Der Waldläufer. Gabriel Ferry
Was die Indianer betrifft, so läßt sie nur ihr Haß gegen die weiße Farbe – nicht das Verlangen, Schätze zu behalten, deren Wert sie nicht kennen – die fortschreitenden Einfälle wütend zurückweisen.
Die durch die Erzählungen der Gambusinos oder auch oft durch den Anblick eines glücklichen und reichen in der Steppe gemachten Fundes angestachelte Leidenschaft entflammt sich auf den Ruf irgendeines tollkühnen Abenteurers, der zu einer Unternehmung auffordert. Andere Abenteurer – ruinierte Söhne von guter Familie, Männer, die sich mit der Justiz überworfen haben – schließen sich ihm an; es bildet sich eine Expedition. Aber sie scheitert, weil sie leichtsinnig unternommen oder unbesonnen geführt ist, und kaum kehren einige von denen, die sie bildeten, zurück, um die Unfälle zu erzählen, durch die die anderen zugrunde gingen. —
Zu dem Zeitpunkt, wo die Erzählung, die ich übertrage, wieder beginnt – im Jahre 1830, das heißt zweiundzwanzig Jahre nach den in der Vorrede erwähnten Ereignissen —, war von einer ähnlichen Expedition in Arizpe, der Hauptstadt der Provinz Sonora, die Rede. Der sie unternahm war ein Fremder, ein Spanier, der vor kaum zwei Monaten angekommen war und den man nur unter dem Namen Don Estévan de Arechiza kannte.
Dieser Mann schien früher in der Gegend gelebt zu haben, ohne daß sich jedoch jemand erinnerte, ihn gesehen zu haben. Er mußte von Europa mit einem schon im voraus gefaßten Plan angekommen sein; örtliche Kenntnisse von unbestreitbarer Richtigkeit, ganz bestimmte Urteile über Personen und Sachen bewiesen klar, daß Sonora ihm nicht fremd und sein Plan schon lange vorher überdacht war. Er verfügte ohne Zweifel auch über mächtige und geheimnisvolle Hilfsquellen, denn er hatte ein ungeheures Gefolge bei sich, hielt offene Tafel, spielte hoch, lieh Geld her, ohne jemals zu denken, es wiederzufordern, und niemand konnte sagen, an welcher verborgenen Quelle er schöpfte, um dieses Leben eines großen Herrn führen zu können.
Doch wie dem auch sein mochte – die großartige Lebensweise des Spaniers, sein Edelmut und seine Freigebigkeit hatten ihm bald in Arizpe einen raschen und mächtigen Einfluß verschafft. Er benützte ihn, um eine ferne Expedition nach einem Ort hin zu bilden, wohin sozusagen noch kein Weißer bis jetzt gedrungen war.
Da Don Estévan fast immer im Spiel verlor; da er ständig vergaß, wie wir schon gesagt haben, das Geld, das er ausgeliehen hatte, wieder einzufordern, und da man folglich nicht annehmen konnte, daß er vom Spiel oder vom Borgen lebte, so argwöhnte man, daß er nicht weit von Arizpe irgendein reiches Goldlager besäße und daß er noch reichere tief im Lande der Apachen wüßte.
Die von Zeit zu Zeit eintretenden Reisen von Señor Arechiza bestätigten diese erstere Annahme. Was die zweite anlangt, so sollte der Zufall nicht lange ausbleiben, um daraus eine Wahrheit zu machen. Wir werden weiter unten sagen, auf welche Weise.
Don Estévan hatte also weniger Mühe als jeder andere, dank dem Einfluß, den er ausübte, abenteuernde Gefährten zu finden. Schon begaben sich, sagte man, achtzig entschlossene Männer von verschiedenen Punkten Sonoras aus zum Presidio von Tubac an der indianischen Grenze, das Arechiza ihnen als Sammelplatz der Expedition bezeichnet hatte, und nach dem allgemeinen Gerücht war der Tag nahe, wo Don Estévan selbst von Arizpe abreisen sollte, um sich an ihre Spitze zu setzen. Dieses zuerst unbestimmte Gerücht wurde bald zur Gewißheit, als der Spanier bei einer der Mahlzeiten, die er gab, seinen Tischgenossen ankündigte, daß er sich innerhalb dreier Tage zum Presidio von Tubac auf den Weg machen würde. Während dieses Mahles wurde auch ein Bote in den Speisesaal geführt, und dieser übergab Don Estévan einen Brief, auf den er, wie er sagte, eine Antwort erwarte.
Der Spanier bat seine Gäste um Entschuldigung und brach das Siegel des Briefes.
Da alles im Verfahren des Fremden einen geheimnisvollen Charakter annahm, so schwiegen seine Gäste einen Augenblick, um seine Haltung und sein Mienenspiel zu prüfen. Aber die unempfindliche Gestalt Don Estévans, der sich allgemein beobachtet sah, verriet keinen seiner Gedanken; es ist wahr, er wußte vollkommen seine Empfindungen zu verbergen, und vielleicht hatte er an diesem Tag seine ganze Selbstbeherrschung nötig. »Es ist gut«, sagte er ruhig zum Boten. »Bringt dem, der Euch sendet, die Antwort, daß ich nach genau drei Tagen, von heute an gerechnet, am bestimmten Ort sein werde.«
Er verabschiedete ihn, indem er sich abermals bei seinen Gästen wegen der Unhöflichkeit entschuldigte, zu der er genötigt gewesen war. Dann nahm die unterbrochene Mahlzeit wieder ihren Verlauf, doch schien der Spanier nachdenklicher als gewöhnlich, und als seine Gäste sich entfernten, zweifelten sie nicht, daß er irgendeine Nachricht von großem Interesse für ihn empfangen hätte.
