Ein Kampf um Rom. Felix Dahn
trat der Mann in die Mitte, der bisher immer geschwiegen und nur mit kühler Überlegenheit die Sprechenden gemustert hatte. Er war groß und hager, aber kräftig, von breiter Brust und seine Muskeln von eitel Stahl. Ein Purpursaum an der Toga und zierliche Sandalen verrieten Reichtum, Rang, und Geschmack, aber sonst verhüllte ein langer, brauner Soldatenmantel die ganze Unterkleidung der Gestalt. Sein Kopf war von denen, die man, einmal gesehen, nie mehr vergißt.
Das dichte, noch glänzend schwarze Haar war nach Römerart kurz und rund um die gewölbte, etwas zu große Stirn und die edel geformte Schläfe geschoren, tief unter den fein geschweiften Brauen waren die schmalen Augen geborgen, in deren unbestimmtem Dunkelgrau ein ganzes Meer versunkener Leidenschaften, aber noch bestimmter der Ausdruck kältester Selbstbeherrschung lag. Um die scharf geschnittenen, bartlosen Lippen spielte ein Zug stolzer Verachtung gegen Gott und seine ganze Welt. Wie er vortrat und mit ruhiger Vornehmheit den Blick über die Erregten streifen ließ, wie seine nicht einschmeichelnde, aber beherrschende Redeweise anhob, empfand jeder in der Versammlung den Eindruck bewußter Überlegenheit, und wenige Menschen mochten diese Nähe ohne das Gefühl der Unterordnung tragen.
»Was hadert ihr«, sagte er kalt, »über Dinge, die geschehen müssen? Wer den Zweck will, muß die Mittel wollen. Ihr wollt nicht vergeben? Immerhin! Daran liegt nichts. Aber vergessen müßt ihr. Und das könnt ihr. Auch ich war ein Freund der Verstorbenen, vielleicht ihr nächster. Und doch — ich will vergessen. Ich tu’ es, eben weil ich ihr Freund war. Der liebt sie, Scävola, der allein, der sie rächt. Um der Rache willen Albinus, deine Hand.« — Alle schwiegen, bewältigt mehr von der Persönlichkeit als von den Gründen des Redners. Nur der Jurist bemerkte noch:
»Rusticiana, des Boëthius Witwe und des Symmachus Tochter, die einflußreiche Frau, ist unserm Bunde hold. Wird sie das bleiben, wenn dieser eintritt? Kann sie je vergeben und vergessen? Niemals!«
»Sie kann es. Glaubt nicht mir, glaubt euren Augen.« Mit diesen Worten wandte sich rasch Cethegus und schritt in einen der Seitengänge, dessen Mündung bisher sein Rücken verdeckt hatte. — Hart am Eingang stand lauschend eine verschleierte Gestalt: er ergriff ihre Hand: »Komm«, flüsterte er, »jetzt komm.« — »Ich kann nicht! Ich will nicht!« war die leise Antwort der Widerstrebenden. »Ich verfluche ihn. Ich kann ihn nicht sehen, den Elenden!« — »Es muß sein. Komm, du kannst und du willst es: denn ich will es.« Er schlug ihren Schleier zurück: noch ein Blick, und sie folgte wie willenlos.
Sie bogen um die Ecke des Eingangs: »Rusticiana!« riefen alle. — »Ein Weib in unserer Versammlung!« spräch der Jurist. »Das ist gegen die Satzungen, die Gesetze.«
»Ja, Scävola, aber die Gesetze sind um des Bundes willen, nicht der Bund um der Gesetze willen. Und geglaubt hättet ihr mir nie, was ihr hier sehet mit Augen.«
Er legte die Hand der Witwe in die zitternde Rechte des Albinus.
»Seht, Rusticiana verzeiht: wer will jetzt noch widerstreben?« — Überwunden und überwältigt verstummten alle. Für Cethegus schien das Weitere jedes Interesse verloren zu haben. Er trat mit der Frau an die Wand im Hintergrund zurück. Der Priester aber sprach: »Albinus ist Glied des Bundes.« — »Und sein Eid, den er dem Tyrannen geschworen?« fragte schüchtern Scävola. — »War erzwungen und ist ihm gelöst von der heiligen Kirche. Aber nun ist es Zeit, zu scheiden. Nur noch die eilendsten Geschäfte, die neuesten Botschaften. Hier, Licinius, der Festungsplan von Neapolis: du mußt ihn bis morgen nachgezeichnet haben, er geht an Belisar. Hier, Scävola, Briefe aus Byzanz, von Theodora, der frommen Gattin Justinians: du mußt sie beantworten. Da, Calpurnius, eine Anweisung auf eine halbe Million Solidi von Albinus: du sendest sie an den fränkischen Majordomus, er wirkt bei seinem König gegen die Goten. Hier, Pomponius, eine Liste der Patrioten in Dalmatien: du kennst die Dinge dort und die Menschen: sieh zu, ob bedeutende Namen fehlen. Euch allen aber sei gesagt, daß, nach heute erhaltenen Briefen von Ravenna, die Hand des Herrn schwer auf dem Tyrannen liegt; tiefe Schwermut, zu späte Reue über all seine Sünden soll seine Seele niederdrücken, und der Trost der wahren Kirche bleibt ihm fern. Harret aus noch eine kleine Weile, bald wird ihn die zornige Stimme des Richters abrufen: dann kommt der Tag der Freiheit. An den nächsten Iden, zur selben Stunde, treffen wir uns wieder. Der Segen des Herrn sei mit euch.« Eine Handbewegung des Diakons verabschiedete die Versammelten: die jungen Priester traten mit den Fackeln aus den Seitengängen und geleiteten die einzelnen in verschiedenen Richtungen nach den nur ihnen bekannten Ausgängen der Katakomben.
