Der Waldläufer. Gabriel Ferry

Der Waldläufer - Gabriel  Ferry


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so verlassen; ein geheimes Gefühl sagte ihm, daß er einen mächtigen und durch seine herkulische Stärke, seine Unerschrockenheit und seine Geschicklichkeit furchtbaren Freund gefunden habe; Bois-Rosé seinerseits sah vergnügt lächelnd zu, wie er aß, und wurde sich immer klarer bewußt, daß sein Herz dem jungen Mann entgegenschlug.

      »Nun, mein Junge«, sagte der Jäger, »die Indianer haben die Sitte, ihre Gäste, die sie bei sich empfangen, erst dann nach Namen und Stand zu fragen, wenn sie unter ihrem Dach gegessen haben. Ihr befindet Euch hier bei mir, Ihr habt von meinem Mahl gegessen – darf ich Euch jetzt wohl fragen, wer Ihr seid und was auf der Hacienda vorgefallen ist, daß man Euch dort einen solchen Empfang bereitet hat?«

      »Recht gern«, antwortete Tiburcio. »Aus Gründen, deren Kenntnis Euch nicht interessieren dürfte, hatte ich meine Hütte verlassen, um mich nach der Hacienda del Venado zu begeben. Mein Pferd stürzte mitten auf der Straße vor Durst und Mattigkeit unter mir zusammen, und der Leichnam des armen Tieres war es, der den Puma und die beiden Jaguare herbeigezogen hatte, die Ihr und Euer Gefährte so kühn und geschickt getötet habt.«

      »Hm«, sagte lächelnd der Kanadier, »das ist ein ziemlich erbärmliches Geschäft; doch fahrt fort. Welche Beweggründe kann man haben, einen jungen Mann zu hassen, der kaum aus dem Jünglingsalter herausgetreten ist? Denn ich wette, Ihr seid noch nicht älter als zwanzig Jahre.«

      »Vierundzwanzig«, antwortete Tiburcio; »doch ich fahre in meiner Erzählung fort. Ich selbst hätte beinahe das Schicksal meines Pferdes geteilt, und als ihr beide während des Nachtlagers an der Poza zu uns kamt, hatte der Reiterzug, bei dem ich damals war, kaum einige Stunden früher mich sterbend vor Fieber und Durst auf offener Straße gefunden, und ich kann nicht recht klar darüber werden, warum diese Leute mich damals nur gerettet haben, um später einen Mordversuch an mir zu begehen.«

      »Aus Eifersucht vielleicht«, sagte lächelnd der Kanadier; »das ist immer die Geschichte der ersten Jugend.« »Ich gestehe es ein«, antwortete Tiburcio etwas verwirrt; »aber es gibt noch einen anderen Grund: das ist nämlich ein Geheimnis von außerordentlicher Wichtigkeit, das ich mit ihnen teile und dessen ausschließlichen Besitz sie sich allein sichern wollen. Es ist Tatsache, daß es drei Menschen gibt, denen mein Leben im Wege steht; aber unter ihnen gibt es auch einen, an dem Rache zu nehmen ich habe schwören müssen; und obgleich einer gegen drei, muß ich doch den Eid erfüllen, den ich auf dem Totenbett einer Person geschworen habe, die mir sehr teuer war!« (Tiburcio schrieb immer Don Estévan den Mord Arellanos‘ zu.)

      Das Auge des Kanadiers folgte mit Teilnahme dem bewegten Antlitz Tiburcios und gab heimlich diesem jugendlichen Feuer seinen Beifall, das ihn die Gefahr gar nicht ermessen ließ. »Aber Ihr habt mir Euren Namen nicht genannt«, sagte Bois-Rosé zögernd.

      »Mein Name ist Tiburcio Arellanos.«

      Der Kanadier konnte einen Seufzer nicht unterdrücken, als er diesen Namen hörte, der ihn aus seinen Träumereien in die Wirklichkeit zurückführte.

      »Ruft dieser Name Euch irgendeine Erinnerung zurück?« rief Tiburcio. »Mein Ad…« – Tiburcio wollte sagen: Mein Adoptivvater, aber er hielt inne und fuhr fort: »Arellanos ist oft durch Steppen gereist, wo Ihr ihm hättet begegnen können; er war der berühmteste Gambusino in einer Gegend, die eine große Anzahl berühmter aufzuweisen hat.«

      »Ich höre diesen Namen zum erstenmal«, antwortete Bois-Rosé; »Euer Aussehen allein … ruft mir … Ereignisse zurück, die schon längst vergangen sind …« Der Jäger beendete seine Rede nicht und schwieg. Tiburcio seinerseits, der sich noch lebhafter an alles erinnerte, was sich in der Hacienda zugetragen hatte, schwieg ebenfalls und hielt es für eine Gunst des Himmels, mit den beiden Jägern zusammengetroffen zu sein; das Geheimnis des Val d‘Or, das einem einzelnen Mann wie ihm unnütz war, wurde mit diesen beiden mächtigen Bundesgenossen eine kostbare Hilfsquelle und ein Pfand für den Erfolg seiner Liebe in den Augen Don Agustins; er beschloß also dem Kanadier unmittelbar Eröffnungen darüber zu machen.