Wir wollen die Bewohner Arizpes ihren Vermutungen überlassen und Don Estévan zu jener geheimnisvollen Zusammenkunft begleiten, zu der er eben an einem Ort eingeladen war, der gerade auf dem Weg zum Presidio von Tubac lag.
Wenn man Arizpe verlassen hat, trifft man auf dem Marsch nach dem erwähnten Presidio nur von Zeit zu Zeit verfallene, zuweilen zusammenliegende Wohnungen; öfter noch liegen sie ganz vereinzelt. Diese Wohnungen sind etwa durch eine Entfernung voneinander getrennt, die ein Pferd zwischen Sonnenaufgang und Untergang zurücklegen kann. Daraus folgt, daß sie ebenso viele Haltepunkte für die Reisenden sind, die sich zur Grenze begeben. Aber die Reisenden sind nicht zahlreich, und die Bewohner jener Hütten bringen einen Teil ihres Lebens in tiefer Einsamkeit zu. Ein Maisfeld, das sie bebauen; einige Stück Rindvieh, die sie auf jenen duftreichen Triften mästen, die dem Fleisch eine ausgesuchte Schmackhaftigkeit verleihen; ein immer heiterer Himmel und besonders eine wunderbare Mäßigkeit lassen diese Steppenwirte wenn nicht im Wohlstand, doch fern von aller Sorge leben. Welche Wünsche könnte auch wohl der Mensch haben, dessen Decke der blaue Himmel ist und der im Rauch einer Zigarre ein untrügliches Schutzmittel gegen die Angriffe des Hungers findet?
An einem Morgen des Jahres 1830 saß – oder lag vielmehr – halb an der Tür einer Hütte, etwa drei Tagereisen von Arizpe, ein Mann auf einer der wollenen, sorgfältig gearbeiteten Decken, die man Zarapas nennt. Einige hier und da in einem vollkommenen Zustand der Verlassenheit verstreut liegende Hütten kündigten eines jener Dörfer an, die nur während der Regenzeit und während eines Teils der trockenen Monate von einer nomadischen Bevölkerung bewohnt sind. Sobald die Zisternen, die von den Wassern des Himmels gespeist werden, anfangen auszutrocknen, bleiben diese Dörfer öde und sehen ihre Bewohner erst wieder, wenn die Wasserbehälter sich von neuem füllen. Zwei kaum gebahnte Wege, die mitten durch den dichten Wald führten, der die ganze Umgegend bedeckte, kreuzten sich nahe bei der Stelle, wo der Reisende sich gelagert hatte, der keineswegs erschrocken schien über die tiefe Einsamkeit, in der er sich befand.
Einige Raben, die krächzend von Baum zu Baum flatterten, und der Schrei der Chachalacas,dunkelfarbige Elsternart, die von ihrem Geschrei den Namen erhalten hat die den heraufziehenden Tag begrüßten, unterbrachen allein das tiefe Schweigen des Waldes. Sobald die Sonne erst einige Wärme ausstrahlte, begann der dicke Nebel, der sich unter diesem Himmelsstrich des Nachts wie ein Schleier ausbreitet, sich zu zerstreuen und ließ nur große, an den Gipfeln der Eisenholzbäume und der Mesquiten hängende Flocken zurück. Die Reste eines großen Feuers, das ohne Zweifel angezündet worden war, um die nächtliche Kälte abzuhalten, diente jetzt dazu, um die Mahlzeit des einzigen Bewohners dieses Dorfes zu bereiten.
Kleine Fladen von Mehl, Käse und einige Stücke in der Sonne getrockneten Fleisches drehten sich eingeschrumpft über den Kohlen, ohne daß der Mann, dem dieses ärmliche Mahl bestimmt war, sich über die allzu raschen Fortschritte des Bratens sehr zu beunruhigen schien.
Nicht weit davon weidete ein Pferd mit einer Genügsamkeit, die nur mit der seines Herrn verglichen werden konnte, das seltene und welke Gras, das am Saum des Waldes wuchs und das der Morgenwind schauern machte. Wider alle Gewohnheit war das Pferd durch keine Fessel festgebunden.
Der Anzug des Reiters bestand in einer Weste ohne Knöpfe, die man wie ein Hemd über den Kopf streift, und in einem weiten Beinkleid; alles von gegerbtem, ziegelfarbigem Leder. Das Beinkleid, das vom Knie bis zu den Fersen offenstand, ließ die von gegerbtem und bemaltem Ziegenleder umgebenen Füße sehen. Diese unförmigen Stiefel waren mit scharlachfarbigem Knieriemen zugebunden, und in einem stak ein langes Messer in der Scheide, so daß, mochte man nun zu Pferd sitzen oder nicht, dessen Griff immer im Bereich der Hand war. Ein roter Gürtel aus chinesischem Flor, ein breiter Filzhut, der mit einer Schnur oder »Toquilla« von venezianischen