Ein Kampf um Rom. Felix Dahn

Ein Kampf um Rom - Felix  Dahn


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KAPITEL

      Atembeklemmend lag bange Stimmung schwer und schwül über dem Königspalast zu Ravenna mit seiner düstern Pracht, mit seiner unwirtlichen Weiträumigkeit.

      Die alte Burg der Cäsaren hatte im Lauf der Jahrhunderte schon so manche stilwidrige Veränderung erfahren. Und seit an die Stelle der Imperatoren der Gotenkönig mit seinem germanischen Hofgesinde getreten war, hatte sie vollends ein wenig harmonisches Aussehen angenommen. Denn viele Räume, die eigentümlichen Sitten des römischen Lebens gedient hatten, standen mit der alten Pracht ihrer Einrichtung unbenutzt und vernachlässigt: Spinnweben zogen sich über die Mosaiken der reichen, aber lang nicht mehr betretenen Badegemächer des Honorius, und in dem Toilettenzimmer der Placidia huschten die Eidechsen über das Marmorgesims der Silberspiegel in den Mauern. Dagegen hatten die Bedürfnisse eines mehr kriegerischen Hofhalts manche Mauer niedergerissen, um die kleinen Gemächer der antiken Häuser zu den weiteren Räumen von Waffensälen, Trinkhallen, Wachtzimmern auszudehnen. Man hatte anderseits durch neue Mauerführungen benachbarte Häuser mit dem Palast verbunden, und daraus eine Festung mitten in der Stadt geschaffen. Es trieben jetzt in der »piscina maxima«, dem ausgetrockneten Teich, blonde Buben ihre wilden Spiele, und in den Marmorsälen der Palästra wieherten die Rosse der gotischen Wachen. So hatte der weitläufige Bau das unheimliche Ansehen halb einer kaum noch erhaltenen Ruine, halb eines unvollendeten Neubaus: und die Burg dieses Königs erschien so wie ein Sinnbild seines römisch-gotischen Reiches, seiner ganzen politischen halbunfertigen, halbverfallenen Schöpfung.

      An dem Tage aber, der Cethegus nach Jahren hier zuerst wieder eintreten sah, lastete ein Gewölk von Spannung, Trauer und Düstre ganz besonders schwer auf diesem Haus: denn seine königliche Seele sollte daraus scheiden.

      Der große Mann, der von hier aus ein Menschenalter lang die Geschicke Europas gelenkt, den Abendland und Morgenland in Liebe und Haß bewunderten, der Heros seines Jahrhunderts, der gewaltige Dietrich von Bern, dessen Namen schon bei seinen Lebzeiten die Sage sich ausschmückend bemächtigt hatte, der große Amalungen-König Theoderich sollte sterben.

      So hatten es die Ärzte, wenn nicht ihm selbst, doch seinen Räten verkündet, und alsbald war es hinausgedrungen in die große, volkreiche Stadt. Obwohl man seit langem einen solchen Ausgang der geheimnisvollen Leiden des greisen Fürsten für möglich gehalten, erfüllte doch jetzt die Kunde von dem drohenden Eintritt des verhängnisvollen Schlages alle Herzen mit der höchsten Aufregung.

      Die treuen Goten trauerten und bangten: aber auch bei der römischen Bevölkerung war eine dumpfe Spannung die vorherrschende Empfindung. Denn hier in Ravenna, in der unmittelbaren Nähe des Königs, hatten die Italier die Milde und Hoheit dieses Mannes im allgemeinen zu bewundern und durch besondere Wohltaten zu erfahren am häufigsten Gelegenheit gehabt. Ferner fürchtete man nach dem Tode dieses Königs, der während seiner ganzen Regierung, mit einziger Ausnahme der jüngsten Kämpfe mit dem Kaiser und dem Senat, in welchem Boëthius und Symmachus geblutet, die Italier vor der Gewalttätigkeit und Rauheit seines Volkes beschützt hatte, unter einem neuen Regiment Härte und Druck von seiten der Goten zu erfahren.

      Endlich aber wirkte noch ein anderes, höheres: die Persönlichkeit dieses Heldenkönigs war so großartig, so majestätisch gewesen, daß auch diejenigen, die seinen und seines Reiches Untergang oft herbeigewünscht hatten, doch in dem Augenblick, da nun diese Sonne erlöschen sollte, sich niedriger Schadenfreude nicht hingeben und ernsterer Erschütterung nicht erwehren konnten.

      So war die Stadt schon seit grauendem Morgen — da man zuerst vom Palast Boten nach allen Winden hatte jagen und einzelne Diener in die Häuser der vornehmen Goten und Römer hatte eilen sehen — in höchster Erregung. In den Straßen, auf den Plätzen, in den Bädern standen die Männer paarweise oder in Gruppen beisammen, fragten und teilten sich mit, was sie wußten, suchten eines Vornehmen habhaft zu werden, der vom Palaste herkam, und sprachen über die ernsten Folgen des bevorstehenden Ereignisses. Weiber und Kinder kauerten neugierig auf den Schwellen der Häuser. Mit den wachsenden Stunden des Tages strömte sogar schon die Bevölkerung der nächsten Dörfer und Städte, besonders trauernde Goten, forschend in die Tore Ravennas. Die Räte des Königs, voraus der Präfektus Prätorio Cassiodorus, der sich in diesen Tagen um Aufrechterhaltung der Ordnung hohes Verdienst erwarb, hatten solche Aufregung vorausgesehen, vielleicht Schlimmeres erwartet.

