Alarm. Alfred Schirokauer

Alarm - Alfred Schirokauer


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bin nicht zu dir gekommen, um dich zum zweiten Male auf die Probe zu stellen, John. Zeit und Leid dämpfen. Ich bin nicht mehr die impulsive Frau, die ohne Überlegung ins Leben hinausläuft und Gefolgschaft fordert.«

      Er stand vor ihr und schwieg und fühlte, wie töricht, elend, klein und jämmerlich er dieser Frau gegenüber war, die heute abend wieder ihre Liebe zu ihm getragen hatte, ohne prüden Stolz, hoch über jeder Vergeltung für die Beleidigung, die er ihr damals angetan hatte. Er rang und kämpfte mit sich und seinem Geheimnis, während sie leise weiter sprach:

      »Ich wollte nichts als dir sagen, daß ich in London bin und — dich — liebe!«

      »Ich liebe dich auch!« schrie er unterdrückt und verrenkte die Finger.

      »Ich weiß es«, nickte sie. »Sonst wäre ich nicht hier.«

      »Warum bist du nie zu mir gekommen, als ich in Madrid war?« fragte er unvermittelt. »Du mußt doch gehört haben, daß ich dort war — bald nach unserer Trennung in Japan.«

      Sie sah zu ihm empor. »Ja, ich wußte es, aber damals glaubte ich noch, daß ich dich hasse.« Sie lächelte weh.

      »Ich war oft vor deinem Palais«, bekannte er.

      »Ich weiß.«

      »Das weißt du?!«

      Sie nickte schelmisch. »Ich habe dich einmal gesehen. Und dann immer erwartet. Tagelang habe ich am Fenster meines Boudoirs gesessen und auf dich gewartet.«

      »Geliebte —!« flüsterte er erschüttert.

      Sie hob in einer hilflosen Bewegung beide Arme und ließ sie wieder matt in den Schoß zurückfallen. »Aber jetzt, John, jetzt wollen wir —«

      Sie sprang auf. Plötzlich standen sie wieder voreinander. Gesicht dicht an Gesicht.

      »Jetzt will ich wissen, was uns wieder trennt«, rief sie inbrünstig aufflammend. Es schien, als wollten ihre Lebenskräfte, ihr Ungestüm, ihre blutvolle Lebendigkeit das eng umschließende Kleid sprengen. »Durch das lange Leid um dich bin ich so sehr ein Teil von dir geworden — wie mein Kopf — mein Herz. — Nichts von dir kann mich mehr beleidigen, so gehörst du zu mir. — Meine Sehnsucht nach dir hat mich in dich hineingebrannt. Nie waren zwei Menschen mehr eins, durch Schmerz und Entbehren zusammengeschweißt. Ich weiß, es ist etwas außer dir, das nicht du bist, eine Macht, die stärker ist als meine Liebe, als deine Liebe, als meine Anziehung, als mein Reiz, meine Ausstrahlung auf dich. Ich möchte dieses Fremde, dieses tödlich Feindliche, erwürgen — morden, wenn es lebte. Aber es ist nichts Lebendiges, Greifbares. Es ist etwas Geisterhaftes. Das fühle ich.«

      Sie stand von Leidenschaft geschüttelt vor ihm. Jahrelang Gestautes barst aus ihr hervor. Ergebnis von tausend Stunden verzweifelnden, hirnzermarternden Suchens und Grübelns.

      Er fühlte die lautere Flamme weiblicher Menschlichkeit, die ihm aus ihr entgegenschlug, empfand die reine Glut, in der sie brannte, und — wandte das Gesicht ab.

      »Ich kann es dir nicht sagen«, quälte er hervor zwischen festgeschlossenen Zähnen.

      Sie schluckte.

      Dann rannte sie wieder mit ihrem vollblütigen Temperament gegen das Bollwerk seiner erbitternden Verstocktheit an.

      »John«, rief sie, »ich kann nicht glauben, daß es etwas gibt, das du mir nicht sagen kannst. Warum denn nicht? Warum denn bloß nicht?! Ich bin dir doch so nah wie ein Mensch dem andern sein kann. Oder nicht?!«

      Sie blickte ihn fordernd an und warf mit einem nervösen Ruck die Locken hinter das Ohr zurück.

      »Doch«, gestand er.

      »Und dennoch gibt es zwischen uns etwas, das du mir nicht sagen kannst?! Etwas Lebenswichtiges, das immer wieder zwischen uns steht! Nur deshalb will ich es wissen. Ich will mich nicht in Geheimnisse drängen, die mich nicht kümmern. Aber dieses — dieses Würgende, Feindliche! Sag es mir, sag es mir! Und wenn du ein Verbrecher wärst, wenn du gemordet hättest — was wäre mir das? Sag es mir doch ganz menschlich — ich verstehe alles — alles, was dich betrifft!«

      Sie wartete. Er wich ihrem Blicke aus.

