Das blaue Mal. Hugo Bettauer

Das blaue Mal - Hugo  Bettauer


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fast tropischen Klima unter Anwendung künstlicher Düngstoffe zuwege gebracht, Pflanzen der verschiedensten Art zu kreuzen, merkwürdige Produkte hervorzuzaubern und sogar fortpflanzungsfähig zu machen, so daß es hier Blumen gab, die weder Nelken noch Rosen, sondern beides waren, niedere, im Gras wurzelnde Pflanzen auf Bäume und Sträucher zu ziehen, Reseden auf einem fast manneshohen Baum wachsen zu lassen, Nelken so groß wie ein Kinderkopf in sieben Farben, rote Vergißmeinnicht, gelbe Veilchen, unerhört komplizierte und rätselhafte Schlinggewächse zu produzieren und die verschiedenartigsten Früchte auf einem Baum zu vereinigen.

      Stundenlang hielten sich die beiden Herren in der Gartenanlage auf, das fachliche Interesse bei dem Gelehrten, der freudige Stolz über die Anerkennung bei dem glücklichen Besitzer waren so groß, daß sie der sengenden, fast schon im Zenit stehenden Sonne nicht achteten. Bis die kleine Karola Sampson, das Mulattenmädchen von gestern, mit zwei riesigen Panamastrohhüten kam und sie den Herren übergab.

      »Die Lady schickt mich damit, weil sonst die Sonne dem Herrn den Kopf verbrennen tat,« sagte sie lachend, und ein Hauch von Frische und köstlicher Anmut ging von ihr aus.

      Während der Oberst ohne Erwiderung den Hut nahm und an Stelle der schottischen Mütze aufsetzte, dankte Zeller lächelnd und strich mit der Hand Karola über die offenen, nur mit einem roten Band zusammengebundenen blauschwarzen Haare. Und er überzeugte sich, daß die gar nicht wollig, sondern wohl gekraust, aber seidenweich waren. Seltsam erschreckt sah ihn Karola aus den großen wissenden Kinderaugen an und hielt still, wie ein Hühnchen, das man streichelt. Und mit einem raschen Blick auf den Obersten, der aber mit der Schere sich an einem Strauch beschäftigte, ohne sich umzusehen, sagte sie dann: »Deutscher Herr sollen schwarze Karola nicht streicheln. Wenn das Lady sehen tät, würde sie sehr böse sein und deutschen Herrn nix mehr Hand geben, aber Karola ins Gesicht mit Stock schlagen.« Und dann mit weicher, besorgter Stimme: »Mister dürfen nix in Sonne bleiben, sind schon ganz rot im Gesicht, Oberst is Sonne von Georgia gewöhnt, aber deutscher Herr kommen aus Land, wo keine Sonne sein, da müssen achtgeben.«

      Nun richtete sich der Oberst auf und wandte sich dem Gast zu, und Karola sprang mit großen Sätzen davon, daß ihr Röckchen hochflog und die hellbraunen Beine in ihrer ganzen Schlankheit sehen ließ.

      Zeller ging schweigend mit dem Obersten dem Haus zu, plötzlich sagte er: »Eigentlich eine komplette Schönheit, dieses Mädchen! Was wohl aus der hier werden wird?«

      Der Oberst lachte kurz auf: »Na, ich glaube, zunächst Ihre Geliebte! Eilen Sie sich, Professor, damit Ihnen nicht so ein schmutziger Nigger bei dem kleinen Biest zuvorkommt. Aber Vorsicht, damit meine Frau nichts merkt. Die ist sehr heikel in solchen Dingen und verabscheut alles, was nur mit einem Neger entfernt in Berührung kommt. Am liebsten möchte sie weiße Dienstboten haben, wenn das hier nicht fast unmöglich wäre. Sie stammt eben aus Boston, und dort sind die Damen noch genauer als anderwärts. Famose Stadt, dieses Boston, beste Universität, bestes Orchester, die gebildetsten Leute der Welt.«

      Zeller erwiderte nicht. Er wollte es nicht tun, weil er sonst die Gebote der Höflichkeit verletzt hätte. Die Bemerkungen des Obersten über das braune Mädchen empörten den deutschen Schweizer, den kultivierten, jenseits von allen Vorurteilen stehenden Menschen, maßlos, und was Boston anbelangte, nun, Zeller war dort gewesen, hatte sich überzeugt, daß die Orchestermitglieder vom Dirigenten bis zum letzten Flötisten Deutsche oder Slawen waren, daß die Studenten vorzüglich Baseball spielen konnten, aber von wirklicher Wissenschaft keinen Schimmer besaßen, und die vornehme Gesellschaft, die sich für die gebildetste der Welt hielt, gerade jene Allerweltdurchschnittsbildung besaß, die ärger ist als Unbildung.

      Frau Harriett trug beim Luncheon eine blaßblaue, tiefausgeschnittene Voiletoilette, mit tiefroten Rosen im Ausschnitt. Und wie sie nach dem schwarzen Kaffee im Schaukelstuhl wippend dasaß, die Beine übereinandergeschlagen, daß die kleinen Füße in den Goldkäferschuhen voll zur Geltung kamen, und wie sie von Zeit zu Zeit die Arme hob, um etwas an der Frisur zu richten, so daß dabei die schlanke, geschmeidige Gestalt sich straffte und die Schönheit des Busens ahnen ließ, war Frau Harriett von vollkommener Schönheit. Sie hätte gar nicht kokettieren müssen, um das Blut des Deutschen gegen seinen Vorsatz zur Wallung zu bringen.

