Satan und Ischariot II. Karl May
nicht den Anschein, als ob große Entdeckungen zu machen seien, denn es war finster draußen; ich mußte warten, bis der Schein der Sterne heller wurde. Doch blieb ich nicht bei der Höhle stehen, sondern ging weiter, an der Felswand hin, bis ich die nördliche Ecke derselben erreichte. Dort setzte ich mich nieder, um zu warten.
Meine Absicht war, den auf das Plateau führenden Weg auszukundschaften, was bei der jetzigen Dunkelheit nicht nur erfolglos sein mußte, sondern mir überdies gefährlich werden konnte. Es war zwar nicht wahrscheinlich, aber doch möglich, daß jemand sich auf dem Wege befand und mich kommen hörte; in diesem Falle war vorauszusehen, daß mein Spaziergang einen für mich nicht sehr angenehmen Verlauf nehmen werde.
Da, wo ich saß, lagen mehrere Steine von verschiedener Größe. Auch das war ein Grund für mich, nicht weiter zu gehen, denn wenn es auf meinem Wege mehr solche Felsstücke gab, so mußte das beabsichtigte Schleichen in der Dunkelheit zu einem immerwährenden Stolpern und Stürzen werden.
So wartete ich wohl eine Stunde lang. Es herrschte tiefe Stille rings umher. Die erst so bleichen Sterne bekamen Glanz; ich konnte weiter sehen als vorher und stand eben im Begriff, von meinem Sitze aufzustehen und weiterzugehen, als ich Schritte hörte, welche näher kamen. Ich nahm natürlich an, daß der Nahende vorüber wolle, und duckte mich hinter einem der erwähnten Felsstücke nieder. Die Schritte kamen näher, gerade auf mich zu; ich sah die Gestalt eines Indianers, welcher nicht weit von mir stehen blieb und sich umsah. Als er niemand erblickte, ließ er einen halblauten Ausruf der Enttäuschung hören, kam noch näher und setzte sich auf einen Stein, welcher nicht weiter als drei Schritte vor mir lag.
Das war fatal, im höchsten Grade fatal! Die Steine lagen so, daß ich nicht zurückkonnte, ohne gehört zu werden. Vorwärts konnte ich auch nicht, denn da hätte ich gerade an ihm vorüber gemußt. Es blieb mir also nichts anderes übrig, als geduldig zu warten, bis er wieder ging.
»Uff!« hörte ich den Indianer nach langer Pause halblaut rufen. Er stand auf und trat einige Schritte vor. Es kam jemand – es war die Jüdin! Ich wurde Ohrenzeuge einer höchst interessanten Unterhaltung. Im Verlaufe derselben nannte er sich »Schlange«. Er war also der Inhaber des Zeltes, welches ich gesehen hatte, und der Anführer der hier liegenden dreihundert Yumas, ein Unterhäuptling des »großen Mundes«. Wie ich hörte, war sein englischer und spanischer Wortschatz ein für einen Yuma nicht gewöhnlicher; die Jüdin wußte nicht den zwanzigsten Teil davon und verstand kein Wort indianisch. Aus diesem Grunde konnten sie grammatikalisch einander das nicht sagen, was sie sagen wollten; aber sie verstanden einander doch, wenn es auch hier und da ein Mißverständnis gab, über welches man hätte aufschreien mögen. Wo Worte nicht ausreichten, wurde das Zeichen zu Hilfe genommen; kurz und gut, sie verstanden sich trotz aller sprachlichen Hindernisse, und ich verstand sie auch.
Er nahm sie, als sie kam, bei der Hand, führte sie zu dem Steine, auf welchem er gesessen hatte, und sagte:
»Schon glaubte die »listige Schlange«, daß die weiße Blume nicht kommen werde. Warum ließ sie ihn warten?«
Er mußte seine Frage mehrere Male wiederholen und ihr ein anderes Gewand geben, ehe sie dieselbe verstand und darauf antwortete:
»Melton hielt mich ab.«
Nun verstand er sie nicht; sie wiederholte ihre Worte und erklärte sie durch Zeichen.
»Was tut er jetzt?« fragte die Schlange.
»Er schläft,« antwortete sie weniger durch das Wort, als durch die Pantomime.
»Meint er, daß die weiße Blume auch schlafe?«
»Ja.«
»So ist er ein Tor, welcher betrogen wird, weil er selbst betrügen will. Die weiße Blume darf nicht glauben, was er sagt; er belügt sie und wird nicht halten, was er ihr versprochen hat.«
Jedem Satze folgte, da keiner sogleich verstanden wurde, eine mühevolle Pantomimenerklärung, wobei sie nach Worten suchten, welche gegenseitig bekannt waren. Mir machte dies Spaß; den Leser aber würde es langweilen, wenn ich die Unterhaltung so wiedergeben wollte, wie sie in Wirklichkeit geführt wurde; sie soll darum auf dem Papiere so glatt verlaufen, als ob die beiden der notwendigen Redeteile vollständig mächtig gewesen wären.