      Seit Mitternacht waren alle Zugänge zum Palast geschlossen und mit gotischen Wachen besetzt. Auf dem Forum des Honorius, vor der Stirnseite des Gebäudes, war ein Zug Reiter aufgestellt. Auf den breiten Marmorstufen, die zu der stolzen Säulenreihe des Hauptportals hinaufführten, waren starke Scharen gotischen Fußvolks, mit Schild und Speer, in malerischen Gruppen gelagert.

      Nur hier konnte man, nach Cassiodors Befehl, Eintritt in den Palast erlangen, und nur die beiden Anführer des Fußvolks, der Römer Cyprian und der Gote Witichis durften die Erlaubnis dazu erteilen. Ersterer war es, der Cethegus einließ. Wie dieser den altbekannten Weg zum Gemach des Königs verfolgte, fand er in den Hallen und Gängen der Burg die Goten und Italier, denen ihr Rang und Ansehen Zutritt erwarben, in ungleiche Gruppen verteilt.

      Schweigend und traurig standen in der sonst so lauten Trinkhalle die jungen Tausendführer und Hundertführer der Goten beisammen oder flüsterten einzelne besorgte Fragen, während hier und da ein älterer Mann, ein Waffengefährte des sterbenden Helden, in einer Nische der Bogenfenster lehnte, seinen lauten Schmerz zu verbergen; in der Mitte des Saales stand, laut weinend, das Haupt an einen Pfeiler drückend, ein reicher Kaufmann von Ravenna: der König, der jetzt scheiden sollte, hatte ihm eine Verschwörung verziehen und seine Warenhallen vor der Plünderung durch die ergrimmten Goten gerettet.

      Mit einem kalten Blick der Geringschätzung schritt Cethegus an dem allen vorüber. Er ging weiter.

      In dem nächsten Gemach, dem zum Empfang fremder Gesandten bestimmten Saal, fand er eine Anzahl von vornehmen Goten, Herzogen, Grafen und Edeln beisammen, die offenbar Beratung hielten über den Thronwechsel und den drohenden Umschwung der Verhältnisse.

      Da waren die tapferen Herzoge Thulun von Provincia, der die Stadt Arles heldenmütig gegen die Franken verteidigt hatte, Ibba von Liguria, der Eroberer von Spanien, Pitza von Dalmatia, der Besieger der Bulgaren und Gepiden, gewaltige, trotzige Herren, stolz auf ihren alten Adel, der dem Königshaus der Amaler wenig nachgab — denn sie waren aus dem Geschlecht der Balten, das bei den Westgoten durch Alarich die Krone gewonnen hatte —, und auf ihre kriegerischen Verdienste, die das Reich beschirmt und erweitert.

      Auch Hildebad und Teja standen bei ihnen.

      Das waren die Führer der Partei, die längst eine härtere Behandlung der Italier, welche sie haßten und scheuten zugleich, begehrt und die nur widerstrebend dem milden Sinn des Königs sich gefügt hatten. Wilde Blicke des Hasses schossen aus ihrer Mitte auf den vornehmen Römer, der da Zeuge der Sterbestunde des großen Gotenhelden sein wollte. Ruhig schritt Cethegus an ihnen vorüber und hob den schweren Wollvorhang auf, der den nächsten Raum abschied, das Vorzimmer des Krankengemaches. Eintretend begrüßte er mit tiefer Verbeugung des Hauptes eine hohe königliche Frau, die, in schwarze Trauerschleier gehüllt, ernst und schweigend, aber in fester Fassung und ohne Tränen vor einem mit Urkunden bedeckten Marmortische stand: das war Amalaswintha, die verwitwete Tochter Theoderichs.

      Eine Frau in der Mitte der Dreißiger war sie noch von außerordentlicher, wenn auch kalter Schönheit. Sie trug das reiche, dunkle Haar nach griechischer Weise gescheitelt und gewellt. Die hohe Stirn, das große, runde Auge, die geradlinige Nase, der Stolz ihrer fast männlichen Züge und die Majestät ihrer vollen Gestalt verliehen ihr gebietende Würde, und in dem ganz nach hellenischem Stil gefalteten Trauergewand glich sie in der Tat einer von ihrem Postament heruntergeschrittenen Hera des Polyklet.

      An ihrem Arme hing, mehr gestützt als stützend, ein Knabe oder Jüngling von etwa siebzehn Jahren, Athalarich, ihr Sohn, des Gotenreiches Erbe. Er glich nicht der Mutter, sondern hatte die Natur seines unglücklichen Vaters Eutharich, den eine zehrende Krankheit des Herzens in der Blüte seiner Jahre in das Grab gezogen hatte. Mit Sorge sah deshalb Amalaswintha ihren Sohn in allem ein Ebenbild des Vaters werden, und es war kaum mehr ein Geheimnis am Hofe von Ravenna, daß alle Spuren jener Krankheit sich schon in dem Knaben zeigten. Athalarich


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