      Man hörte das Anrollen eines Wagens und gleich darauf meldete der Diener Herrn und Frau Jackson. Ein junges Ehepaar betrat den Salon, gleich darauf ritt ein älterer Herr, der erste Arzt von Irvington, Dr. Dobb, an, und nun kamen Wagen auf Wagen, die meisten von der Dame gelenkt, vorgefahren. Ganz Irvington war eben neugierig, diesen blonden Deutschen kennen zu lernen, der die halbe Welt durchquerte, um ein paar Pflanzen zu bewundern. Und auf der Terrasse, auf die nun die Schaukelstühle getragen wurden, begann ein lebhaftes Durcheinander und ein Gezwitscher, wie in einem Vogelkäfig.

      Zeller machte wieder dieselbe Beobachtung, wie schon vorher im Osten und Westen der Staaten: Die Herren sahen mehr oder weniger wie Brüder aus, allen war eine gewisse joviale Gutmütigkeit eigen und fast keiner hatte irgend eine originelle Ansicht, Geist oder tiefere Bildung. Die Frauen hingegen verkörperten eher Individualitäten, sie waren ihren Männern und Gatten an Bildung und Verstand überlegen, wußten dies auch und bildeten untereinander eine Art Freimaurerschaft im Kampfe gegen den Mann, der unterjocht werden mußte. Und noch etwas stellte er mit behaglichem Lächeln fest: während der Engländer zugeknöpft, reserviert und diskret bis zur Unnahbarkeit ist, verkörpert der Durchschnittsamerikaner, besonders der, der nicht als Yankee zu betrachten ist, die unerhörteste Indiskretion, erzählt unaufgefordert die intimsten Dinge aus dem eigenen Leben und fragt einen Unbekannten aus, wie ein Detektiv. So mußte auch Zeller von sich selbst berichten, warum er eigentlich nach Amerika gefahren sei, alles Wissenswerte erzählen und gewissermaßen seine Biographie zum besten geben. Viel hatte er allerdings nicht zu erzählen. Er entstammte einer alten, vornehmen Baseler Familie, hatte aber in Deutschland studiert und fühlte sich ganz als Deutscher, um so mehr, als seine Eltern längst gestorben waren und er den Zusammenhang mit seiner Heimat verloren hatte. Seit einigen Jahren war er Professor für Botanik an der Universität von Göttingen, aber eben vor Antritt seiner Amerikareise hatte er eine Berufung an die uralte deutsche Universität in Prag bekommen und angenommen. Das nächste Wintersemester würde ihn schon in der böhmischen Hauptstadt finden.

      So ganz glatt verlief Zellers Bericht aber nicht. Die meisten seiner Zuhörer hatten keine Ahnung, wo und was Göttingen sei, Prag war für sie einfach eine deutsche Stadt, und als er es für die Hauptstadt von Böhmen erklärte, war die Verwirrung erst recht groß. Denn Bohemia, das erinnerte an Bohemien, also an die Zigeuner, die man in der Großstadt im Kaffeehaus fiedeln hörte, also konnte Prag nur die Hauptstadt von Ungarn sein. Immerhin – das alles ließ sich mit Humor aufklären, das Gespräch floß heiter dahin, und der Professor benützte geschickt jede Gelegenheit, um seinerseits Fragen zu stellen und sich über die Verhältnisse im Süden der Vereinigten Staaten zu orientieren.

      Indessen bediente der schwarze Diener lautlos und behend; mit außerordentlicher Geschicklichkeit füllte er die Gläser mit eisgekühlten Getränken, balancierte die vollgeladene Tablette mit der Geschicklichkeit eines Akrobaten, tauchte auf, wenn einer der Herren seine Zigarre in Brand stecken wollte, verschwand blitzschnell, wenn er nicht unmittelbar benötigt wurde. Zeller hatte die geschmeidigen Bewegungen des Negers unwillkürlich mit ästhetischem Behagen beobachtet und hielt den Moment für gekommen, das Gespräch auf das heikle Rassenthema zu bringen. »Meine Damen und Herren,« sagte er, als gerade das allgemeine Gespräch stockte und der Diener nicht in Hörweite war. »Ich kann mit bestem Willen diese allgemeine Abneigung gegen die Farbigen nicht begreifen. Was ich von ihnen bisher gesehen habe, gefällt mir. Im Varieté sind sie prachtvolle Tänzer und Komiker, als Diener erscheinen sie mir williger, geschickter und freundlicher als weiße Dienerschaft, sie gelten als die zärtlichsten und aufopferungsvollsten Kinderpflegerinnen, sind gute Köche, Barbiere und Kutscher – woher also die maßlose, mit Haß gemengte Verachtung, die man ihnen überall, im Norden und im Westen, ganz besonders aber hier im Süden, entgegenbringt?«

      Diese Worte waren das Signal zu einer aufgeregten Unterhaltung. Ein Schnellfeuer von Zurufen prasselte auf Professor Zeller nieder, man umringte und bedrängte ihn, und sogar die Ladies gingen aus ihrer Reserviertheit heraus und beteiligten sich an der Wechselrede.

      Neger sind gut abgerichtete Diener, Barbiere und


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