Wachtmeister Studer. Friedrich Glauser
junges Roß, wenn es die Geißel klepfen hört.«
Das sei so ähnlich, meinte Studer, wie bei den Gärtnern, die hätten es auch nicht gern, wenn man sie ›Krauterer‹ nenne. Oder nicht?
Der Ellenberger lachte ein tiefes Baßlachen, zwinkerte mit den faltigen Lidern, saugte die Lippen zwischen die Bilgeren und schwieg. Sein Gesicht blieb eine lange Weile starr; es wirkte uralt und grotesk.
Sie saßen um den kleinen Tisch und hatten nicht richtig Platz. Neben ihnen stand ein Fenster offen, es war schwül, ein heißer Wind strich draußen vorbei, und der Himmel war mit einer giftiggrauen Salbe verschmiert.
Die Kellnerin hatte unaufgefordert vier hohe Gläser mit Bier auf den Tisch gestellt.
»G‘sundheit«, sagte Studer, hob das Glas, kippte es in den Mund, setzte es ab. Weißer Schaum blieb an seinem Schnurrbart kleben. »Aaah…«
Mit Daumen und Zeigefinger ließ der Ellenberger sein Glas langsame Tänze auf der Kartonunterlage ausführen. Dann fragte er plötzlich:
»Wißt Ihr etwas vom Schlumpf?«
— Er habe ihn heut morgen verhaftet… sagte Studer leise. — Wo? — Bei der Mutter.
Schweigen. Der alte Ellenberger schüttelte den Kopf, so, als sei ihm irgend etwas nicht klar.
— Die Tschu… die Fahnder hätten nicht immer eine schöne Büetz, meinte er dann trocken. Den Sohn von der Mutter wegholen… Er, für sein Teil, tue lieber Rosen okulieren oder allenfalls im Winter rigolen.
Der Notar Münch trommelte verlegen auf der Marmorplatte und schraubte an seinem Hals. Der kleine Dicke, der Cottereau hieß und also jener Obergärtner war, der die Leiche gefunden hatte, schneuzte sich in ein großes rotes Taschentuch.
Studer ließ das Schweigen über dem Tisch liegen und blickte am alten Ellenberger vorbei durchs Fenster.
»Und? Wie gehts dem Schlumpf?« fragte der Alte böse.
»Oh«, sagte Studer ruhig, »er hat sich aufgehängt.«
Der Notar schmatzte hörbar, er blickte seinen Freund Studer verblüfft an, aber der Ellenberger sprang vom Stuhl auf, stützte die Fäuste auf den Tisch und fragte laut:
»Was sagst du? Was sagst du?«
»Ja«, wiederholte Studer friedlich, »er hat sich aufgehängt. Ihr scheint Euch sehr für den Burschen zu interessieren?«
»Ah bah!« wehrte der Ellenberger ab. »Ich hab ihn nicht ungern gesehen. Er hat sich gut gehalten bei mir… Und jetzt ist er tot… So, so… Der Zweite, den die alte Hex‘ auf dem Gewissen hat, sie und ihr… und ihr…« Der Ellenberger unterbrach sich. »Also tot ist er?« fragte er noch einmal.
— Das habe er nicht gesagt, meinte Studer und betrachtete kritisch seine Brissago. Er sei noch zur rechten Zeit gekommen, um den Schlumpf — man könne ja sagen: zu retten, obwohl…
»Also ist er nicht tot? Und wo ist er jetzt, der Schlumpf?«
»In Thun«, sagte Studer gemütlich und versteckte seine Augen unter seinen Lidern. »In Thun, in der Kischte.« Er, Studer, habe auch mit dem Untersuchungsrichter geredet, ein gäbiger Mann, der Fall sei nicht hoffnungslos, aber dunkel, dunkel… Das sei das Elend.
»Und das Gericht will klare Fälle, das gibt schöne Verhandlungen… Aber der Schlumpf leugnet alles ab, der Fall kommt vor die Assisen, natürlich… Und man weiß ja, wie Geschworene sind…« Das alles unterbrochen von langen Zügen, abwechselnd am Bierglas und an der Brissago.
»Aber«, fuhr Studer fort, »Ihr habt da einen Satz nicht beendigt. Wen habt Ihr gemeint mit der Hexe? Die Frau Witschi?«
Ellenberger wich der Frage aus.
