Der Trotzkopf. Emmy von Rhoden

Der Trotzkopf - Emmy von Rhoden


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blieb er vor dem Oberamtmann stehen. »Es hilft nichts, lieber Freund«, sagte er, »das Wort muß heraus. Es geht nicht mehr so weiter; wir können dieses unbändige Kind nicht zügeln, es ist uns über den Kopf gewachsen.«

      Der Oberamtmann sah den Pfarrer verwundert an. »Wie meinen Sie das?« fragte er. »Ich verstehe Sie nicht.«

      »Meine Meinung ist, geradeheraus gesagt, die«, fuhr der Pfarrer fort, »das Kind muß fort von hier, in ein Pensionat.«

      »Ilse in ein Pensionat? Aber warum? Sie hat doch nichts verbrochen!« rief Herr Macket erschrocken.

      »Verbrochen?« wiederholte lächelnd der Pfarrer. »Nein, nein, das hat sie nicht! Aber muß denn ein Kind erst etwas Böses getan haben, um in ein Institut zu kommen? Es ist doch keine Strafanstalt! Hören Sie mich ruhig an, lieber Freund!« fuhr er besänftigend fort und legte die Hand auf Mackets Schulter, als er sah, daß der Oberamtmann heftig auffahren wollte. »Sie wissen, wie ich Ilse liebe, und Sie wissen auch, daß ich nur das Beste für sie im Auge habe. Nun wohl, ich habe reiflich überlegt und bin zu dem Schluß gekommen, daß Sie, Ihre Frau und ich nicht Macht genug besitzen, das Mädchen zu erziehen. Sie trotzt uns allen dreien. Soeben hat sie wieder ein klares Beispiel ihrer widerspenstigen Natur gegeben.«

      Der Oberamtmann trommelte mit den Fingern auf dem Tisch. »Das war eine Ungezogenheit, die ich bestrafen werde«, sagte er. »Etwas Schlimmes kann ich nicht darin finden. Lieber Himmel, Ilse ist jung, noch halb ein Kind, und Jugend muß sich austoben! Weshalb soll man einem übermütigen Mädchen so strenge Fesseln anlegen und es Knall und Fall in ein Pensionat bringen? —Was sagst du dazu, Anne?« wandte er sich an seine Frau. »Du denkst wie ich, nicht wahr?«

      »Ich dachte wie du«, entgegnete Frau Anne, »vor einem Jahr, als ich dieses Haus betrat. Heute urteile ich anders, heute muß ich dem Herrn Pfarrer recht geben. Ilse ist schwer zu erziehen, trotz aller Herzensgüte, die sie besitzt. Gewöhnlich geschieht das Gegenteil von dem, was ich ihr sage. Bitte ich sie, ihre Aufgaben zu machen, so tut sie entweder, als hätte sie mich nicht verstanden, oder sie nimmt unwillig ihre Bücher, wirft sie auf den Tisch, setzt sich davor und unterhält sich mit allerhand Unsinn. Nach kurzer Zeit erhebt sie sich wieder – und fort ist sie. Da hilft kein gütiges Zureden, keine Strenge; sie will nicht! Frage den Herrn Pfarrer, wie ungleichmäßig Ilses wissenschaftliches Interesse ist, wie sie zuweilen sogar noch orthographische Fehler macht!«

      »Was kommt‘s bei einem Mädchen darauf an!« entgegnete Herr Macket und erhob sich. »Eine Gelehrte soll sie nicht werden; wenn sie einen Brief schreiben kann und das Einmaleins gelernt hat, weiß sie genug.«

      Der Pfarrer lächelte. »Das ist nicht Ihr Ernst, lieber Freund. Oder würde es Ihnen Freude machen, wenn man von Ihrer Tochter sagen dürfte: ›Ilse Macket ist dumm und langweilig, sie ist so ungebildet, daß man mit ihr über gar nichts sprechen kann.‹ Ilse hat gute Anlagen, es fehlt ihr nur der Wille, die Lust zum Lernen. Beides wird sich einstellen, sobald sie unter junge Mädchen ihres Alters kommt. Die gemeinsame Arbeit wird ihren Ehrgeiz wecken und ihr bester Lehrmeister sein.«

      Die Wahrheit dieser Worte leuchteten Herrn Macket ein, aber die Liebe zu seinem Kind ließ es ihn nicht laut eingestehen. Der Gedanke, sich von Ilse trennen zu müssen, war ihm furchtbar.

      Frau Anne empfand, was im Herzen ihres Mannes vorging; liebevoll trat sie zu ihm und ergriff seine Hand. »Denke nicht, daß ich hart bin, Richard, wenn ich für den Vorschlag unseres Freundes stimme!« sagte sie. »Ilse steht jetzt an der Grenze zwischen Kind und Mädchen, noch hat sie Zeit, das Versäumte nachzuholen und ihre unbändige Natur zu zügeln.«

      »Ich wüßte ein Institut in W., das ich für Ilse bestens empfehlen könnte«, erklärte der Pfarrer. »Die Vorsteherin ist mir gut bekannt, sie ist eine außerordentlich tüchtige und sehr gescheite Dame. Ilse würde dort den besten Unterricht und die liebevollste Pflege finden. Und welch ein Vorzug wäre die wunderbare Lage dieses Ortes! Die Berge ringsum, die herrliche Luft…«