      »Vielleicht warst du noch sehr jung, hast gesündigt — was heißt zwischen uns gesündigt?! Ein albernes leeres Wort. Vor mir kannst du nicht gesündigt haben. Ich liebe dich, wie du bist — mit allem — mit deiner Vergangenheit, wie sie auch ist. Nur sprich endlich! Hab Vertrauen! Vernichte nicht unser Leben durch eine falsche unselige Scham. Laß mich begreifen, warum du mich immer wieder von dir stößt, und laß mich dir dann sagen, daß es nichts an meiner Liebe und meinem Aufgehen in dir ändert. Allein finde ich nicht den Schlüssel zu diesem vernichtenden Geheimnis.«

      Sie sah, wie er grausam mit sich rang. Da trat sie zu ihm, legte die Hand — sie zitterte — auf seinen Arm und flüsterte innig:

      »Es ist nicht Neugier — es ist doch nur Zu-Dir-Gehören, Mit-Dir-Sein-Wollen, Mit-Dir-Tragen.«

      Da war er überwältigt. Da riß er sie in die Arme und dicht an ihrem Munde raunte er: »Du Herrliche — du Wunder! Ich will es dir sagen. Nichts soll mehr zwischen uns stehen. Setz dich!«

      Er preßte sie in den Sessel nieder. Ging, sich sammelnd, durch das Zimmer. Sie wartete, blickte zu Boden in dem Gefühle, ihn jetzt nicht stören, nicht unterbrechen, das Losringen des Bekenntnisses von seiner Seele durch ihre betonte Gegenwart nicht hemmen zu dürfen.

      Er ging mit kleinen Schritten auf und nieder. Seine Brust arbeitete. Fast sieben Jahre trug er wortlos sein tragisches Geschick. Das eingefressene Schweigen scharrte mühsam nach Worten.

      Da schlug die große Standuhr in der Ecke mit ihrem herrlichen Orgeltone zehnmal. Angelita sprang empor. Stand vernichtet — verängstigt.

      »Ich — muß — fort«, stöhnte sie verzweifelt.

      Verwirrt fand er sich zurück aus der Qual der Loslösung von dem Mysterium seines Lebens und starrte sie ohne Verstehen an.

      »Ich muß fort«, wiederholte sie verstört. »Der Herzog darf nicht wissen, daß ich das Haus verlassen habe. Er ist fanatisch eifersüchtig.«

      Er war noch immer so verloren an den Entschluß, endlich zu sprechen, zu bekennen, daß er nicht begriff.

      »Ich muß vorsichtig sein«, klagte sie.

      »Warum gehst du nicht fort von ihm, wenn du ihn nicht liebst?« fragte er hart.

      »Wozu? Eine Ehe besteht nicht zwischen uns. Schon damals in Japan nicht mehr. Wo ich bin, ist doch gleich, wenn ich nicht bei dir bin. Wozu dann Skandal und Aufregungen, Erörterungen, Mißhelligkeiten?! Wozu? Alles ist doch so gleichgültig, wenn ich nicht mit dir leben darf. Alle diese Jahre habe ich nur für diese Stunde der Aufklärung gelebt.«

      Sie suchte mit den Augen ihren Pelz. Er holte ihn. Während er ihr beim Anlegen half, fragte er: »Wann kommst du wieder?«

      »Ich weiß es nicht. Sobald ich kann. Und dann — wirst du mir alles sagen?«

      Er nickte schwer.

      »Ich will es nicht in Eile und Hast hören, und dann mit deinem noch warmen Bekenntnis, der höchsten Gabe deiner Liebe und deines Vertrauens, davoneilen. Ich habe Jahre gewartet. Ich kann noch Tage warten. Ich habe dich nun ja gesehen und gefühlt und geatmet. Gute Nacht, du geliebter Mensch, der du mein Leben bist!«

      Da schrie er aufgewühlt auf, und Tränen stürzten ihm aus den Augen, zum ersten Male, seit er ein Mann geworden war.

      5

      Angelita war längst gegangen, hinaus in den triefenden gelben Nebel der Londoner Januarnacht. Sie duldete nicht, daß er sie begleitete.

      »Wir müssen vorsichtig sein, so lange ich die Herzogin Breton de Los Herreros bin«, lächelte sie traurig zum Abschied. »An der nächsten Ecke finde ich sicher eine Taxi — nein, laß keine holen.«

      Sie war gegangen. Die düstere Bibliothek war wieder leer und stumm, wie sie seit Jahren


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