Satan und Ischariot II. Karl May
er die Wahrheit zugeben oder leugnen solle, und antwortete dann:
»Warum sollte ich nicht! Da wir Old Shatterhand und den Apatschen gegen uns hatten, so war fast mit Sicherheit vorauszusehen, daß wir den kürzern ziehen würden; sodann hatte ich, wie ich dir heute sagen will, gar wohl durchschaut, daß ihr beiden den Löwenanteil für euch behalten und mich mit einer Wenigkeit abfinden würdet, und endlich – —«
»Nun, endlich? Was weiter?« fragte Weller, als der andere einen Augenblick innehielt.
»Endlich.« fuhr dieser fort, »gingen mir auch die armen Teufel im Kopfe herum, welche so schmählich da unten im Schachte verkommen sollten. Sie thaten mir leid, und ich begann, einzusehen, daß das, was wir an ihnen verübt hatten und noch verüben wollten, ein sehr schweres Verbrechen sei.«
»Ah, so bist du wohl ganz plötzlich ein Betbruder geworden?«
»Das nicht, aber vielleicht werde ich es noch, um das, was ich mit euch begangen habe, unserm Herrgott abzubitten.«
»Kannst du sagen, was man mit uns vornehmen wird?«
»Ich befürchte, daß ihr keine Hoffnung habt, jemals wieder freizukommen.«
»Eigentlich hast du dasselbe Schicksal verdient wie wir, dennoch aber freut es mich, daß wenigstens einer von uns so gut gefahren ist. Wie steht es denn mit meinem Sohne? Ich habe euch gesucht, um zu erfahren, was mit ihm vorgenommen worden ist, euch aber nicht gefunden.«
»Willst du die Wahrheit hören?«
»Ich werde wohl nicht daran sterben. Also nur heraus damit! Du weißt, daß ich kein Schwächling bin.«
Letzteres mochte wahr sein, dennoch lag eine furchtbare Angst in dem fragenden Blicke, den er erwartungsvoll auf den Player richtete. Der Vater machte sich in ihm geltend. Als der Gefragte nicht sogleich antwortete, fuhr er fort:
»Also aufrichtig gesagt, ist er tot?«
»Ja.«
»Tot, also tot!,« wiederholte er, indem er die Augen schloß. Man sah, welche Wirkung die Nachricht auf ihn ausübte. Die Wangen fielen nach innen, und sein Ge- Gesicht bekam für kurze Zeit das Aussehen eines Toten. Dann öffnete er die Augen wieder und erkundigte sich:
»Was für ein Tod? «
»Erwürgt durch – —«
»Durch mich!« antwortete jetzt der Athlet. »Ihr Schurken glaubtet mich tot, aber mein Schädel war fester, als ihr dachtet. Ich bekam nur ein kurzes Fieber, und in diesem Fieber habe ich deinen Buben mit den Fäusten erwürgt, sowie ich dich bei voller Besinnung erwürgen möchte und auch noch erwürgen werde!«
Weller schloß die Augen zum zweitenmal und für längere Zeit als vorhin. Was mußte jetzt in ihm vorgehen! Als er sie öffnete, zeigte sein Gesicht das Gegenteil von dem, was ich erwartet hatte, nicht Haß, Grimm und Wut, sondern einen, fast möchte ich sagen, sanften und rührenden Zug der Ergebung. Und in einem solchen Tone wendete er sich an den Player:
»Du hast also Winnetou und Old Shatterhand mit ihren Mimbrenjos hierhergeführt?«
»Ja, ich leugne es nicht; aber sie hätten den Weg auch ohne mich gefunden.«
»Mag sein, doch war es von dir dennoch ein Verrat gegen uns, den du besser unterlassen hättest. Mit deiner Gefangennahme und deinem Uebergange zu den Gegnern hat unser Pech eigentlich erst begonnen. Es wird wohl aus mit uns sein, und da habe ich einen Wunsch, der meine Hinterlassenschaft betrifft. Würdest du ihn mir als alter Kamerad erfüllen?«
»Wenn ich kann, ja.«
»Du kannst es, ohne ein Unrecht zu thun und ohne alle Mühe. Komm her zu mir!«
Der Player trat ihm einen Schritt näher und bog sich leicht zu ihm nieder. Eine plötzliche Regung in mir wollte mich veranlassen, ihn zu warnen; aber was konnte ihm Weller thun? Er war an den Füßen und Armen gefesselt und außerdem durch meinen Schuß an der Rechten so verwundet, daß er dieselbe nicht bewegen konnte.
