Die Ahnen. Gustav Freytag
ihr trug Frida einen Sack mit Mehl. »Verzeih, Herr,« begann Irmgard, »daß ich dir anzubieten wage, was die Hand deiner Tochter auf dem Mühlstein mahlen half.« Die Jungfrauen stellten den Sack an die Füße des Fürsten. Verwundert sah der Fürst auf den Sack. »Was bedeutet die gestäubte Gabe, soll sie zu einem Opferkuchen für die Götter, weil die Hände freier Jungfrauen den Stein gedreht haben?«
»Nicht zum Opfer,« versetzte Irmgard, »sondern zur Sühne für verletzte Gastpflicht haben freie Hände das Korn gemahlen. Ich flehe, daß du, Herr, wenn es dir recht dünkt, dies Mehl deinen Gästen sendest. Denn ich höre, deine Hofleute weigern ihnen bereits das Mehl zu Brei und Brot, und die edlen Gäste müssen unter deinem Dache selbst die Arbeit unfreier Weiber verrichten.«
Da schwollen dem Fürsten die Stirnadern, und er rief, sich mächtig erhebend: »Wer hat mir diese Schmach angetan? Sprich, Hildebrand, denn dein ist die Sorge für die Mahlzeiten der Gäste.«
Hildebrand beugte sich verlegen vor dem Zorn des Fürsten. »Die Mägde waren erbittert über Ungebühr der Vandalen und weinten über harte Arbeit, und die Herrin meinte, daß sie Grund haben zur Klage.«
»Wie darfst du die Ungebühr weniger durch schweres Leid vergelten, das du allen zufügst? Deinen Herrn hast du entehrt vor seinen Gästen und üble Nachrede geschaffen vor dem Volke. Ergreift zur Stelle den Sack und tragt ihn nach der Herberge der Gäste, und dir, Alter, rate ich, daß du mitgehst und ihnen solche Entschuldigung machst, welche sie willig annehmen. Den Mägden aber sage, wenn sie sich ferner noch einmal beklagen, so soll ihnen eine harte Hand größeres Ächzen verursachen.«
»Zürne nicht den Mägden, Herr,« sprach Irmgard, »sie sind sonst gutwillig und würden auch die gehäufte Arbeit ertragen; aber einer in deinem Hofe unterfängt sich, herrisch mit dem Gesinde zu schalten, und dieser ist dein Schwertträger Theodulf. Viele fürchten sein hartes Wesen und sorgen, ob sie jetzt oder dereinst seine Gunst haben. Er verbietet den Mägden die Arbeit für die Gäste und auch den Tanz, wie es ihm gefällt. Niemand wagt dir das zu klagen; ich aber als deine Tochter gedenke nicht zu leiden, daß in dem Hofe meines Vaters einer, der ein Diener ist, unsere Ehre kränkt.«
Da der Fürst dies vernahm, gedachte er wohl, daß sein Kind recht hatte und fühlte doch auch geheime Sorge, weil die Jungfrau mit solcher Mißachtung von dem Manne sprach, den er ihr in der Stille zum Gemahl bestimmt und der jetzt so grimmig vor ihm stand. Er wurde deshalb wildzornig auf alle und rief der Tochter zu: »Nicht umsonst hast du die Mühle gedreht, wie harter Stein zermahlen deine Worte den Leumund deines Verwandten. Dennoch tadle ich deine Gabe nicht, denn sie vermag vielleicht eine schwere Beleidigung zu sühnen. Du aber«, rief er, drohend die Hand gegen Theodulf erhebend, »vergiß nicht, daß ich in diesem Hofe Herr bin, solange ich lebe, damit ich nicht vergesse, daß die Hausfrau dir Gutes wünscht. Wagt einer von euch noch gegen die Gäste feindliche Rede oder geheime Tücke, so dürfte der Hof und seine Haut für ihn zu enge werden.«
Herr Answald wies alle hinaus und kränkte sich einsam. Endlich ging er in das Haus der Fürstin und sprach auch zu dieser zornige Worte und geringes Lob gegen ihren Vetter Theodulf. Frau Gundrun verfärbte sich, sie merkte wohl, daß sie zu viel gewagt hatte und daß ihr Gemahl mit Recht um üble Nachrede besorgt war, und sie sprach begütigend: »Das mit den Mägden sollte für die Fremden nur eine Warnung sein, damit sie das Hofrecht scheuen, es ist abgetan und wird in Zukunft vermieden, sorge auch du nicht weiter darum. Und was den Vetter betrifft, so weißt du ja, wie treu er dir gedient hat und daß er um deinetwillen seine Narben trägt.« Und als es ihr gelungen war, den Herrn ein wenig zu besänftigen, fuhr sie fort: »Wie sorglos war vor wenig Monden der Blick in Hof und Flur, jetzt aber schwand der Frieden im Hause, die Eintracht im Lande, und mit Schwerem bedroht der Zorn des Königs. Ein erlauchter Mann ist dein Gast, aber Unheil hängt sich an seine Fersen. Ich denke an deine Tochter, Herr, sie fleht, daß die Vermählung mit Theodulf gemieden wird. Wider den Willen der Eltern hebt sich begehrlich der Sinn des Kindes.«
»Was hat Ingo mit dem Groll des Mädchens zu tun?« fragte der Fürst ärgerlich.