      Dennoch zögerte er noch einen Augenblick. Um den Preis des Goldes das Herz Rosaritas sozusagen erkaufen, das er einem zärtlicheren Gefühl für unzugänglich hielt, widerstrebte der uneigennützigen Liebe, die er selbst ihr gelobt hatte; aber trotz des Eides, den er sich schwor, sie nicht wiederzusehen, siegte doch ein Rest von Hoffnung, die niemals ganz in einem recht verliebten Herzen stirbt, über seinen Widerstand. Wird es nicht immer so mit den Schwüren Verliebter sein?

      »Ihr seid Eurem Gewerbe nach ein Jäger, habt Ihr gesagt, wenn ich mich nicht täusche«, begann Tiburcio, das Schweigen unterbrechend; »das ist kein gewinnbringendes und ein sehr gefährliches Handwerk.«

      »Es ist kein Handwerk«, antwortete der Kanadier; »es ist für alle ein edler Stand – für Pepe zum Beispiel. Für mich ist es der Beruf meines Lebens. Meine Vorfahren haben gejagt, und ich habe – nach einer kurzen Unterbrechung – den Stand, den meine Vorfahren auf mich vererbt haben, wieder ergriffen … Unglücklicherweise habe ich keinen Sohn, der mein Nachfolger sein könnte; ein edles und starkes Geschlecht – ich kann es ohne Hochmut sagen – wird mit mir zugrunde gehen.«

      »Und ich bin wie mein Vater Goldsucher«, erwiderte Tiburcio.

      »Ja, Ihr seid von einem Geschlecht, das Gott ebenso hat entstehen lassen, damit das Gold, das er geschaffen hat, nicht für die Welt verloren wäre.«

      »Mein Vater hat mir die Kenntnis eines nicht weit von hier entfernten und so goldreichen Ortes hinterlassen, daß ich, wenn zwei Jäger wie Ihr und Euer Gefährte sich mir anschließen wollten, sie reicher machen würde, als sie jemals haben träumen können.« Tiburcio wartete auf die Antwort des Kanadiers und glaubte fast seiner Beistimmung gewiß zu sein, trotz der Weigerung, die er in seiner Gegenwart schon gegen Don Estévan ausgesprochen hatte.

      Der ehrliche Kanadier hatte Tiburcio das Vergnügen nicht zu verbergen gesucht, mit dem er ihm zuhörte. Dieser hatte das Feuer in den Augen des Jägers und das Lächeln, das sich über seine offenherzigen Gesichtszüge verbreitete, der Habgier zugeschrieben und täuschte sich. Bois-Rosé hörte im Gegenteil von den so verführerischen Vorschlägen Tiburcios nur den Ton einer Stimme, die auf dem Grund seines Herzens widerhallte wie eine längst vergessene Melodie oder wie einer jener Gesänge des Vaterlands, die plötzlich das Ohr eines Verbannten mit Freude erfüllen.

      Das Erstaunen des jungen Mannes war darum nicht gering, als der Kanadier verneinend den Kopf schüttelte und antwortete: »Der Vorschlag, den Ihr mir da macht, würde ohne Zweifel einen Mann verführen, der sein Herz in irgendeiner Stadt zurückgelassen hat. Was mich anlangt, so habe ich kein Vaterland mehr. Die Wälder und die Steppen sind jetzt meine Heimat geworden, und ich will keine andere mehr; wozu sollte mir also das Gold, von dem Ihr sprecht, nützen? Es gab eine Zeit, wo ich es zu besitzen gewünscht hätte, um es einst zu vererben oder es selbst noch bei meinem Lebzeiten wegzugeben – heute habe ich niemand mehr, dem dieses Gold Nutzen schaffen könnte. Nein, nein, mein Junge, ich danke Euch, aber ich will nichts damit zu tun haben«, fügte er hinzu, indem er mit seinen breiten Händen sein Gesicht bedeckte, als wollte er seinen Augen das verführerische Gemälde entziehen, das Tiburcio vor ihm aufgerollt hatte.

      »Das ist gewiß nicht Euer letztes Wort«, erwiderte Tiburcio, nachdem er sein Erstaunen überwunden hatte; »ein Mann weist nicht auf solche Art Schätze zurück, wenn er sich nur zu bücken braucht, um sie aufzuraffen!«

      »Dennoch ist es ein unwiderruflicher Entschluß. Ich gehöre mit Leib und Seele einem Unternehmen an, bei dem ich meinem Gefährten, der es zehn Jahre lang gewesen ist, beistehen muß.«

      Bois-Rosé dachte nicht daran, daß sein strenges Festhalten an dem einmal gegebenen Wort an jene edlen Ritter der alten Zeit erinnerte, wo keiner von ihnen seine Lanze zur Eroberung der Schätze Indiens erhoben hätte, wenn Lanze und Ehre in einer anderen Sache verpfändet gewesen wären.

      »Ich fühle wohl, mein Junge, daß ich Euch durch diese Weigerung schmerzlich berühre«, fügte der Kanadier hinzu, als er die Traurigkeit sah, die plötzlich wie eine Wolke die Stirn Tiburcios umschleierte.

      »Hört mich an, mein braver Jäger«, erwiderte der junge Mann. »Ich kann es Euch nicht verheimlichen, daß Eure Weigerung alle meine Hoffnungen zu Boden wirft; aber glaubt mir, nicht meinetwegen bedaure ich die Schätze,


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