VIERTES KAPITEL
Silverius, Cethegus und Rusticiana stiegen miteinander die Stufen hinauf, welche in die Krypta der Basilika des heiligen Sebastian führten. Von da gingen sie durch die Kirche in das unmittelbar darangebaute Haus des Diakonus. Dort angelangt, überzeugte sich dieser, daß alle Hausgenossen schliefen bis auf einen alten Sklaven, der im Atrium bei einer halb herabgebrannten Ampel wachte. Auf den Wink seines Herrn zündete er die neben ihm stehende silberfüßige Lampe an und drückte auf eine Fuge im Marmorgetäfel. Die Marmorplatten drehten sich um ihre Achse und ließen den Priester, der die Leuchte ergiffen, mit den beiden andern in ein kleines, niederes Gemach treten, dessen Öffnung sich hinter ihnen rasch und geräuschlos wieder schloß. Keine Ritze verriet nun wieder, daß hier eine Tür.
Der kleine Raum, jetzt mit einem hohen Kreuz aus Holz, einem Betschemel und einigen christlichen Symbolen auf Goldgrund einfach ausgestattet, hatte in heidnischen Tagen offenbar, wie die an den Wänden hinlaufenden Polstersimse bezeugten, dem Zweck jener kleinen Gelage von zwei oder drei Gästen gedient, deren zwanglose Gemütlichkeit Horatius feiert. Zur Zeit war hier das Asyl für die geheimsten geistlichen — oder weltlichen — Gedanken des Diakonus. Schweigend setzte sich Cethegus, auf ein gegenüber in die Wand eingelegtes Mosaikgemälde den flüchtigen Blick des verwöhnten Kunstkenners werfend, auf den niederen Lectus. Während der Priester beschäftigt war, aus einem Mischkrug mit hochgeschweiften Henkeln Wein in die bereitstehenden Becher zu gießen und eine eherne Schale mit Früchten auf den dreifüßigen Bronzetisch zu stellen, stand Rusticiana Cethegus gegenüber, ihn mit unwillig staunenden Blicken messend. Kaum vierzig Jahre alt, zeigte das Weib Spuren einer seltenen, etwas männlichen Schönheit, die weniger durch das Alter als durch heftige Leidenschaften gelitten hatte; schon war hier und da nicht graues, sondern weißes Haar in ihre rabenschwarzen Flechten gemischt, das Auge hatte einen unsteten Blick, und starke Falten zogen sich gegen die immer bewegten Mundwinkel. Sie stützte die Linke auf den Erztisch und strich mit der Rechten wie nachsinnend über die Stirn, dabei fortwährend Cethegus anstarrend. Endlich sprach sie: »Mensch, sage, sage, Mann, welche Gewalt du über mich hast? Ich liebe dich nicht mehr. Ich sollte dich hassen. Ich hasse dich auch. Und doch muß ich dir folgen willenlos. Wie der Vogel dem Auge der Schlange. Und du legst meine Hand, diese Hand, in die Hand jenes Schurken. Sage, du Frevler, welches ist diese Macht?«
Cethegus schwieg unaufmerksam. Endlich sagte er, sich zurücklehnend: »Gewohnheit, Rusticiana, Gewohnheit.«
»Jawohl, Gewohnheit! Gewohnheit einer Sklaverei, die besteht, seit ich denken kann. Daß ich als Mädchen den schönen Nachbarssohn bewunderte, war natürlich; daß ich glaubte, du liebtest mich, war verzeihlich: du küßtest mich ja. Und wer konnte — damals! — wissen, daß du nicht lieben kannst. Nichts: kaum dich selbst. Daß die Gattin des Boëthius diese wahnsinnige Liebe nicht erstickte, die du wie spielend wieder anfachtest, war eine Sünde, aber Gott und die Kirche haben sie mir verziehen. Doch, daß ich jetzt noch, nachdem ich jahrzehntelang deine herzlose Tücke kenne, nachdem die Glut der Leidenschaft erloschen in diesen Adern, daß ich jetzt noch blindlings deinem dämonischen Willen folgen muß — das ist eine Torheit zum Lautauflachen.«
Und sie lachte hell und fuhr mit der Rechten über die Stirn. Der Priester hielt in seiner wirtlichen Beschäftigung inne und sah verstohlen auf Cethegus; er war gespannt. Cethegus lehnte das Haupt rückwärts an den Marmorsims und umfaßte mit der Rechten den Pokal, der vor ihm stand:
»Du bist ungerecht, Rusticiana«, sagte er ruhig. »Und unklar. Du mischest die Spiele des Eros in die Werke der Eris und der Erinnyen. Du weißt es, daß ich der Freund des Boëthius war. Obwohl ich sein Weib küßte. Vielleicht ebendeshalb. Ich sehe darin nichts Besonderes, und du — nun, dir haben es ja Silverius und die Heiligen vergeben. Du weißt ferner, daß ich diese Goten