Das blaue Mal. Hugo Bettauer

Das blaue Mal - Hugo  Bettauer


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der Prüfung beizuwohnen. Wie schon vorher verabredet war, gingen sie nun zu Sacher, damit sich Carletto dort nach den Anstrengungen der letzten Stunden kräftige und erhole.

      Zeller trug über dem Frack einen schwarzen Überzieher, hatte Zylinder und weiße Glacés. Er war ein bildhübscher Junge: mittelgroß, schlank, sehr grazil gebaut, mit schmalen Hüften und abfallenden Schultern; aus dem länglichen Gesicht von olivenfarbenem Teint leuchteten nachtschwarze, schwermütige, von langen Wimpern beschattete Augen und ein weichgeschnittener, hellroter, genießerischer Mund, dessen zu kurze Oberlippe die schönen, weißen Zähne sehen ließ. Seine ganze Erscheinung wirkte anziehend, fremdartig, etwa wie die eines Spaniers oder Südamerikaners, und besonders den Frauen stach dieser interessante junge Mensch offensichtlich in die Augen, denn sie schenkten ihm sehr freundliche Blicke.

      Clemens von Ströbl, der neben ihm den Typus des echten Wiener Dandys repräsentierte, schob gerade seinen Arm in den des Freundes:

      »Na, du könntest schon wieder ein freundliches Gesicht machen, meine ich. Jetzt ist ja die ganze fade Geschichte vorüber!«

      »Mir liegt der Klimbim noch etwas in den Gliedern, weißt du, Clemens,« erwiderte Carletto. »Wir müssen an einem Telegraphenamt vorbeigehen, ich will nach Graz depeschieren.«

      »Hat das denn solche Eile?« wandte Ströbl ein. »Wird der Herr Vormund das freudige Ereignis eben um ein paar Stunden später erfahren.«

      »Ich habe aber dem alten Herrn bestimmt zugesagt, daß ich sofort telegraphiere.«

      »Deine Anhänglichkeit ist wirklich rührend!« lachte Ströbl Zeller aus. »Das muß man dir noch abgewöhnen, du bist doch kein Kind mehr. Jetzt wird anständig gegessen und getrunken, und dann kannst du dem Herrn Professor Wendrich nach Graz meinetwegen Liebesgedichte telegraphieren.« Mit diesen Worten zog er Carletto, der unschlüssig auf dem Michaelerplatz stehen geblieben war, energisch mit sich fort.

      Der Oberkellner im Hotel Sacher, der Clemens von Ströbl kannte, führte sie in eines der kleinen, rot ausgeschlagenen Zimmer, wo nur vier Tische standen, von denen augenblicklich keiner besetzt war. »Ausgezeichnet,« rief Ströbl, »die Ruhe wird dir gut tun, Carlo!« Er machte sodann das Menü, bestellte eine Flasche Chateau Lafite und ließ auch gleich eine Flasche Veuve Cliquot einkühlen. »Der Sieg muß gebührend gefeiert werden,« meinte er. Zeller, der dagegen Einspruch erhob, bereits zu Mittag Champagner zu trinken, mußte sich fügen.

      Während des Speisens wurde von den beiden jungen Leuten noch einmal die Prüfung durchgesprochen. Es war dies die erste gewesen, nun standen noch fünf in Aussicht. Carletto seufzte schwer.

      Wie schon öfters vorher, hielt ihm Ströbl die Unsinnigkeit solcher Mühe vor:

      »Vermögend bist du doch, und du weißt ja, daß dich mein Alter in eine Bank bringt – wenn du durchaus diese Karriere einschlagen willst – wenn es dir paßt, auch ohne den Doktor.«

      »Wenn der Vormund aber darauf dringe, daß er seinen Doktor mache, und wenn dies nun einmal der Wunsch des seligen Vaters gewesen sei?« – entgegnete Carlo, der sich innerlich nur zu gern der Ansicht seines Freundes anschloß und lieber heute als morgen das Studium, das ihm schwer fiel und wenig Freude machte, aufgegeben hätte.

      »Ach, der Herr Professor Wendrich!« meinte Clemens wegwerfend. »Den Wunsch des Vaters zu respektieren, das ist natürlich Gewissenssache. Aber konnte dein gottseliger Herr Vater voraussehen, daß das Jus gar so schwer in deinen Kopf will?«

      Dem leichtfertigen Ströbl war es nämlich unbequem, daß ihm der anhängliche Schüler und Bummelkumpan durch die Stunden des Studierens entzogen wurde. Die Zukunft Carlos jedoch machte ihm so wenig Gedanken, wie seine eigene, die allerdings, da er der einzige Sohn eines reichen Fabrikanten war, eine weitaus gesichertere schien, als die des Freundes.

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