Das blaue Mal. Hugo Bettauer

Das blaue Mal - Hugo  Bettauer


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abhielt, gegen ihn schroff zu werden. So sehr er den stillen, liebenswürdigen Oberst Whilcox schätzte, so wenig lag ihm an der schönen koketten Frau; immerhin begann er sich aber unbehaglich zu fühlen, und er war entschlossen, noch früher als er beabsichtigt hatte, seinen Aufenthalt im Staate Georgia abzubrechen und schon im September nach New York und von dort nach Europa zurückzufahren.

      Bis ein Ereignis eintrat, das alle seine Vorsätze und Pläne über den Haufen warf.

      Eines Tages, zu Ende August, erschien Frau Harriett im Reitkostüm mit allen Zeichen der Erregung spät nachmittags in der Halle des Georgiaklubs, wo sich um diese Zeit die ganze Jeunesse dorée von Irvington beim Poker und Bridge unterhielt, und ließ einige bekannte Herren herausrufen. Auch ihren Gatten und Doktor Zeller, die sich im Bibliothekszimmer aufgehalten hatten. Fliegenden Atems teilte sie mit, daß ihr soeben furchtbarer Schimpf widerfahren sei. Gerade vor dem Hause des Niggers Sampson sei der Sattelgurt ihres Gaules gerissen, und Sampson, der vor dem Hause herumgelungert, habe den Schaden rasch repariert. Als sie wieder aufgesessen sei, da habe die schwarze Bestie, unter dem Vorwande, den Steigbügel zurecht zu rücken, sich einen schamlosen Handgriff gegen sie erlaubt. Und als sie vor Empörung einen Hieb mit der Reitgerte gegen ihn richtete, habe das Mulattenmädel, das nicht nur seine Stieftochter, sondern auch seine Dirne sei und den Vorfall beobachtet hatte, händeklatschend gerufen: »Pack sie nur, Pa, und zwick sie tüchtig.« Sie, Frau Harriett, sei einer Ohnmacht vor Kränkung nahe gewesen, im Galopp hergeritten, und nun frage sie die Männer von Irvington, was geschehen müsse, um Sampson und seine Tochter entsprechend zu züchtigen.

      Während Zeller, der seine Hand dafür ins Feuer gelegt hätte, daß die Geschichte, wenigstens soweit sie Karola betraf, erlogen war, fassungslos dastand und entgeistert war, entstand ein furchtbarer Tumult. Die Herren schrien erregt durcheinander, Pistolen wurden gezogen, selbst Oberst Whilcox ballte die Fäuste und schrie: »Die Brut muß ausgerottet werden!« Der junge Kurmacher der Frau Harriett aber trat, als sich die Aufregung ein wenig gelegt hatte, vor, und bat Mrs. Whilcox, sich jetzt ruhig nach Hause zu begeben, da ihre Ehre in guten Händen sei. Sofort werde ein Tribunal gebildet werden, um die notwendigen Schritte zu beschließen.

      Zeller war über alles das so fassungslos, daß er die ruhige Überlegung verlor. Statt unverzüglich zum Blockhaus des Sampson zu fahren, versuchte er zu beschwichtigen, und er wandte sich, da sich die jungen Leute sofort in einem Raum eingeschlossen hatten, an Mrs. Harriett, die ihn jedoch nur mit schneidender Kälte anhörte, um schließlich achselzuckend zu erklären:

      »Ihre Bemühungen, als Negeranwalt aufzutreten, werden Ihnen kaum etwas nützen, da unsere Jungens in solchen Dingen sich nichts dreinreden lassen.«

      Vergebens wandte sich nun Zeller an Oberst Whilcox, an Doktor Dobbs, der hinzugekommen war, an den Apotheker und andere alte Herren. Auch sie lehnten es rundweg ab, zu intervenieren. Es liege hier ein ganz krasser Fall eines Negerangriffs gegen eine Lady vor, da müsse sofort Justiz geübt werden, wie es eben Landesbrauch ist. Das war der Tenor ihrer Erwiderungen.

      Bei diesen zeitraubenden Diskussionen hatte Zeller nicht bemerkt, daß inzwischen die jungen Leute von Irvington, zwanzig Mann hoch, mit Wagen und Pferden davongestürmt waren, um die Ehre der Mrs. Harriett an dem Neger und seiner Tochter zu rächen. Als er es erfuhr, fand er keinen Mietwagen, keinen Gaul, um ihnen nachzueilen, und es blieb ihm in seiner rasenden Angst um Karola nichts anderes übrig, als zu Fuß den langen Weg in glühender Sommerhitze zurückzulegen. Es dauerte mehr als eine Stunde, bis er, schweißbedeckt, atemlos, vollkommen erschöpft, vor der Blockhütte ankam. Schon lange vorher witterte er aber beißenden Rauch, und er ahnte, daß Schreckliches geschehen war. Nun stand er endlich vor der Hütte – nein, vor dem Platz, auf dem vor einer Stunde noch die Hütte gestanden hatte! Nur noch ein paar rauchende und schwelende Balken lagen inmitten des kleinen zertrampelten Gartens auf dem Erdboden.

