Die Räuber. Friedrich von Schiller
der alten Urahne Zeit unter Sonn und Mond und allen Fixsternen schweben, wo selbst die unvernünftigen Vögel des Himmels, von edler Begierde herbeigelockt, ihr himmlisches Konzert musizieren, und die Engel mit Schwänzen ihr hochheiliges Synedrium halten? Nicht wahr? — Und wenn Monarchen und Potentaten von Motten und Würmern verzehrt werden, die Ehre haben zu dürfen, von Jupiters königlichem Vogel Visiten anzunehmen? — Moritz, Moritz, Moritz! nimm dich in acht! nimm dich in acht, vor dem dreibeinigten Tiere!
SPIEGELBERG. Und das schröckt dich, Hasenherz? ist doch schon manches Universalgenie, das die Welt hätte reformieren können, auf dem Schindanger verfault, und spricht man nicht von so einem Jahrhunderte, Jahrtausende lang, da mancher König und Kurfürst in der Geschichte überhüpft würde, wenn sein Geschichtschreiber die Lücke in der Successionsleiter nicht scheute und sein Buch dardurch nicht um ein paar Oktavseiten gewönne, die ihm der Verleger mit barem Gelde bezahlt — Und wenn dich der Wanderer so hin und her fliegen sieht im Winde — der muß auch kein Wasser im Hirn gehabt haben, brummt er in den Bart, und seufzt über die elenden Zeiten.
SCHWEIZER klopft ihn auf die Achsel. Meisterlich, Spiegelberg! Meisterlich! Was zum Teufel, steht ihr da, und zaudert?
SCHWARZ. Und laß es auch Prostitution heißen — Was folgt weiter? Kann man nicht auf den Fall immer ein Pülverchen mit sich führen, das einen so im stillen übern Acheron fördert, wo kein Hahn darnach kräht? Nein, Bruder Moritz! dein Vorschlag ist gut. So lautet auch mein Katechismus.
SCHUFTERLE. Blitz! Und der meine nicht minder. Spiegelberg, du hast mich geworben!
RAZMANN. Du hast, wie ein anderer Orpheus, die heulende Bestie, mein Gewissen in den Schlaf gesungen. Nimm mich ganz, wie ich da bin!
GRIMM. Si omnes consentiunt ego non dissentio. Wohlgemerkt, ohne Komma! Es ist ein Aufstreich in meinem Kopf: Pietisten — Quacksalber — Rezensenten und Jauner. Wer am meist enbietet, der hat mich. Nimm diese Hand, Moritz!
ROLLER. Und auch du, Schweizer? Gibt Spiegelberg die rechte Hand. Also verpfänd ich meine Seele dem Teufel.
SPIEGELBERG. Und deinen Namen den Sternen! Was liegt daran, wohin auch die Seele fährt? Wenn Scharen vorausgesprengter Kuriere unsere Niederfahrt melden, daß sich die Satane festtäglich herausputzen, sich den tausendjährigen Ruß aus den Wimpern stäuben und Myriaden gehörnter Köpfe aus der rauchenden Mündung ihrer Schwefelkamine hervorwachsen, unsern Einzug zu sehen? Kameraden! Aufgesprungen. Frisch auf! Kameraden! Was in der Welt wiegt diesen Rausch des Entzückens auf? Kommt, Kameraden!
ROLLER. Sachte nur! sachte! Wohin? Das Tier muß auch seinen Kopf haben, Kinder.
SPIEGELBERG giftig. Was predigt der Zauderer? Stand nicht der Kopf schon, eh noch ein Glied sich regte? Folgt, Kameraden.
ROLLER. Gemach sag ich. Auch die Freiheit muß ihren Herrn haben. Ohne Oberhaupt ging Rom und Sparta zugrunde.
SPIEGELBERG geschmeidig. Ja — haltet — Roller sagt recht. Und das muß ein erleuchteter Kopf sein. Versteht ihr? Ein feiner, politischer Kopf muß das sein! Ja! wenn ich mirs denke, was ihr vor einer Stunde waret, was ihr itzt seid, — durch einen glücklichen Gedanken seid — ja freilich, freilich müßt ihr einen Chef haben — und wer diesen Gedanken entsponnen, sagt, muß das nicht ein erleuchteter politischer Kopf sein?
ROLLER. Wenn sichs hoffen ließe — träumen ließe — aber ich fürchte, er wird es nicht tun.
SPIEGELBERG. Warum nicht? Sags keck heraus, Freund! — So schwer es ist, das kämpfende Schiff gegen die Winde zu lenken, so schwer sie auch drückt, die Last der Kronen — sags unverzagt, Roller, — vielleicht wird ers doch tun.
ROLLER. Und leck ist das Ganze, wenn ers nicht tut. Ohne den Moor sind wir Leib ohne Seele.
SPIEGELBERG unwillig von ihm weg. Stockfisch!