Frau Gundrun sah ihn mit großen Augen an. »Wer zu Rosse dahinfährt, achtet wenig auf das Kraut am Boden. Merke, Herr, auf ihre Blicke und Wangen, wenn sie einmal mit dem Fremden spricht.«
»Kein Wunder, daß er ihr gefällt«, versetzte der Fürst.
»Wenn er aber an Vermählung denkt?«
»Das ist unmöglich«, rief der Fürst mit mißtönendem Lachen. »Er ist ja ein Gebannter ohne Habe und Gut.«
»Warm sitzt sich‘s am Herd in den Waldlauben«, fuhr die Fürstin fort.
»Ein Fremder sollte so Unsinniges wagen, ein Mann, der gar nicht von unserem Volke ist und kein anderes Recht hat, als daß ihn die Landgenossen dulden? Unnötig sorgst du, Gundrun, schon der Gedanke daran empört mir den Mut.«
»Wenn du so meinst,« sprach die Fürstin nachdrücklich, »dann freue dich nicht des Tages, an dem er unser Haus betrat, nicht des Sanges in der Halle und nicht der fahrenden Männer, welche jetzt bei uns einliegen, auf das Gastrecht pochend und das Gut meines Herrn verzehrend. Der König begehrt den Fremden, laß ihn ziehen, bevor er und sein Haufe vielen unter uns Jammer bereitet.«
»Weißt du mehr von Vertraulichkeit zwischen ihm und meinem Kinde, als du mir sagst?« fragte der Fürst, vor sie tretend.
»Nur was sich dem ankündet, der sehen will«, versetzte die Fürstin vorsichtig.
»Mit großem Geräusch und freudigem Herzen habe ich ihn empfangen,« fuhr Herr Answald fort, »jetzt vermag ich ihn nicht als einen Überlästigen zu entsenden. Den Gemahl der Tochter zu wählen, ist des Vaters Recht, und keine Vermählung gibt es für das Kind als durch den Vater, das weiß auch dein Kind, da sie nicht sinnlos ist. Ich gedenke des Eides, den ich deinen Freunden gelobt, du aber bändige, wenn du kannst, den Hochmut deines Neffen und sorge dafür, daß er sich unserem Kinde werter macht als er jetzt noch ist, damit nicht der Trotz der Jungfrau im nächsten Frühjahr aufbricht, wenn wir sie zur Vermählung schmücken.«
Seit diesem Morgen war Herr Answald in seinem Gemüte beschwert, sooft er den Fremden gegenübertrat; unmutig erwog er die Vermessenheit und achtete mißtrauisch auf Wort und Gebärde des Gastes, und er dachte zuweilen selbst, daß das Lagern um seinen Herd im Winter eine Last sein werde. In diesen Tagen des Mißmuts ritt Held Sintram ein, als Unglücksbote vom König an den Häuptling und den Gau gesandt. Denn der König erhob helle Klage über das versteckte Hausen der fremden Schar und forderte unter Drohungen ihre Auslieferung in seine Hände. Der Fürst erkannte, daß entweder dem Gaste oder ihm und den Landgenossen eine nahe Gefahr drohe. Da er kein niedrig denkender Mann war, so gewann er seine Würde zurück, er trat vor Ingo und sagte ihm offenherzig, daß er die Häupter des Gaues unter dem Vorwande einer Jagd zu stiller Beratung laden werde. Ingo neigte sich nach den Worten beistimmend und versetzte: »Die erste Rede gehört hierbei den Wirten, die zweite dem Gaste.«
Die Boten ritten; drei Tage darauf saßen die Edlen und Weisen des Gaues wieder am Herde des Häuptlings. Aber es war nicht mehr Sommerluft, wo der Sinn der Männer fröhlich über der Erde waltet, sondern harte Winterzeit, wo sich Sorge und Groll erheben. Diesmal war die Miene des Fürsten kummervoll, als er begann: »Eine zweite Botschaft sendet der König um den Helden Ingo und sein Gesinde, und diesmal an die Gaugenossen und mich, nicht durch den Sänger, sondern durch den Helden Sintram. Der Volkskönig fordert die Fremden für seine Königsburg; ob wir seinem Gebot widerstehen oder unser Heil bedenkend nach seinem Willen tun, das frage ich.« Darauf erhob sich Sintram und wiederholte die Drohung des Königs: »Mit Gewalt will er die Fremden holen, wenn wir sie nicht senden, seine Mannen toben laut und freuen sich des Zuges gegen unsere Höfe. Einst habe ich vordenkend gewarnt, jetzt droht uns nahe das Unheil. Hatten wir auch gelobt, den Fremden gastlich zu schützen, jetzt ist nicht er es allein, der auf dem Lande liegt, ein fremdes Geschlecht reitet durch unsere Täler und lästig wird dem Volke das wilde Gesinde.« Langes Schweigen folgte der Rede, bis Isanbart endlich die Stimme erhob: »Da ich alt bin, wundert mich nicht, wie leicht sich der Sinn der Menschen ändert; schon ehedem sah ich manchen Wirt, der fröhlich war, einen Gast zu begrüßen, aber fröhlicher ihn zu entlassen. Darum mögest du, o Fürst, vor allem den Landgenossen sagen: hat der fremde Held das Hofrecht verletzt und deine Ehre geschädigt,