»Weißt du denn, was er mir versprochen hat?« fragte sie.
»Ich denke es mir. Hat er nicht gesagt, daß er dir große Reichtümer geben will?«
»Ja. Er meint, daß er durch dies Bergwerk bald eine Million verdient haben werde. Dann soll ich seine Frau werden, Diamanten, Perlen und allerlei kostbares Geschmeide haben, ein Schloß in der Sonora und einen Palast in San Franzisco.«
»Du wirst keine Edelsteine, kein Gold, kein Schloß und keinen Palast haben, denn er wird zwar viel Geld verdienen, es aber doch nicht besitzen.«
»Wieso nicht?«
»Das ist Geheimnis der Yumas. Aber selbst wenn es so käme, wie er denkt, würde er dir nichts davon geben. Du bist die einzige Blume in dieser Einsamkeit; nur darum trachtet er nach dir. Wenn es später andre gibt, wird er dich wegwerfen.«
»Das sollte er wagen! Ich würde mich rächen und alles verraten, was er hier begangen hat!«
»Das wirst du nicht können. Man kann, wenn eine Blume welk geworden ist und gefährlich werden will, sie hier leicht zertreten, anstatt sie bloß wegzuwerfen. Glaube mir, daß bei ihm keine deiner Hoffnungen sich erfüllen wird!«
»Das sagst du, weil du mich auch haben willst. Beweise es mir!«
»Die »listige Schlange« kann beweisen, was sie behauptet. Sag mir, warum du zugegeben hast, daß dein Vater mit in das Bergwerk gegangen ist?«
»Weil er nicht arbeiten, sondern Aufseher sein und sich viel Geld verdienen soll.«
»Er ist angebunden wie jeder andere, muß arbeiten wie die andern und bekommt auch keine bessern Speisen als sie. Ich weiß, es ist ihm versprochen worden, daß er von Zeit zu Zeit herausgehen darf, um dich zu sehen und sich in der guten Luft zu erholen; aber das Versprechen wird man nicht halten.«
»Ich würde Melton zwingen, es zu halten!«
»Glaube das nicht! Ueber einen solchen Mann können die tausend schönsten Squaws der Erde keine Macht erlangen. Verlange, deinen Vater zu sehen! Er wird ihn nicht herauslassen.«
»So gehe ich fort und zeige ihn an!«
»Versuche das,« meinte der Rote mit einem kurzen Lachen. »Er wird dich auch einsperren. Dann wird in kurzer Zeit deine Schönheit zerstört und dein Körper von dem Gifte des Quecksilbers zerfressen sein. Er ist ein Betrüger; ich wiederhole es; mein Herz aber ist auf- aufrichtig gegen dich. Was er dir nur zum Scheine bietet, das biete ich dir in Wirklichkeit. Wenn ich nur will, so werde ich reicher, viel reicher als Melton sein.«
»Ein Indianer und reich!« lachte sie.
»Zweifelst du daran? Wir sind die eigentlichen Besitzer des Landes, welches uns die Weißen genommen haben. Bei dem Leben, welches wir führen, bedürfen wir des Goldes und Silbers nicht. Wir wissen, wo es in den Bergen in großer Menge zu finden ist, sagen das aber den Bleichgesichtern nicht, obgleich wir es nicht brauchen. Aber wollte die weiße Blume in mein Zelt kommen und meine Squaw werden, so würde ich Gold und Silber haben, soviel sie haben will, und ihr alles geben, was Melton ihr versprochen hat und doch nicht geben wird.«
»Ist das wahr? Viel Geld, Geschmeide, ein Schloß, einen Palast, schöne Kleider und viele Diener?«
»Alles, alles das würdest du haben! Ich liebe dich sehr, wie ich kein rotes Mädchen lieben könnte. Ich könnte dich auch gegen deinen Willen zu meiner Squaw machen, denn wir roten Männer rauben die Mädchen, welche wir haben wollen und doch auf andere Weise nicht bekommen können. Aber du sollst freiwillig meine Squaw werden. Darum werde ich nicht Hand an dich legen, sondern warten, bis du sagst, daß du mir dein Herz geben willst. Kannst du das nicht jetzt sogleich sagen?«
Er stand auf, schlug seine Arme über der Brust zusammen und blickte forschend zu ihr nieder. Sie antwortete nicht. Ihr Leichtsinn war auf eine kleine Liebelei mit dem hübschen jungen Häuptlinge nicht ungern eingegangen; an die Folgen hatte sie nicht gedacht. Nun verlangte er von