stuhl, der aber zur Linken stand. Als sie sich niedergelassen, hob er an: »Meine königliche Mutter, tapfre Goten, edle Römer! Wir haben euch hierher beschieden, euch unsern Willen kundzutun. Es drohten diesem Reiche Gefahren, die nur wir, der König dieses Reiches, abwenden konnten.«
Solche Sprache hatte man aus diesem Munde noch nicht vernommen. Alle schwiegen betroffen, Cethegus aus Klugheit: er wollte den rechten Augenblick abwarten. Endlich begann Cassiodor: »Deine weise Mutter und dein getreuer Diener Cassiodor« — — »Mein getreuer Diener Cassiodor schweigt, bis sein Herr und König ihn um Rat befragt. Wir sind schlecht zufrieden, sehr schlecht, mit dem, was die Räte unsrer königlichen Mutter bisher getan und nicht getan haben. Es ist höchste Zeit, daß wir selbst zum Rechten sehn.
Wir waren dazu bisher zu jung und zu krank. Wir fühlen uns nicht mehr zu jung und nicht mehr zu krank. Wir künden euch an, daß wir demnächst die Regentschaft aufheben und die Zügel dieses Reiches selbst ergreifen werden.«
Er hielt inne. Alles schwieg. Niemand hatte Lust, nach Cassiodors Beispiel zu reden und dann zu verstummen.
Endlich fand Amalaswintha, die diese plötzliche Energie ihres Sohnes gleichsam betäubt hatte, die Sprache wieder: »Mein Sohn, dies Alter der Mündigkeit ist nach den Gesetzen der Kaiser« — — »Nach den Gesetzen der Kaiser, Mutter, mögen die Römer sich richten. Wir sind Goten und leben nach gotischem Recht. Germanische Jünglinge werden mündig, wann sie das gesammelte Volksheer waffenreif erklärt.
Wir haben deshalb beschlossen, alle Heerführer und Grafen und alle freien Männer unsres Volkes, so viele ihrer dem Rufe folgen wollen, aus allen Provinzen des Reiches zur Heeresschau zu laden nach Ravenna. Mit dem nächsten Sonnwendfest sollen sie eintreffen.«
Überrascht schwieg die Versammlung.
»Das sind nur noch vierzehn Tage«, sprach endlich Cassiodor. »Wird es möglich sein, in so kurzer Frist noch die Ladungen zu besorgen?« — »Sie sind besorgt. Hildebrand, mein alter Waffenmeister, und Graf Witichis haben sie alle bestellt.« — »Wer hat die Dekrete unterschrieben«? fragte Amalaswintha, sich ermannend. »Ich allein, liebe Mutter. Ich mußte doch den Geladenen zeigen, daß ich reif genug, allein zu handeln.«
»Und ohne mein Wissen!« sprach die Regentin. — »Und ohne dein Wissen geschah es, weil es sonst gegen deinen Willen geschehen mußte.«
Er schwieg. Alle Römer waren ratlos und wie betäubt von der plötzlich entfalteten