      Zeller sah um sich, und das Blut wollte ihm in den Adern gerinnen: da, dicht vor ihm, baumelte von dem Ast eines alten Apfelbaumes herab die Leiche des gelynchten Negers. Nicht schwarz war aber seine Gesichtsfarbe, sondern seltsam graugrün, und aus dem weitaufgerissenen breiten Mund hing die Zunge heraus, daß es schien, als würde der Gehängte eine Grimasse schneiden. Der kalte Schweiß rann Zeller über die Stirne, wie geistesabwesend starrte er die Leiche an. War das möglich? Hätten zivilisierte junge Menschen, Studenten, die dereinst Ämter und Würden bekleiden sollten, wirklich einen Menschen ermordet, der im schlimmsten Fall sich etwas zuschulden hatte kommen lassen, was mit einer Tracht Prügel genügend bestraft worden wäre? Lebte er zu Ende des neunzehnten Jahrhunderts oder im Mittelalter? Unwillkürlich erinnerte sich Zeller der Judenverfolgungen in vergangenen Jahrhunderten, der Hexenprozesse, der Inquisitionsgerichte.

      Pferdegetrappel riß ihn aus seinem Grauen. Querfeldein, über die Baumwollfelder, kamen die Richter aus eigener Machtvollkommenheit angeritten. Als sie den Deutschen erblickten, riefen sie ihm fröhlich, als sei nichts geschehen, ihr Hallo zu, sprangen ab und einer von ihnen sagte lachend:

      »Was, Professor, so etwas gibt es in eurem alten, gemütlichen Deutschland nicht! Sie müssen uns dankbar sein, daß wir Ihnen gezeigt haben, wie man hierzulande ohne Gerichtshof gute Justiz macht.«

      Mühsam beherrschte sich Zeller. Er wußte, daß er, würde er diesen Leuten seine Verachtung zeigen, sich nur lächerlich und verhaßt machen, Karola, die liebe, kleine Karola aber nicht retten würde – vorausgesetzt, daß sie überhaupt noch am Leben war. Und so ersuchte er die jungen Herren denn, ihm zu erzählen, wie sich alles abgespielt habe.

      Der neue Seladon der Frau Harriett tat dies.

      »Nun, wir sind alle im raschesten Galopp hergeritten und fanden richtig das ganze Gesindel beisammen. Ohne lange zu fackeln, griffen wir zuerst den Sampson und banden ihn mit Stricken. Dann wollten wir das kleine Biest, seine Tochter, fassen, aber sie war leider flinker als wir, sie bückte sich blitzschnell, rannte zwischen unseren Füßen durch, und wie eine Wildkatze war sie davon. Ein paar von uns ihr nach, aber sie war nicht einzuholen, sondern verschwand im Gebüsch. Also der Hauptschuldige war ja Sampson selbst, und den hatten wir glücklicherweise. Während er heulte und seine Unschuld beteuerte und sein dickes Weib so lange auf den Knien umherrutschte, bis wir sie mit Fußtritten aus der Hütte jagten, sprachen wir dem Kerl das Urteil. Ein paar von unseren Jungen hielten die Neger, die sich indessen langsam angesammelt hatten, mit den Revolvern in Schach, wir anderen schleppten den Sampson zum Apfelbaum auf die Straße und eins, zwei, drei, hing er schon in der Schlinge. Als der Kerl keinen Ton mehr von sich gab, zündeten wir das ganze Nest an, damit von der Schandbude nichts übrig blieb. Und jetzt haben wir nochmals nach der Dirne gesucht, aber vergebens. Die Alte ist in die Stadt gelaufen, wo sie sich bei ihrer schwarzen Sippe verstecken wird. Um die ist uns auch gar nicht zu tun, denn gegen sie hat Mrs. Whilcox nichts ausgesagt. Aber das Mädel werden wir schon noch finden. Jimmy bringt abends einen Schweißhund zur Stelle, da kann sie sich verkrochen haben, wo sie will, wir werden sie schon aufstöbern.«

      »Und was wird mit ihr geschehen?« fragte Zeller, scheinbar ganz ruhig, während er sein Herz schlagen fühlte.

      Die jungen Leute sahen einander schmunzelnd an, dann erwiderte der, der als Jimmy bezeichnet worden war:

      »Na, sie ist ja ein verflucht hübsches Luder und jung! Und da wir auch jung sind, werden wir nach dem Los unseren Spaß mit ihr haben und sie nachher auspeitschen und mitten in der Stadt an den Pranger binden.«

      Zeller nickte und ging. Er hätte sich nicht einen Augenblick länger beherrschen können, im nächsten Augenblick würde er die Pistole, die auch er nach Landesbrauch immer bei sich hatte, gezogen und den erstbesten von den Lynchern niedergeknallt haben; er war schon einige Schritte gegangen, als er sich wieder umwandte:

      »Well, meine Herren, ich werde vielleicht an der Jagd nach dem Mädchen wenigstens von der Ferne teilnehmen. Wann geht es los?«

      Die Burschen berichteten kurz:

      »Wir reiten jetzt zurück nach der Stadt, machen dem Scherif Meldung, begießen ein gutes Abendessen mit einem tüchtigen Schluck Claret und gehen von hier so gegen neun Uhr mit dem Hund los. In der Nacht nimmt ›Tiger‹ am besten die Spur auf.«

      Zeller ging und legte den kurzen Weg zum »großen Haus« zurück.

      Er


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