      »Ja, ja«, unterbrach Herr Macket abwehrend, »ich glaube das alles gern! Aber laßt mir Zeit, bestürmt mich nicht weiter! Ein so wichtiger Entschluß, selbst wenn er notwendig ist, bedarf reiflicher Überlegung.«

      Am andern Morgen, es war noch sehr früh, traf der Oberamtmann sein Töchterchen, als es eben im Begriff war, auf die Wiese hinauszureiten, um das Heu mit einzuholen. Ilse saß auf einem der Pferde, die vor den Leiterwagen gespannt waren: »Guten Morgen, Papachen!« rief sie ihm schon von weitem laut entgegen. »Wir wollen auf die Wiese fahren, das Heu muß herein; der Hofmeister sagt, wir bekämen gegen Mittag ein Gewitter. Ich will gleich mit aufladen helfen.«

      Herrn Macket fielen die Worte seiner Frau vom gestrigen Abend ein. Ilse sah in diesem Augenblick kaum wie ein Mädchen aus, eher glich sie einem wilden Buben. Wie ein richtiger Junge saß sie auf dem Pferd und ließ die Füße an beiden Seiten herunterhängen. Das kurze Kleid ließ die unordentlichen, bunten Strümpfe sehen, und die hohen plumpen Lederstiefel waren sichtlich seit Tagen nicht gereinigt. Das Mädchen bot kein anmutiges Bild.

      »Steig ab, Ilse!« sagte Herr Macket, dicht zu ihr tretend, um ihr zu helfen; »du wirst jetzt nicht auf die Wiese reiten, hörst du, sondern deine Aufgaben machen!«

      Es war das erstemal in Ilses Leben, daß der Vater in so bestimmtem Ton zu ihr sprach. Sehr verwundert blickte sie ihn an, aber sie machte keine Miene, seiner Aufforderung Folge zu leisten. Sie schlug die Arme ineinander und fing an, herzlich zu lachen. »Hahahaha, arbeiten soll ich! Du kleiner reizender Papa, wie kommst du denn auf diesen komischen Einfall? Mach nur nicht ein so böses Gesicht! Weißt du, wie du jetzt aussiehst? Gerade wie Mademoiselle, die letzte, Papa, von den vielen, wenn sie böse war. ›Fräulein Ilse, gehen Sie auf Ihr Simmer, mais tout de suite! Aben Sie mir compris?‹ Dabei zog sie die Stirn in Falten und riß die Augen auf – so.« Ilse versuchte es nachzuahmen. »Oh, es war zu himmlisch! Leb wohl, Papachen! Zum Frühstück komm‘ ich zurück.« Sie warf ihm noch eine Kußhand zu, lachte ihn schelmisch an, und fort ging es im lustigen Trab hinaus auf die Wiese, in den taufrischen Sommermorgen hinein.

      Herr Macket schüttelte den Kopf. Mit einemmal stiegen ernstliche Bedenken in ihm auf. Er fand den Gedanken, Ilse in ein Pensionat zu geben, heute weniger unerträglich als gestern. Seine Tochter hatte ihm soeben den Beweis gegeben, daß sie auch ihm Widerstand entgegensetzte. Er ging in das Speisezimmer und trat von dort auf die Veranda, die sich weinumrankt an der Vorderseite des Hauses entlangzog. Seine Frau erwartete ihn dort am gedeckten Frühstückstisch. Ganz gegen seine Gewohnheit war er still und einsilbig.

      »Gab es Unannehmlichkeiten?« fragte Frau Anne und reichte ihm den Kaffee.

      »Nein«, entgegnete Herr Macket mürrisch. Er hielt einen Augenblick inne, als würde es ihm schwer, weiterzusprechen, dann fuhr er fort: »Ich habe über unser gestriges Gespräch nachgedacht und den Entschluß gefaßt, Ilse zum 1. Juli in das Pensionat zu geben. Wirst du imstande sein, bis zu dem Zeitpunkt alles zu Ilses Abreise vorzubereiten? Wir haben heute den 12. Juni.«

      »Ja, das kann ich wohl, lieber Richard; aber verzeih, mir kommt dein Entschluß etwas übereilt vor. Wird er dich nicht gereuen? Laß Ilse die schönen Sommermonate noch ihre Freiheit genießen, und gib sie erst zum Herbst fort! Der Abschied wird ihr dann weniger schwer werden.«

      »Nein, keine Änderung!« sagte Herr Macket, der befürchtete, bei einem längeren Hinausschieben wieder schwach zu werden. »Es bleibt dabei: zum 1. Juli wird sie angemeldet.«

      Nach einigen Stunden kehrte Ilse wohlgemut, mit erhitzten Wangen und über und über mit Heu bestreut, zum zweiten Frühstück zurück. Ohne sich umzukleiden und die Hände zu reinigen, trat sie höchst vergnügt auf die Veranda. »Da bin ich!« rief sie. »Bin ich lange fortgeblieben? Ich sag‘ dir, Papa, das Heu ist wunderbar! Nicht einen Tropfen Regen hat es bekommen! Du wirst deine Freude daran haben. Der Hofmeister meint, so gut hätten wir es seit Jahren nicht hereingebracht.«

      »Laß das Heu jetzt, Ilse«, entgegnete Herr Macket, »und höre zu, was ich dir sagen werde!« Es wurde ihm nicht leicht, von dem einmal gefaßten Entschluß zu sprechen; seine Stimme klang ernst.

      Ilse war vergnügt wie immer und schenkte seiner Stimmung keine Beachtung. Ihr Augenmerk war auf den reichgedeckten Frühstückstisch


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