MOOR tritt herein in wilder Bewegung und läuft heftig im Zimmer auf und nieder, mit sich selber. Menschen — Menschen! falsche, heuchlerische Krokodilbrut! Ihre Augen sind Wasser! Ihre Herzen sind Erzt! Küsse auf den Lippen! Schwerter im Busen! Löwen und Leoparden füttern ihre Jungen, Raben tischen ihren Kleinen auf dem Aas, und Er, Er — Bosheit hab ich dulden gelernt, kann dazu lächeln, wenn mein erboster Feind mir mein eigen Herzblut zutrinkt — aber wenn Blutliebe zur Verräterin, wenn Vaterliebe zur Megäre wird, o so fange Feuer, männliche Gelassenheit, verwilde zum Tiger, sanftmütiges Lamm, und jede Faser recke sich auf zu Grimm und Verderben.
ROLLER. Höre, Moor! Was denkst du davon? Ein Räuberleben ist doch auch besser, als bei Wasser und Brot im untersten Gewölbe der Türme?
MOOR. Warum ist dieser Geist nicht in einen Tiger gefahren, der sein wütendes Gebiß in Menschenfleisch haut? Ist das Vatertreue? Ist das Liebe für Liebe? Ich möchte ein Bär sein, und die Bären des Nordlands wider dies mörderische Geschlecht anhetzen — Reue, und keine Gnade! — Oh ich möchte den Ozean vergiften, daß sie den Tod aus allen Quellen saufen! Vertrauen, unüberwindliche Zuversicht, und kein Erbarmen!
ROLLER. So höre doch, Moor, was ich dir sage!
MOOR. Es ist unglaublich, es ist ein Traum, eine Täuschung — So eine rührende Bitte, so eine lebendige Schilderung des Elends und der zerfließenden Reue — die wilde Bestie wär in Mitleid zerschmolzen! Steine hätten Tränen vergossen, und doch — man würde es für ein boshaftes Pasquill aufs Menschengeschlecht halten, wenn ichs aussagen wollte — und doch, doch — oh, daß ich durch die ganze Natur das Horn des Aufruhrs blasen könnte, Luft, Erde und Meer wider das Hyänengezücht ins Treffen zu führen!
GRIMM. Höre doch, höre! vor Rasen hörst du ja nicht.
MOOR. Weg, weg von mir! Ist dein Name nicht Mensch? Hat dich das Weib nicht geboren? — Aus meinen Augen, du mit dem Menschengesicht! — Ich hab ihn so unaussprechlich geliebt! so liebte kein Sohn, ich hätte tausend Leben für ihn — Schäumend auf die Erde stampfend. Ha! wer mir itzt ein Schwert in die Hand gäb, dieser Otterbrut eine brennende Wunde zu versetzen! wer mir sagte, wo ich das Herz ihres Lebens erzielen, zermalmen, zernichten — er sei mein Freund, mein Engel, mein Gott — ich will ihn anbeten!
ROLLER. Eben diese Freunde wollen ja wir sein, laß dich doch weisen!
SCHWARZ. Komm mit uns in die böhmischen Wälder! Wir wollen eine Räuberbande sammeln, und du — Moor stiert ihn an.
SCHWEIZER. Du sollst unser Hauptmann sein! du mußt unser Hauptmann sein!
SPIEGELBERG wirft sich wild in einen Sessel. Sklaven und Memmen!
MOOR. Wer blies dir das Wort ein? Höre, Kerl! Indem er Schwarzen hart ergreift. Das hast du nicht aus deiner Menschenseele hervorgeholt! Wer blies dir das Wort ein? Ja, bei dem tausendarmigen Tod! das wollen wir, das müssen wir! Der Gedanke verdient Vergötterung — Räuber und Mör der! — So wahr meine Seele lebt, ich bin euer Hauptmann!
ALLE mit lärmendem Geschrei. Es lebe der Hauptmann!
SPIEGELBERG aufspringend, vor sich. Bis ich ihm hinhelfe!
MOOR. Siehe, da fällts wie der Star von meinen Augen! was für ein Tor ich war, daß ich ins Käficht zurückwollte! — Mein Geist dürstet nach Taten, mein Atem nach Freiheit, — Mörder, Räu ber! — mit diesem Wort war das Gesetz unter meine Füße gerollt — Menschen haben Menschheit vor mir verborgen, da ich an Menschheit appellierte, weg dann von mir Sympathie und menschliche Schonung! — Ich habe keinen Vater mehr, ich habe keine Liebe mehr, und Blut und Tod soll mich vergessen lehren, daß mir jemals etwas teuer war! Kommt, kommt! — Oh ich will mir eine fürchterliche Zerstreuung machen — es bleibt dabei, ich bin euer Hauptmann! Und Glück zu dem Meister unter euch, der am wildesten sengt, am gräßlichsten mordet, denn ich sage euch, er soll königlich belohnet werden — tretet her um mich ein jeder und schwöret mir Treu und Gehorsam zu bis in den Tod! — schwört mir das bei dieser männlichen Rechte!
ALLE geben ihm die Hand. Wir schwören dir Treu und Gehorsam bis in den Tod!
MOOR. Nun, und bei dieser männlichen Rechte! schwör ich euch hier, treu und