»Noch leiser muß ich reden, noch leiser. Komm also näher; kniee da nieder!«
Der Player entsprach dieser Forderung, indem er sich auf das Knie niederließ, und ging damit in die ihm so schlau gestellte Falle des äußerlich so ergeben erscheinenden und innerlich doch von unbeschreiblicher Wut durchtobten Verbrechers. Dieser stemmte nämlich die Ellbogen fest auf die Erde und hob blitzschnell die Beine hoch empor, um sie ebenso schnell auf die Achseln des Players niederzusenken. Es muß dabei daran erinnert werden, daß nicht seine Beine, sondern unten seine Füße und zwar an den Fußgelenken, zusammengebunden waren; er konnte die Beine also in den Hüftgelenken hochheben und bei den Knieen soweit auseinandernehmen, daß zwischen ihnen eine Oeffnung entstand, in welche der Kopf des Players zu stecken kam. Darauf preßte Weller die Kniee mit aller Kraft an dem Halse seines frühern Kameraden zusammen, sodaß sich dessen Gesicht sofort blau färbte, und schrie dabei jubelnd und in einem ganz andern Tone, als er vorhin gesprochen hatte:
»Habe ich dich überlistet, du zehnfacher Schurke? Und du hast meinem freundlichen Gesicht geglaubt, du hundertfacher Dummkopf! Rache will ich haben, Rache! Ist infolge deines Verrates mein Sohn erwürgt worden, so sollst nun du dafür auch erwürgt werden!«
»Ja, gieb es ihm, gieb es ihm!« munterte ihn Melton unter teuflischem Lachen auf. »Laß ihn nicht los, ja nicht los!«
Man weiß, welche Kraft in den Knieen eines er- erwachsenen Mannes liegt. Dazu kam, daß die Füße durch die Riemen vereinigt waren und in dieser Vereinigung einen Halte- oder Hebelpunkt fanden, durch welchen die ursprüngliche Kraft der Kniee vervielfältigt wurde. Eine einzige Minute genügte, den Player zu erdrosseln. Ich sprang natürlich augenblicklich hinzu, um ihm zu helfen; der Goliath kam mir aber doch zuvor. Er warf sich nieder, klammerte seine Riesenhände um den Hals Wellers und rief:
»Du selbst wirst erwürgt werden, sowie ich deinen Sohn erwürgt und es dir soeben auch versprochen habe!«
Dies Verfahren, dem Bedrohten zu Hilfe zu kommen, war grundfalsch, denn als Weller der Atem auszugehen begann, krampfte die Todesangst seine Beine noch fester als vorher um den Hals des Players. Ich packte sie, um sie auseinander zu ziehen, doch vergeblich; ich besaß nicht Kraft genug, und kein Mensch hätte sie besessen, die fürchterliche Anspannung der Muskeln und Sehnen zu überwinden. Mein Angriff mußte sich gegen den erwähnten Hebelpunkt richten; ich riß also, selbst auch voller Angst, mein Messer heraus und schnitt die Fußriemen entzwei, worauf ich die Füße auseinander zwang und, mich zwischen dieselben klemmend, dann auch die Kniee zu öffnen vermochte. Der Kopf des Players bekam Raum und sank zur Erde nieder; der arme Teufel lag wie ein Toter da, rotblau angeschwollen im Gesichte. Dafür legten sich die Beine Wellers nun mit aller Gewalt um mich.
»Lassen Sie los!« rief ich dem Athleten zu. »Sie ermorden ihn ja!«
»Ermorden?« lachte er grimmig. »O nein, ich bestrafe ihn nur.«
Ich sah, daß er den bisherigen Druck seiner Hände
verstärkte, und konnte es doch nicht hindern, obgleich ich ihn von hinten packte und wegreißen wollte. Endlich ließ er los, versetzte dem ohne Bewegung daliegenden Körper einen Fußtritt und sagte, tief Atem holend:
»So, es ist aus mit ihm! Der sperrt keinen Menschen mehr ein und überfällt auch keinen wieder im Schlafe. Nun, mögen die Geier ihn fressen, wie sie seinen Sohn fraßen und mich fressen sollten!«
Es machte mir Mühe, von den Beinen des Gewürgten loszukommen. Natürlich sah ich dann zunächst nach dem Player. Er begann schon leise nach Luft zu schnappen, lebte also noch und war gerettet; Weller aber war tot, erstickt unter den Fäusten des Riesen, der sich über sein grausiges Werk freute.
»Wissen Sie, daß Sie ein Mörder sind? Ich sollte Sie binden lassen und dem Richter übergeben!« fuhr ich ihn in Gegenwart aller an, welche herbeigekommen waren, um dem Ausgange der grausigen Scene beizuwohnen.
»Ein Mörder?« antwortete er. »Sie verwechseln die Begriffe, denn Sie haben mich keinem Richter zu übergeben, sondern ich selbst habe das Amt eines solchen ausgeübt.«
»Nein, sondern das Amt eines Henkers. Mir graut vor Ihnen!«
»Wirklich?