»Wenn Ihr etwas wissen wollt, Wachtmeister, müßt Ihr nach Gerzenstein kommen, Euch das Kaff anschauen. Es lohnt sich…« Dann seufzend: »Ja, der Witschi hat‘s nicht gut gehabt. Hat mir oft geklagt, der alte Schnapser… Aber viele saufen… Heiratet nie, Wachtmeister.«
— Er sei schon verheiratet, sagte Studer, und könne nicht klagen. — So, geschnapst habe der Witschi? — Ja, meinte der Ellenberger, so arg, daß der Aeschbacher, der Gemeindepräsident — der Mann schaue aus wie eine Sau, die den Rotlauf habe — den Witschi habe nach Hansen versenken wollen… (Hansen nennt man im Kanton Bern die Arbeitsanstalt St. Johannsen).
Nach einer Weile fragte der Ellenberger:
»Hat er von mir gesprochen, der Erwin?«
Studer bejahte. Der Schlumpf habe seinen Meister gerühmt. Seit wann denn der Ellenberger der Fürsorge für entlassene Sträflinge beigetreten sei?
»Fürsorge?« Die Fürsorge könne ihm gestohlen werden. Er brauche billige Arbeitskräfte, voilá tout. Und daß er die Burschen anständig behandle, das gehöre zum Geschäft, sonst würden sie ihm wieder drauslaufen. Er, der Ellenberger, sei zuviel in der Welt herumgekommen, die braven Leute brächten ihn zum Kotzen, aber die schwarzen Schafe, wie man so schön sage, die sorgten für Abwechslung. Von einem Tag auf den andern könne man in der schönsten Kriminalgeschichte drinnen stecken, an einem Mordfall beteiligt sein, par exemple, und dann werde es spaßig.
Der alte Ellenberger stand auf:
»Ich muß heim, Wachtmeister, komm, Cottereau… Ich denk, wir werden uns noch einmal sehen… Besuchet mich dann, wenn Ihr nach Gerzenstein kommt… Läbet wohl…«
Der alte Ellenberger winkte der Kellnerin, sagte: »Alles«, gab ein zünftiges Trinkgeld. Dann schritt er zur Tür. Das letzte, das Wachtmeister Studer an dem Alten feststellte, war sicher merkwürdig genug: Der Ellenberger trug zu einem schlechtsitzenden Anzug aus Halbleinen ein Paar braune, moderne Halbschuhe. Die schwarzen Socken, die unter den zu kurzen Hosen hervorlugten, waren aus schwarzer Seide…
Am nächsten Morgen schrieb Wachtmeister Studer seinen Rapport. Das Bureau roch nach Staub, Bodenöl und kaltem Zigarrenrauch. Die Fenster waren geschlossen. Draußen regnete es, die paar warmen Tage waren eine Täuschung gewesen, ein saurer Wind blies durch die Straßen und Studer war schlechter Laune. Wie sollte man diesen Rapport schreiben? Vielmehr, was schreiben, was auslassen?
Da rief eine Stimme von der Türe her seinen Namen.
»Wa isch los?«
»Der Untersuchungsrichter von Thun hat telephoniert. Du sollst nach Gerzenstein fahren… Du hast doch gestern den Schlumpf verhaftet! Wie ist‘s gegangen?«
— Der Schlumpf habe ihm durchbrennen wollen auf dem Bahnhof, sagte Studer, aber es habe nicht gelangt. Dabei blieb er sitzen und schaute von unten her auf den Polizeihauptmann.
»Eh«, sagte der Hauptmann, »dann laß den Rapport sein. Kannst ihn später schreiben. Fahr jetzt ab. Am besten wär‘s, du würdest noch ins Gerichtsmedizinische gehen. Vielleicht erfährst du etwas.«
Das habe er sowieso machen wollen, sagte Studer brummig, stand auf, nahm seinen Regenmantel, trat vor einen kleinen Spiegel und bürstete seinen Schnurrbart. Dann fuhr er zum Inselspital.
Der Assistent, der ihn empfing, trug eine wunderbar rot und schwarz gewürfelte Krawatte, die unter dem steifen Umlegkragen zu einem winzigen Knötchen zusammengezogen war. Wenn er sprach, legte er die Finger der einen Hand flach auf den Ballen der anderen und musterte mit kritischer, leicht angeekelter Miene seine Fingernägel.
»Witschi?« fragte der Assistent. »Wann ist er gekommen?«
»Mittwoch, Mittwochabend, Herr Doktor«, antwortete Studer und gebrauchte sein schönstes Schriftdeutsch.
»Mittwoch? Warten Sie, Mittwoch sagen Sie? Ach, ich weiß jetzt, die Alkoholleiche …
»Alkoholleiche?« fragte Studer.
»Ja, denken Sie, 2,1 pro Mille Alkoholkonzentration im Blut. Der Mann muß gesoffen haben, bevor er erschossen wurde… Na, ich sage Ihnen, Herr Kommissär…«
»Wachtmeister«, stellte Studer trocken fest.
»Wir